"Ich weiß oft selbst nicht, wer ich bin"

Andrea Petkovic ist eine der spannendsten Persönlichkeiten im deutschen Sport
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SPOX: Ein bisschen positiv verrückt ist ein Attribut, das viele mit Ihnen in Verbindung bringen. Ein anderes ist sicher: lustig. Der Petko-Dance war Ausdruck Ihrer Fröhlichkeit, aber selbst da gab es Leute, denen es nicht so gefallen hat.

Petkovic: Darüber war ich wirklich sehr überrascht. Ich wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, dass es irgendwie böse gegenüber jemand anderem rüberkommen könnte, der Tanz hatte mit der Gegnerin oder sonst jemand ja gar nichts zu tun. Aber spätestens ab da habe ich auch verstanden: Wenn du im Rampenlicht stehst, wird es immer Leute geben, die dich angreifen, warum auch immer. Vielleicht weil du blöd geschaut hast, vielleicht weil du was Blödes gesagt hast, vielleicht weil du eine andere Einstellung hast - irgendwas kann man immer finden. Es soll Leute geben, die Roger Federer blöd finden, weil er zu langweilig ist. Oder Rafael Nadal blöd finden, weil er ihnen zu kämpferisch ist. Für mich war der Tanz dann irgendwann nicht mehr spontan. Es wurde mehr zum Spektakel, wenn sich der Platz am Ende des Matches gefüllt hat, weil es die Fans sehen wollten. Manchmal habe ich mich aber gar nicht danach gefühlt. Manchmal habe ein bescheidenes Match gespielt, irgendwie glücklich gewonnen und mir war nach allem anderen zumute, als jetzt ein Tänzchen zu machen. So habe ich es dann zum Wohle von mir und zum Wohle aller anderen sein lassen.

SPOX: Also kein Petko-Dance mehr, aber dafür hoffentlich noch viele Erfolge. Sie standen bislang einmal in einem Grand-Slam-Halbfinale und haben immerhin sechs Titel eingefahren, dazu sich nach Verletzungen stark zurückgekämpft. Wenn Sie sich in Ihrer Karriere den Lebenstraum Grand-Slam-Titel nicht mehr erfüllen können, wären Sie trotzdem zufrieden?

Petkovic: Da ich so perfektionistisch bin, wäre ich wahrscheinlich unzufrieden. Manchmal ärgere ich mich darüber, dass ich irgendwie so guter Durchschnitt bin. Ja, ich habe viel erreicht, stand in den Top 10 und bin jetzt zumindest nahe dran, aber das ist nicht mehr als guter Durchschnitt. Das reicht mir nicht für meine Ansprüche und das nervt mich dann manchmal. Das Problem ist, dass die Konkurrenz unglaublich stark geworden ist. Als ich vor fünf Jahren in den Top 10 stand, war ich eine viel schlechtere Spielerin als heute. Ich habe so viel dazugelernt, mein Aufschlag ist so viel besser geworden, ich habe viel mehr Variation in meinem Spiel, ich bewege mich besser, ich bin agiler geworden, ich habe sogar ein bisschen abgenommen, ich bin fitter und ernähre mich besser. Das sind alles Aspekte, die mich zu einer besseren Spielerin machen, aber trotzdem reicht es nicht immer. Alle Spielerinnen arbeiten inzwischen so professionell und haben vier oder fünf Mann in ihrem Team. Dazu merkt man, dass sich viele Frauen speziell für Tennis entscheiden, weil man dort als Frau etwas erreichen und es als Frau in die absolute Öffentlichkeit und Weltspitze schaffen kann, was nicht immer so einfach ist. Wahrscheinlich muss ich es akzeptieren, wenn ich das große Ziel nicht erreiche, aber ich arbeite trotzdem weiter hart daran, dass ich irgendwann Grand-Slam-Siegerin bin.

SPOX: Es ist ja auch nicht ganz einfach aktuell, weil Serena Williams jeden Titel abräumt und wegnimmt. Serena ist in den einzelnen Matches nicht immer überlegen und schaut verwundbar aus, aber am Ende findet sie praktisch immer einen Weg, um doch als Siegerin den Court zu verlassen. Was macht Serena so einzigartig?

Petkovic: Serena ist Wahnsinn. Ich habe ja schon häufiger gegen sie gespielt und auch mal einen Satz gewonnen. Von der Grundlinie geht es einigermaßen. Es ist nicht so, dass du auf den Platz gehst und denkst, dass du von hinten keine Chance hast, weil sie dich weghaut. Du kannst sie schon unter Druck setzen. Die Krux ist, dass du bei ihrem Aufschlag viele Punkte verlierst, weil sie zu gut serviert. Viele Punkte gehen einfach so weg, das akkumuliert sich über längere Zeit. Ich habe einige Matches gegen sie 4:6, 4:6 oder in dem Muster verloren. Eigentlich gut gespielt, zweimal ein blödes Break bekommen und bei ihrem Aufschlag kommst du nicht ran, Ende. Der Aufschlag macht einen ganz großen Unterschied. Dazu hat sie das, was alle Champions haben. Sie hat irgendwas in sich, was sehr besonders ist. Wenn du sie reizt, wird sie wütend und kann diese Wut in Energie transformieren und spielt noch besser. Ich glaube, dass sie zwar auch Angst hat vor engen Situationen, aber diese Angst beeinträchtigt ihr Spiel nicht. Sie hat den unbedingten Willen.

SPOX: Serena hat in Wimbledon so gut wie immer auf dem Centre Court gespielt, einige andere Topspielerinnen nicht, was zur Debatte führte, ob Frauen bei der Ansetzung benachteiligt werden. War es Ihrer Meinung nach eine berechtigte Kritik?

Petkovic: Ich bin grundsätzlich für absolute Gleichheit. Für mich heißt das, dass man die Leistung beurteilt, nicht das Geschlecht. Ich will jetzt kein Match Petkovic vs. Dyas auf dem Centre Court sehen, wenn ich Federer gegen wen auch immer haben kann. Leistung muss entscheidend sein. Wenn Roger immer auf dem Centre Court spielen würde und Serena immer auf Court 1, könnte man sich fragen, ob da was falsch läuft. Aber wenn ich die Wahl zwischen Federer oder Djokovic und Petkovic habe, dann ist die Sache klar. (lacht) Ich will keine Frauenquote aufgrund der Frauenquote.

SPOX: Bei den US Open gibt es diese Debatte nicht, dort gibt es mindestens so viele Damen-Matches auf Arthur Ashe als Herren-Matches. Für Sie war New York in Ihrer Karriere nicht immer ein gutes Pflaster.

Petkovic: Das stimmt, ich habe bei den US Open ganz oft in der ersten Runde verloren. Ich habe aber auch positive Erinnerungen. In New York habe ich zum ersten Mal bei einem Grand Slam die zweite Woche erreicht, was für mich als junge Spielerin ein Meilenstein war. Dazu stand ich 2011 im Viertelfinale und war gegen Caroline Wozniacki relativ nahe am Halbfinale, den zweiten Satz hätte ich im Tiebreak eigentlich gewinnen müssen. Insgesamt sind die US Open sehr besonders. New York kann dich definitiv überrollen. Es ist so viel los. Die Stadt ist so voller Energie, sie kann aber auch viel Energie saugen. Wenn du in New York ankommst, musst du wirklich in einem guten Zustand sein. Normalerweise spiele ich ganz gerne in der Woche vor einem Grand Slam, jetzt habe ich mich entschieden, vorher Pause zu machen und nochmal Kräfte zu sammeln. Gerade bei den US Open ist es nochmal wichtiger, ausgeruht an den Start zu gehen, weil es am Ende der Saison ist und die Anstrengungen bis dahin schon sehr an den Kräften gezehrt haben. Mal schauen, ob der Plan aufgeht.

SPOX: New York als Stadt muss Ihnen ja eigentlich sehr gefallen. Könnten Sie sich vorstellen, dort zu leben?

Petkovic: Ich könnte mir auf jeden Fall vorstellen, in New York zu leben. Das denke ich mir immer wieder. Ich würde aber jetzt nicht unbedingt in Manhattan wohnen wollen. Ich würde dann nach Brooklyn oder Queens gehen, gerade wollte ich schon Bronx sagen, warum auch immer. (lacht) Manhattan wäre zu viel. Es ist so schon der Fall, dass du nach einigen Wochen in New York völlig fertig mit den Nerven und der Welt bist, weil so viele Eindrücke auf dich einprasseln. Du gehst nur auf die Straße und hast sofort so viele Eindrücke. Aber ich finde die Stadt super. Ich bin ja auch große Kunstliebhaberin und versuche, immer in Soho abzusteigen, weil es da die tollsten Galerien gibt. New York und Paris sind für mich ganz nah beieinander als die beiden besten Städte der Welt.

SPOX: Serena kann in New York den Grand Slam schaffen, bei den Herren dominiert Novak Djokovic aktuell das Geschehen. Gibt es etwas, das Sie sich vom Djoker abschauen können?

Petkovic: Seitdem ich bei den French Open alleine beim Mittagessen saß und Boris Becker sich zu mir gesetzt hat, nerve ich ihn und löchere ihn mit Fragen. Der Arme tut mir schon ganz leid. (lacht) Aber für mich ist es natürlich super. Von wem kann ich bitte mehr lernen als von ihm? Wenn ich ihn dann frage, dann frage ich ihn auch nach Djokovic. Nole ist anscheinend auch ein extremer Perfektionist, der seinen Tagesablauf extrem akribisch einteilt. Was ich mir vor allem ein bisschen abschauen und in meinen Trainingsplan integrieren will, ist das extrem Dehnbare. Seine unglaubliche Balance und seine unglaublichen Verteidigungskünste kommen ja genau daher. Ob er auf Rasen oder auf Hartplatz rutscht, macht für ihn gar keinen Unterschied mehr. Bei ihm liegt da sehr viel in der Natur, er ist ja ein bisschen agiler gebaut als ich. Aber ich will das auch versuchen, zum Beispiel dadurch, dass ich ein bisschen Yoga reinbringe. Ich nehme das jetzt im zweiten Halbjahr dazu und dann bin ich gespannt, ob ich eine Verbesserung feststelle.

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