Die Schöne und das Biest

Garbiñe Muguruza steht inzwischen auf Rang drei der WTA-Weltrangliste
© getty

Garbine Muguruza steht mit 22 Jahren auf Rang drei der Weltrangliste. Die Erwartungen sind seit Jahren hoch, für viele ist sie die Nachfolgerin für Serena Williams. Selbst bleibt sie bescheiden, zeigt sich selbstkritisch und äußerst nachdenklich - bis sie den Platz betritt.

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Als der Ball am Netz hängenbleibt, fällt ihr der Schläger aus der Hand. Fassungslos legt sie die Hände auf den Kopf und dreht sich Richtung Tribüne. Garbiñe Muguruza hat gerade ihr Idol besiegt. Eine Spielerin, die sie als Kind im Fernsehen bewunderte, hat ihren Return soeben ins Netz geschmettert.

Muguruza hat Serena Williams besiegt. Mit 6:2, 6:2. "Wenn man gegen eine solche Spielerin spielt, das ist wirklich schwierig", wird sie im Anschluss mit etwas zittriger Stimme ins Mikro sagen: "Serena ist jemand, den ich von klein auf bewundert habe." Und doch hat sie es getan.

Natürlich spielte sie in Roland Garros auf ihrem bevorzugtem Boden, aber letztlich hat kaum jemand in den letzten Jahren Serena so dominiert, wie es Muguruza es 2014 in diesen 64 Minuten tat. Die junge Spanierin hielt ihre Gegnerin an der Grundlinie, mit kraftvollen Schlägen durch die Mitte setzte sie nicht auf die eigenen Winner, sondern überwältigte sie mit einer Kraft, die selbst für die Weltranglistenerste zahlreiche Fehler bedeutete.

"Gehe auf den Platz, um zu dominieren"

"Ich setze immer auf mein Spiel und auf meine Persönlichkeit. Ich gehe auf den Platz, um zu dominieren. Wenn ich gewinne, gewinne ich. Wenn ich so verliere, verliere ich", sagt sie über ein Jahr später. Nicht mehr als Underdog und nicht mehr als junge Rebellin, sondern als Weltranglistendritte.

Mit 22 Jahren ist sie auf einem guten Weg, ihrem Idol Serena zu folgen. Diese schob sich in einem ähnlichen Alter in die Top-10, nähert sich aber inzwischen ihrem Karriereende. Kein Problem für die spanischen Fans, die die "logische Wachablösung" (El Confidencial) schon gefunden haben.

Muguruza hat zweifellos das Zeug dazu, sich an die Weltspitze zu spielen. Sie war zwei Jahre alt, als ihr ihre beiden älteren Brüder das erste Mal einen Tennisschläger in die Hand drückten, mit drei Jahren stand sie erstmals auf dem Platz. "In irgendeiner Ecke meines Kopfes habe ich mir schon vorgestellt, mal gegen die aus dem Fernsehen zu spielen", gibt sie zu.

Das breite Dauergrinsen

An eine Karriere als Tennisspielerin dachte sie trotz allem eigentlich nicht, erst seit sechs Jahren ist sie als Profi geführt. Den Grund, warum es doch Tennis wurde, hat sie schnell ausgemacht: "Ich kann sonst einfach keinen anderen Sport." Wenn sie einen anderen aussuchen müsste? "Padel-Tennis wäre OK."

Das zeigt eine Seite der Spanierin mit venezuelanischen Wurzeln. Sie ist immer gut aufgelegt, hält ihre Pressekonferenzen und Interviews mit einem breiten Grinsen ab. Unbeschwert reist sie durch die Welt und weiß dabei ganz genau um ihr Glück: "Das Leben als Tennisspielerin ist kurz, ich will es am Maximum erleben."

Ziele auf einer Rangliste liegen ihr fern: "Man denkt von Turnier zu Turnier. Nicht aufhören zu reisen, Leute kennenlernen, verschiedene Plätze und Turniere spielen. Ein solches Leben sollte man wertschätzen, nicht jeder Mensch auf der Welt kann das erleben."

Die Frage nach der Konstanz

Druck scheint ihr ebenso unbekannt zu sein wie Überheblichkeit. Angesprochen auf Sloane Stephens und Eugenie Bouchard, Shootingstars, die schnell und strahlend auf der Bildfläche auftauchten, aber ebenso schnell wieder verglühten, zuckt Muguruza mit den Schultern: "Ich habe gesehen, was passieren kann."

Alles scheint so einfach zu sein. "Unverletzt bleiben", sei das Ziel. Tatsächlich hat die Spanierin auf ihrem Weg erst eine schwere Verletzung durchstehen müssen, damals waren es sechs Monate Hölle. Natürlich sei es "ein Traum", sich als Nummer eins der Welt bezeichnen zu dürfen, aber letztlich gehe es doch immer nur darum, "besser zu werden."

Größtes Problem: Die Inkonstanz. Muguruza bringt alles mit, um jede Gegnerin zu schlagen, das hat sie mehrfach unter Beweis gestellt. Spanische Tennis-Legenden wie Conchita Martinez oder Arantxa Sanchez Vicario zeigten sich beeindruckt von ihrer Kraft, ihrer Technik und vor allem ihrem puren Willen. Aber doch hat sie Phasen im Spiel, in denen sie unsicher wird, unnötige Fehler macht und ihren Matchplan außer acht lässt.

Das Biest blitzt durch

Sie wird wütend und kopflos. Ein Grund, warum sie den Trainer wechselte und nun von Sam Sumyk angeleitet wird, dem langjährigen Coach von Victoria Azarenka. Muguruza weiß um diese Schwäche. "Ich sollte nicht wütend spielen, aber manchmal muss ich diese üble Laune einfach raushängen lassen. Dann sage ich zu mir: Garbine, das muss jetzt sein!"

Sie beginnt damit, über ihre Gegnerin nachzudenken. Was diese denkt, ob sie ihre Schwäche ausgemacht hat. Das kostet Konzentration und an schlechten Tagen eine Menge Punkte. "Man kann aggressiv spielen und den Ball drei Meter daneben hauen oder man spielt kontrollierter Aggressivität", spricht die Baskin doch von Besserung.

Das Halbfinal-Match bei den WTA-Finals gegen Agnieszka Radwanska offenbarte erneut: "Wenn ich denke, ich bin die Einzige, die nervös ist, dann geht alles schief." Verliert Muguruza die Kontrolle über ein Match, geht auch die Übersicht verloren. Das Biest blitzt durch, das unkontrolliert nur noch versucht, über die Stärke der eigenen Schläge wieder die Dominanz zu erlangen.

Doch sie ist in den letzten Monaten sichtlich ruhiger geworden, spielt viele Matches inzwischen besser zu Ende. Die Partien zuvor gegen Angelique Kerber und Lucie Safarova waren Paradebeispiele für große Fortschritte in Sachen Ruhe und Besonnenheit. Für eine neue Konstanz.

Sumyk arbeitet am Gesamtpaket

"Sie setzt genau das um, was ich will", bestätigte Coach Sumyk, der allerdings dementierte, extra an diesem Punkt gearbeitet zu haben: "Wir arbeiten am Gesamtpaket, nicht an einzelnen Faktoren." Somit ist es vielleicht auch einfach die Erfahrung, die in den letzten Monaten enorm gewachsen ist. Nach dem Sieg über Williams im Mai 2014 erreichte sie das Viertelfinale von Roland Garros, debütierte für Spaniens Fed-Cup-Mannschaft, erreichte das Finale in Wimbledon und gewann in Peking den zweiten Einzeltitel ihrer Karriere.

Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Auftritte an der Seite von Carla Suarez Navarro. Diese ist mit 27 Jahren etwas älter und übernimmt den ruhigeren Part auf dem Platz. Gemeinsam sicherten sie sich fünf Titel und rangieren derzeit unter den besten zehn Teams der Welt. Als "beste Freundin" bezeichnet Muguruza ihre Nebenfrau, die ihr so oft helfe, wie es nur geht.

Eine beste Freundin lässt man nicht fallen, auch nicht, wenn es im Einzel immer besser läuft. Selbst bei den WTA-Finals trat Muguruza noch im Doppel an, Suarez Navarro hätte mit einer anderen Partnerin nicht teilnehmen dürfen. Die fehlende Regenerationszeit im Vergleich zu ihren Gegnerinnen war der Spanierin dabei völlig egal: "Natürlich bin ich müde, aber so ist es. Ich muss eben zusehen, dass ich rechtzeitig fit werde."

Wenn die Lockerheit fällt

Es ist diese Lockerheit, der große Spaß am schlichten Spiel, der Muguruza so weit getrieben hat. Jede Minute, die sie ohne Schläger verbringt, scheint ihr unangenehm zu sein. Hobbys, sagt sie selbst, hat sie eigentlich keine. Wenn sie mal nicht trainiert, sind es Serien und Filme, die ihr die Zeit vertreiben. Das Leben als Tennisspielerin ist so schön, wie es gleichzeitig auch isolierend wirken kann.

"Ich reise seit ich 14 Jahre alt bin, ich sehe meine Familie nur selten und habe enormen Druck. Man steht alleine vor 4.000 Leuten auf dem Platz. Solche Dinge lassen dich früher oder später zu einem Fels werden", ließ sie die Lockerheit im Interview mit ElMundo kurz fallen. In diesen Momenten wird dann doch klar, dass sie nicht immer alles auf die leichte Schulter nimmt: "Es gibt Momente, in denen man gerne mit einem normalen Mädchen tauschen würde. Man muss viele Dinge aufgeben." So bleibt sie bewusst Single: "Die Liebe würde mich definitiv ablenken."

Vielleicht kann genau das ihr Ass im Ärmel werden, wenn es an die Spitze gehen soll. Muguruza lebt für den Sport und lässt dafür links wie rechts Dinge liegen, auf die Andere nicht verzichten wollen. Ihre kompromisslose Einstellung erinnert an eben jene Williams, die sie im Mai 2014 geschlagen hat. Auch Serena investiert jede freie Minute in ihre Dominanz. Dies, gepaart mit dem Spaß am Sport und reinem Talent auf dem Platz, können für Muguruza tatsächlich die Ablösung ihres Idols bedeuten.

Garbin e Muguruza im Steckbrief