"Danke ans Leben"

Von Liane Killmann
Zärtlich umarmt Rafael Nadal seine achte Coupe de Mousquetaires, die Trophäe der French Open
© getty

Rafael Nadal gelingt mit seinem achten Sieg in Paris, was weder Roger Federer in Wimbledon, noch Pete Sampras in New York oder Roy Emerson in Melbourne schafften. Der Rekordtitel sichert dem Spanier ein weiteres Kapitel in den Geschichtsbüchern - vor allem aber krönt er sein Comeback nach langer Verletzungspause.

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Im Moment seines größten Triumphes ging Rafael Nadal zu Boden. Rückwärts sank er auf die geliebte rote Asche - erschöpft, erleichtert, glücklich. Der 27-Jährige hatte soeben Geschichte geschrieben. Als erster Spieler feierte er den achten Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Natürlich gelang dem Spanier das Kunststück in Roland Garros, wo er sich schon vor einem Jahr zum alleinigen Rekordsieger gekrönt hatte.

"Ich spiele, seit ich ein Kind bin. Ich habe nicht gedacht, dass ich in der Lage wäre, so etwas zu schaffen", sagte Nadal, als er sich den Sand abgeklopft hatte. Nicht etwa Frankreichs Held Yannick Noah 30 Jahre nach seinem Sieg, Usain Bolt wurde die Ehre zuteil, die Trophäe zu überreichen.

Die Presse krönte Nadal am Montag zu ‚Rafa VIII.' ("Mundo Deportivo"), erhob ihn zur ‚Tennislegende' ("Marca"), nannte ihn den ‚Allergrößten' ("Sport") und ‚unbezwingbar' ("Le Parisien"). Der "Guardian" verglich seine Dominanz in Paris mit der von Sir Alex Ferguson im Old Trafford.

"Ich denke nicht, dass dieser Sport eines Tages etwas Vergleichbares sehen wird", sagte Andre Agassi der "L'Équipe".

"Einfach der Beste"

"Er ist einfach der Beste." So zollte der unterlegene David Ferrer dem Gegner noch auf dem Platz Respekt. Der 31-Jährige kann das beurteilen: Seit neun Jahren hat er Nadal auf Sand nicht mehr geschlagen.

Nadals 6:3, 6:2, 6:3-Triumph über den Freund geriet vor den Augen des spanischen Prinzen Felipe eindeutig. Zwar verliefen etliche Aufschlagspiele hartumkämpft, in den entscheidenden Momenten aber schlug Nadal zu, nutzte 7/14 Breakbällen. Seine Topspin-Vorhand büßte trotz des ungeliebten Nieselregens nur wenig an Schärfe ein. Ferrer rackerte für jeden Punkt bis zum Umfallen und musste deutlich weitere Wege gehen, als der Gegner.

"Ich gratuliere David zu seiner Leistung", sagte Nadal, und an Ferrer gewandt: "Es war mir eine Ehre, gegen Dich anzutreten. Es ist außerordentlich, was Du fürs spanische Tennis tust."

Während Ferrer ohne Satzverlust in sein erstes Grand-Slam-Finale eingezogen war, hatte Nadal in den ersten beiden Runden, als es in Paris noch empfindlich kalt war, je einen Satz abgegeben. Nach seinem epischen 6:4, 3:6, 6:1, 6:7 und 9:7-Erfolg in einem hochklassigen Halbfinale gegen Novak Djokovic aber war klar: Dieser Nadal ist nicht zu stoppen.

Sieben Monate Zwangspause

Dabei schien es noch vor einem halben Jahr schlicht undenkbar, dass Nadal wieder konkurrenzfähig und konstant auf der Tour spielen könnte. Eine Entzündung im Fettgewebe unter der Patellasehne im linken Knie legte ihn lahm. Nach seinem Aus in der zweiten Runde von Wimbledon vor knapp einem Jahr war er zum Nichtstun gezwungen.

222 Tage sollte diese Zwangspause dauern. Nacheinander sagte der Mallorquiner seine Teilnahme bei den Olympischen Spielen, den US Open und den Australian Open ab. Sieben Monate ohne ein Tennismatch.

"Das ist ein spezieller Sieg für mich nach der langen Verletzung", sagte Nadal und dankte seinen Unterstützern. "Ohne meine Familie und mein Team wäre ich nicht hier, wir hatten im vorigen Jahr lange Momente."

Die Schmerzen im Knie sind trotz der langen Schonung nie ganz verschwunden. Bei seinem Comeback in Vina del Mar plagten ihn "unfassbare Schmerzen" - er kam bis ins Finale. In den Wochen danach gewann er auf Anhieb sechs Turniere. Fünf davon auf Sand. Dazu der Sieg in Indian Wells, sein erster Titel auf Hardcourt seit 2010. Die Erfolge ließen die Zweifler verstummen, die Fitness stimmte wieder. Doch noch Ende April beim Erfolg in Barcelona sorgte sich Nadal um sein Knie. Die Entzündung ist chronisch.

Bangen um die Karriere?

Wie groß die Zweifel im Lager des Mallorquiners an einem Comeback tatsächlich waren? Nach dem Marathon-Match über Djokovic wurde Toni Nadal, Rafaels Onkel und Coach, in einem Interview dazu befragt - und brach in Tränen aus. Das Gespräch wurde abgebrochen.

Das Bangen um die Fortsetzung der Karriere muss auch seelisch an Rafael Nadal genagt haben. Auf dem Platz merkt man ihm das nicht an: Er hatte Ferrer im zweiten Satz soeben wieder ein paar Vorhände um die Ohren gehauen, da unterlief ihm ein leichter Fehler. Verärgert schlug sich Nadal mit der Hand vor die Stirn - er führte zu diesem Zeitpunkt 6:3 und 3:0.

Gut möglich, dass er ihm Wissen, dass sein Knie ihm jederzeit wieder einen Strich durch die Rechnung machen kann, noch fokussierter spielt als vor der Pause. Andre Agassi traut Nadal nach seinem zwölften Grand-Slam-Titel zu, die Bestmarke von Roger Federer (17) noch einmal anzugreifen. Nadal aber sagt: "Ich denke nur von Tag zu Tag, von Match zu Match." Und man nimmt es ihm ab.

Wie er dort auf dem Chatrier seinen achten Coupe de Mousquetaire umarmte, zärtlich fast, da ahnten die Zuschauer, wie sehr er den Sport vermisst hatte. Wie dankbar er für jedes schmerzfreie Match ist. Als Nadal sich mit den Worten "Danke ans Leben" von ihnen verabschiedete, da wussten sie es.

Eine Laune der Weltrangliste

Kurios: Nadal rutscht trotz seines Rekordtriumphs in der ATP-Rangliste um einen Platz ab auf Rang vier - überholt ausgerechnet vom geschlagenen Ferrer. Für Nadal nichts als eine Randnotiz: "Die Nummer eins am Jahresende zu sein, ist im Moment nicht mein Ziel." Ab Wimbledon hat er ohnehin sieben Monate lang keine Punkte mehr zu verteidigen.

Auf Rat seiner Ärzte verzichtet Nadal auf ein Vorbereitungsturnier auf Rasen. Seine Absage ist für die Veranstalter der Gerry Weber Open in Halle ärgerlich, für den Spieler aber die einzig mögliche Entscheidung. Nadal weiß dank Paris zwar, dass er seinem Körper wieder alles abverlangen kann. Aber auch, dass er es nicht jede Woche tun darf.

Die ATP-Weltrangliste