"Grand Slam" oder Exodus?

Von Jérôme Rusch
Ivanovic? Bouchard? Es sieht nicht so aus, als könnte man Serena Williams (M.) gefährlich werden
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Dark Horse: Zugegeben, ein Geheimtipp dürfte Belinda Bencic für das Gros der Fans nicht mehr sein. Doch trotz ihres Sieges beim Rodgers Cup werden in puncto US-Open-Trophäe zuvorderst andere Spielerinnen genannt. Dabei müsste die Schweizerin, die von Hingis-Mutter Melanie Molitor betreut wird, für ihre Leistung in Toronto eine Menge an Kredit besitzen: Eugenie Bouchard, Caroline Wozniacki, Sabine Lisicki, Ana Ivanovic, Serena Williams und Simona Halep - Bencic schlug bei diesem Turnier nicht nur die aktuelle Nummer Eins, sondern zeigte ehemaligen Grand-Slam-Champions oder -Finalisten in eindrucksvoller Manier deren Grenzen auf.

Es gibt zwei Aspekte beim 18 Jahre alten Shootingstar, die Fragen aufwerfen: Konstanz und Gesundheit. Die gezeigten Leistungen in Kanada könnten ein Ausreißer nach oben gewesen sein, sicher. Allerdings waren die Darbietungen alles andere als Zufall und Leistungsschwankungen gehören - gerade bei jungen, aber eben auch bei erfahrenen Damen auf der Tour - zum Alltag. Größere Sorgen bereitet vielmehr ihr körperlicher Zustand. So musste Bencic in Cincinnati bereits in Runde 3 wegen einer Verletzung am rechten Handgelenk aufgeben. Es bleibt abzuwarten, ob die Absage in New Haven genügend Erholungszeit bieten konnte: Bei den US Open könnte in der 3. Runde Venus Williams warten, ehe wenig später ein etwaiges Viertelfinale gegen die ältere Schwester auf dem Programm stehen würde.

Dark Horse 2.0? Was hat Karolina Pliskova folgenden Damen voraus: Petra Kvitova (New-Haven-Sieg), Serena Williams (Cincinnati-Sieg), Belinda Bencic (Toronto-Sieg) und Angelique Kerber (Stanford-Sieg). Genau, die Nummer 8 der Welt hat die US Open Series gewonnen und Williams in der Gesamtwertung überholt (150 Punkte zu 145). Im Gegensatz zu den vier oben genannten Spielerinnen hat die Tschechin nur keinen einzigen Turniersieg einfahren können. Ein abenteuerliches Punktesystem, denn Pliskova musste für diesen Erfolg nicht eine Top-50 Spielerin eliminieren und hat vor den anstehenden US Open trotzdem die Chance auf den größten Prämien-Scheck in der Tennisgeschichte. Denn: Sollte sie in Flushing Meadows gewinnen, würde sie zu den 2,9 Millionen Euro Preisgeld einen Bonus von einer Million Dollar (890.000 Euro) obendrauf bekommen. Vorsichtige Prognose: Wird eher nichts werden.

Upset alert: Hier sollte eigentlich Maria Sharapova stehen. Leider ist die Russin uns zuvor gekommen. "Die Zeit hat nicht gereicht", teilte sie über Facebook mit - Masha wird nicht an den US-Open teilnehmen und macht die, zugegebenermaßen leicht tendenziöse, Nennung der Russin hinfällig.

Aber auch die Begegnung zwischen Ana Ivanovic und Dominica Cibulkova bietet Raum für eine Überraschung.

Schwerster Draw: Angelique Kerber hat sich vor den US Open via Sport Bild selbstbewusst gegeben: "Ich kann jede Spielerin schlagen. [...] Natürlich traue ich mir einen Finaleinzug bei einem Grand-Slam-Turnier zu." Große Töne! Die Losfee meinte es dann nicht gut mit der Bremerin. In der 1. Runde wartet die Rumänin Alexandra Dulgheru, ehe Azarenka (3. Runde) und Lucie Safarova (Achtelfinale) ihren Weg kreuzen könnten.

Erschwerend kommt hinzu, dass Kerbers Formkurve in den letzten Wochen rapide bergab ging. Auf den Turniersieg in Stanford folgte das Drittrunden-Aus gegen Simona Halep in Toronto, die in einem möglichen Viertelfinale drohen könnte, und beim Cincinnati-Masters war schon in Runde 1 Endstation. Damit es in Flushing Meadows besser läuft als zuletzt (2014 gewann sie zwei Matches), hat die Weltranglistenelfte einiges verändert: "Ich bin früher angereist. Und ich nehme mal ein anderes Hotel als in den Jahren zuvor. Wollen wir doch mal sehen, ob das Auswirkungen hat."

Leichtester Draw: Simona Halep. Die Weltranglistenzweite kann sich bei der Losfee bedanken: Marina Erakovic, dann wohl Yulia Putintseva und Alize Cornet, sowie in Runde 4 die kriselnde Timea Bacsinszky oder auch Sabine Lisicki - das Viertelfinale kann die Nummer 2 der Welt fast schon buchen.

Aber auch Caroline Wozniacki darf sich nicht beschweren: Bis zum Viertelfinale trifft die Dänin auf keine Top-15-Spielerin. Dann allerdings wartet aller Voraussicht nach die Weltranglistenfünfte Petra Kvitova. Es könnte ein Duell auf Augenhöhe werden: In der bisherigen Bilanz führt die Tschechin mit 6:5.

Die Deutschen: Andrea Petkovic trifft zu Beginn auf die Französin Caroline Garcia und sieht sich keiner leichten Aufgabe gegenüber. Fed-Cup-Chefin Barabara Rittner schlägt in die gleiche Kerbe: "Das ist denkbar unangenehm, da muss Andrea sofort hellwach sein." Garcia brachte es in Cincinnati schließlich zustande, Lisicki und Kvitova zu eliminieren.

Andrea Petkovic im großen SPOX-Interview

Auch Julia Görges, die durch ihren New-Haven-Turniersieg im Doppel ein bisschen Selbstbewusstsein sammeln konnte, erwartet mit Anna Karolina Schmiedlova keine leichte Aufgabe. So stieß die Slowakin beim Vorbereitungsturnier in Cincinnati bis ins Viertelfinale vor und machte durch einen Sieg über Radwanska auf sich aufmerksam. Lisicki sollte dagegen mit Qualifikantin Aliaksandra Sasnovich keine Probleme haben.

Carina Witthöft steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe, die da heißt: Wimbledon-Finalistin Garbine Muguruza. Doch die Spaniern steckt in einer mittelschweren Krise: In Toronto und Cincinnati war für die Nummer 9 bereits in der ersten bzw. 2. Runde Endstation. Dies bedeutet im Umkehrschluss selbstredend nicht, dass Witthöft siegreich aus dieser Begegnung hervorgeht. Unter Umständen ist sie jedoch nicht so unterlegen, wie man es vermuten könnte - auch wenn die Spanierin als haushohe Favoritin in die Begegnung geht.

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