Nadal rüttelt am Tennis-Olymp

Von Cliff Schmit
Der 27-jährige Spanier befindet sich aktuell vielleicht in der Form seines Lebens
© getty

Sieben Monate lang war Rafael Nadal von der Bildfläche verschwunden. Seit seinem Comeback im Februar spielt der Mallorquiner die Konkurrenz in Grund und Boden, der beeindruckende US-Open-Sieg ist ein weiterer Höhepunkt einer beispiellosen Saison. Der Spanier scheint gereift und hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Selbst die Bestmarken von Sampras und Federer könnten in nächster Zukunft wackeln.

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Es war in den letzten zwei, drei Jahren etwas ruhiger um Rafael Nadal geworden. Mit Ausnahme der abonnierten French Open hatte der Spanier seit seiner Fabelsaison 2010 keine ganz großen Turniersiege mehr feiern können, musste sich sogar drei Mal nacheinander Novak Djokovic in den Endspielen von Wimbledon, der US Open und der Australian Open geschlagen geben.

Hinzu kam, dass sich die Öffentlichkeit mehr mit anderen brennenden Fragen zu beschäftigen schien. Wann gewinnt Murray endlich sein erstes Grand-Slam-Turnier? Wieviele Majorsiege hat Roger Federer noch im Köcher oder welcher Spieler kann dauerhaft die Phalanx der großen Vier durchbrechen?

Als sich der Mallorquiner Mitte 2012 zudem wegen anhaltender Knieprobleme für mehr als sechs Monate komplett von der Tour verabschiedete, wurden sogar Stimmen über ein mögliches Karriereende laut.

Der beste Nadal aller Zeiten?

Wer nun aber das sensationelle US-Open-Finale gegen Novak Djokovic gesehen hat, der kann zwölf Monate später nur zu dem Schluss gelangen, dass ein Karriereende weiter entfernt scheint, als die nächste deutsche Nummer eins auf dem Circuit. Viel eher stellt sich die Frage: Erleben wir den besten Nadal aller Zeiten?

Fakt ist, dass der Mallorquiner auf dem Weg ist, die erfolgreichste Saison seiner elfjährigen Karriere zu spielen. 2005 konnte er elf Turniersiege feiern, schloss das Kalenderjahr mit einer 79:10-Bilanz ab. Blickt man auf die nackten Zahlen, so könnten beide Bestmarken in dieser Spielzeit mit Leichtigkeit fallen. Der Erfolg gegen Djokovic war bereits Saisonsieg Nummer 60 und das bei lediglich drei Niederlagen. Was die Turniererfolge 2013 betrifft, so ist der 27-Jährige mittlerweile bei zehn Titeln angelangt.

"Dieses Jahr ist einfach unbeschreiblich und vielleicht das emotionalste meiner bisherigen Laufbahn. Als ich verletzt war, hätte ich mir nicht ansatzweise erträumen können, wie sich diese Saison bis zum jetzigen Zeitpunkt entwickeln würde", versucht der zuletzt vom Glück Geküsste seine Triumphe einzuordnen.

Kein Sandplatzspezialist mehr

Viel aussagekräftiger als die unzähligen Siege, Titel und Statistiken ist jedoch die Art und Weise, wie der Linkshänder in den vergangenen Wochen und Monaten über die Center Courts pflügt. Nadal ist längst nicht mehr ausschließlich der Sandplatzspezialist, der er noch zu Beginn seiner Karriere war.

Die makellose Hartplatzsaison (22:0) untermauert deutlich, dass der Spanier zurzeit auch auf dem härtesten aller Beläge das Nonplusultra darstellt. Und dass er sich außerdem auf Rasen nicht unbedingt unwohl fühlt, haben nicht nur seine beiden Wimbledonsiege 2008 und 2010 gezeigt. Auch wenn es im All England Lawn Tennis and Croquet Club zuletzt zwei äußerst überraschende Erst- und Zweitrundenniederlagen setzte.

Ironie des Schicksals, dass es womöglich seine schwerwiegende Verletzung war, die den Spanier zu dem Überspieler hat werden lassen, der er momentan ist. Nadal hat sehr wohl registriert, dass er auf Hartplatz nicht mehr so rumrutschen kann, wie er das noch in früheren Tagen gemacht hat. Diese kraftzehrende Spielweise würden seine lädierten Knie nicht auf ewig mitmachen.

Erweitertes Repertoire

Zwar ist der Iberer weiterhin eine gewiefte und bewegliche Ballwand, er hat sein Repertoire in letzter Zeit jedoch um einige Facetten clever erweitert. Im Endspiel gegen Djokovic setzte er vor allem den Rückhandslice verstärkt ein, ließ sich nicht mehr so weit hinter die Grundlinie zurückdrängen und returnierte derart effektiv, dass er dem Weltranglistenersten gleich sieben Mal den Aufschlag abnahm. Hinzukommt, dass er selbst seit Wochen überragend aufschlägt.

Nichtsdestotrotz muss man konstatierten, dass bei Nadal zurzeit sicherlich alles passt. Sensationelle eigene Verfassung, überdimensionales Selbstvertrauen gepaart mit einer kleinen Schwächephase der Konkurrenz.

"Ich hatte meine Chancen im zweiten und dritten Satz. Das Momentum war definitiv auf meiner Seite, aber ich habe die sich mir bietenden Chancen nicht konsequent genug ausgenutzt und hatte es somit auch nicht verdient zu gewinnen," gab sich Djokovic im Anschluss an das Finale selbstkritisch.

Nadal gefühlte Nummer eins

Es wird spannend zu beobachten sein, wie der Serbe mit der Endspielniederlage umgehen wird. Djokovic hat mittlerweile vier der letzten fünf Grand-Slam-Finals verloren, sein Majorzähler steht weiterhin bei sechs. Der 26-Jährige ist auf dem Papier zwar weiterhin die Nummer eins der Welt, spätestens seit dem Erfolg in Flushing Meadows gehört die Tenniswelt jedoch wieder uneingeschränkt König Rafa.

"Dreizehn Grand-Slam-Titel in seinem Alter sind schon unglaublich. Man kann vor seinen Leistungen nur tiefsten Respekt empfinden," adelt Djokovic seinen Dauerrivalen gegen den er nun eine 15-22-Bilanz aufweist, "er ist definitiv einer der besten Spieler aller Zeiten."

Federer-Rekord in Gefahr?

Angesichts von Nadals Dominanz wird sicherlich wieder kontrovers diskutiert werden, ob der Spanier nicht nur einer der besten, sondern vielleicht der beste Spieler aller Zeiten ist. So lange der Rekord von Federer (17 Grand-Slam-Titel) Bestand hat, kann man diese Frage statistisch jedenfalls beantworten.

Bleibt Nadal gesund, und dies ist sicherlich das größte Fragezeichen bei seinem Gipfelsturm, so besteht kein Grund, wieso der 27-Jährige nicht die aktuelle Bestmarke von Federer angreifen könnte. Die vierzehn Grand-Slam-Titel von Sampras sind in dieser Verfassung jedenfalls keine Frage des ob, sondern eine Frage des wann.

"Lasst mich diesen Sieg bitte einfach nur auskosten," bat Nadal die Journalisten, die ihn bereits zu irgendwelchen Kampfansagen an die Konkurrenz verleiten wollten, "ich habe mehr erreicht, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Ich werde weiterhin hart an mir arbeiten und versuchen, mir so viele Chancen wie nur möglich herauszuspielen."

Kann Nadal das Niveau der letzten Wochen nur annähernd halten, so werden sich diese Chancen eher heute als morgen bieten - und die Federer-Nadal-Debatte wird ihn schneller einholen, als ihm vielleicht lieb ist.

Die Saison von Rafael Nadal