Wir sind Rasen!

Von Florian Regelmann
Alexander Popp erreichte 2000 und 2003 das Viertelfinale von Wimbledon
© Getty

Wimbledon steht bevor - und es gibt durchaus Hoffnung auf eine deutsche Sensation. Warum? Weil in Wimbledon ständig irgendein Deutscher aus dem Nichts groß auftrumpft. SPOX-Redakteur Florian Regelmann erinnert sich an die Alexander Popps dieser Welt.

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Wer in der zweiten Woche der French Open in Roland Garros einen deutschen Spieler suchte, der musste sich auf die Außenplätze zum Nachwuchs begeben. Philipp Kohlschreiber und Julian Reister waren in der dritten Runde die letzten DTB-Jungs, die ausschieden. Na ja, irgendwie typisch eben.

Aber zum Glück beginnt nach Paris sofort die kurze, knackige Rasen-Saison. Und wenn man sich die Geschichte so anschaut, dann kann man nur feststellen: Wir sind sicher nicht Sand, aber wir sind Rasen!

Aber nicht nur wegen der Triumphe von Boris Becker und Michael Stich, sondern wegen der vielen Geschichten von deutschen Überraschungen. Wir erinnern uns und staunen immer noch...

Alex Radulescu 1996: Der gebürtige Rumäne stand in der Weltrangliste nie höher als auf Rang 51, aber im Alter von 21 Jahren hatte er auf dem heiligen Rasen seinen großen Auftritt. Er wurde zum Fünfsatz-Gott. In Runde eins besiegte Radulescu den an 15 gesetzten Franzosen Arnaud Boetsch mit 6:3, 6:4, 6:7, 5:7, 9:7 - in Runde zwei wurde es gegen den Italiener Stefano Pescosolido genauso dramatisch. Nach 0:2-Satzrückstand siegte Radulescu mit 4:6, 6:7, 7:6, 6:1, 10:8.

Nach dem nächsten Fünfsatzkrimi gegen David Wheaton (6:7, 6:4, 6:4, 4:6, 6:3) machte Radulescu im Achtelfinale mit dem südafrikanischen Qualifikanten Neville Godwin kurzen Prozess (6:3, 6:0, 6:4). Godwin hatte in der Runde zuvor von der verletzungsbedingten Aufgabe von Becker profitiert. Erst im Viertelfinale wurde Radulescu von MaliVai Washington gestoppt.

Der charismatische US-Boy siegte mit 6:7, 7:6, 5:7, 7:6, 6:2. So ergab sich nach einem völlig verrückten Turnier - Andre Agassi ging schon in Runde eins gegen Doug Flach raus - ein Halbfinale zum Zungeschnalzen: Washington, Todd Martin, Jason Stoltenberg und Sampras-Bezwinger Richard Krajicek. Am Ende holte sich Krajicek gegen Washington den Titel - einige werden sich aber eher noch an die Flitzerin als an das Match selbst erinnern.

Alexander Popp 2000: Es war das erste von zwei unvergesslichen Wimbledon-Abenteuern des 2,01-Meter-Schlacks. Dabei ging es 2000 gar nicht gut los für Popp. Er verlor den ersten Satz seiner Erstrundenpartie gegen Ronald Agenor aus Haiti mit 0:6, drehte das Match dann aber noch und gewann die nächsten drei Sätze mit 7:5, 7:6 und 6:2.

In Runde zwei folgte eine wahnsinnige Schlacht gegen den drei Meter kleineren Michael Chang - Popp triumphierte 7:6, 4:6, 6:7, 6:3 und 8:6. Als er dann auch noch Gustavo Kuerten vom Platz schoss (7:6, 6:2, 6:1), wurde die Öffentlichkeit endgültig auf den jungen Poppeye aufmerksam. Da seine Mutter aus England kommt, fand auch die englische Presse schnell Gefallen an Popp.

Nach einem Achtelfinal-Sieg gegen Marc Rosset (6:1, 6:4, 3:6, 4:6, 6:1), mit David Prinosil stand sogar noch ein zweiter Deutscher unter den letzten 16, war erst im Viertelfinale Endstation. Patrick Rafter war für Popp beim 6:3, 6:2, 7:6 eine Nummer zu groß. Den Titel holte sich Pete Sampras, der den Aussie in einem hochklassigen Endspiel bezwang. Ach ja, noch was: Ein gewisser Roger Federer trat zum zweiten Mal in Wimbledon an. Und zum zweiten Mal war in Runde eins sofort Schluss.

Alexander Popp 2003: Drei Jahre nach seinem Viertelfinal-Einzug schrieb Popp das zweite Kapitel seiner Wimbledon-Geschichte. Er hatte inzwischen den Ruf des Nine-Day-Wonders bekommen, weil er außer in Wimbledon nichts mehr auf die Reihe bekam. Dass Popp am Pfeiferschen Drüsenfieber erkrankte und deshalb nicht den Weg machte, den er hätte machen können, wird oft vergessen.

2003 zeigte er jedenfalls noch mal, was er auf Rasen drauf hat. Nach Siegen gegen Hicham Arazi (6:4, 7:6, 6:3), Raemon Sluiter (7:4, 4:6, 6:3, 6:7, 6:2), Jiri Novak (6:3, 6:4, 7:6) und Olivier Rochus (5:7, 6:3, 6:4, 6:2) stand Popp erneut unter den letzten Acht.

Fast wäre er sogar ins Halbfinale marschiert. Gegen Mark Philippoussis führte er mit 2:0-Sätzen (6:4, 6:4), bevor er in einem echten Drama die nächsten drei Sätze 3:6, 3:6 und 6:8 abgab. Philippoussis verlor anschließend das Finale gegen Federer, der seinen ersten Wimbledon-Sieg holte.

Florian Mayer 2004: Neues Jahr, neue deutsche Überraschung. Popp spielte wieder stark, bis er im Achtelfinale an Andy Roddick scheiterte, aber noch stärker spielte Florian Mayer. Der damals 20-Jährige machte den Anschein, als könnte er ein echter Star werden. Mayer spielte sich mit brillantem Tennis bis ins Viertelfinale.

Wayne Arthurs (7:6, 7:6, 6:4), der an drei gesetzte Guillermo Coria (4:6, 6:3, 6:4, 6:4), Wayne Ferreira (4:6, 6:4, 6:1, 6:4) und Joachim Johansson (6:3, 6:7, 7:6, 6:4) scheiterten alle an Mayer.

Erst der Franzose Sebastien Grosjean stoppte Mayers Siegeszug mit einem 7:5, 6:4, 6:2-Erfolg. Der Titel ging erneut an Federer, der sich im Endspiel gegen Roddick durchsetzte.

Rainer Schüttler 2008: Im Jahr 2003 wurde Rainer Schüttler durch seine Finalteilnahme bei den Australian Open berühmt, danach verschwand er größtenteils von der Bildfläche - aber 2008 tauchte er zur großen Verblüffung wieder auf.

Der Shaker besiegte nacheinander Santiago Ventura (6:3, 6:2, 6:4), James Blake (6:3, 6:7, 4:6, 6:4, 6:4), Guillermo Garcia-Lopez (6:2, 6:3, 6:4), Roddick-Bezwinger Janko Tipsarevic (6:4, 3:6, 6:4, 7:6) und in einem unglaublichen Match Arnaud Clement (6:3, 5:7, 7:6, 6:7, 8:6). Ein Schüttler-Clement-Wimbledon-Viertelfnale ist an sich schon schockierend genug und dann erreichte der gute Rainer tatsächlich das Halbfinale - ich weiß bis heute nicht, wie er das gemacht hat.

Gegen Rafael Nadal hatte er dann keine Chance (1:6, 6:7, 4:6), sodass es zum Traumfinale zwischen Nadal und Federer kam, das der Spanier mit 6:4, 6:4, 6:7, 6:7, 9:7 gewann. Ohne Zweifel eines der besten Tennis-Matches aller Zeiten. Für mich das beste, das ich je gesehen habe.

Tommy Haas 2009: Es war keine Sensation wie die anderen zuvor, weil Tommy Haas von seinem spielerischen Potenzial einfach jederzeit ein Grand-Slam-Halbfinale erreichen kann, aber dennoch war es ein weiteres großes Wimbledon-Turnier eines Deutschen.

Haas spielte sich mit Siegen über Alex Peya (6:7, 7:6, 6:3, 6:4), Michael Llodra (4:3 Aufgabe), Marin Cilic (7:5, 7:5, 1:6, 6:7, 10:8), Igor Andrejew (7:6, 6:4, 6:4) und Novak Djokovic (7:5, 7:6, 4:6, 6:3) ins Halbfinale, ehe er gegen Federer gut mithielt, aber letztlich nicht viel zu bestellen hatte. 6:7, 5:7, 3:6.

Das Finale von Federer gegen Roddick ging auch wieder in die Geschichtsbücher ein. 5:7, 7:6, 7:6, 3:6, 16:14 für den Schweizer, der vor den Augen von Sampras mit seinem 15. Major-Titel dessen Grand-Slam-Rekord brach. Ein echtes Gänsehaut-Match.

??? 2010: Welcher Deutsche könnte in diesem Jahr für Furore sorgen? Benjamin Becker und schon wieder Schüttler haben im Vorfeld eine starke Rasen-Form gezeigt, allerdings bekommen sie bei einem normalen Verlauf schon in Runde zwei (Becker vs. Berdych/ Schüttler vs. Wawrinka) ganz harte Gegner.

Sollten sie hier aber bestehen, ist ein Viertelfinale gegen Federer absolut drin, da beide in der Nikolai "mich kann auf Rasen jeder schlagen" Dawydenko-Sektion des Tableaus sind. Kohlschreiber (3. Runde vs. Roddick), Petzschner (3. Runde vs. Lleyton Hewitt) und Mayer (1. Runde vs. Cilic) haben meiner Meinung nach kaum eine Chance, weit zu kommen.

Da setze ich eher auf Andreas Beck und Nicolas Kiefer, die beide gutes Rasentennis spielen können und eine gute Auslosung haben. Vor allem Kiwi ist gefährlich. Wenn er in Runde eins Sandplatzterrier David Ferrer rausnehmen kann, öffnet sich so einiges im Tableau.

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