Bitte keine Rufe nach Haas

Von Florian Regelmann
Tommy Haas wollte sich die Partie in Spanien nicht antun
© Getty

Deutschland hat das Viertelfinale gegen Spanien in Marbella zwar knapp verloren, dennoch gab es einen großen Gewinner: Philipp Kohlschreiber. SPOX sagt, warum es trotz der Pleite im deutschen Männer-Tennis nicht so schlecht aussieht und es die richtige Entscheidung war, auf Andreas Beck zu setzen. Die Schuld am Aus tragen andere.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Kopf hoch, Andi Beck!

Wer selbst einmal Tennis gespielt hat und Andreas Beck nach seiner Niederlage im entscheidenden Einzel gegen Juan Carlos Ferrero heulend auf der Bank gesehen hat, der hätte mitschluchzen können. Man muss sich in einen 23-jährigen Davis-Cup-Debütanten hineinfühlen, der nichts lieber will als zum Held für sein Land zu werden, aber vor lauter Nervosität total verkrampft. Phasenweise deutete Beck sein Riesenpotenzial an und packte seine Vorhandschleuder aus, aber er konnte sich nie richtig freispielen. Entweder war er zu zaghaft oder er gab zu viel Gas, er fand nie das richtige Maß. Nicht im ersten Match gegen Fernando Verdasco und auch nicht im Spiel gegen Ferrero.

Hätte Beck das gespielt, was er kann, Deutschland stünde im Halbfinale gegen Israel und hätte eine große Chance auf das Finale. Ja, sogar ein Davis-Cup-Triumph wäre absolut möglich gewesen. Aber Beck, der eigentlich große Matches auf großer Bühne liebt und in der Jugendzeit schon viele Matches für Deutschland spielte, musste feststellen, dass eine Davis-Cup-Partie in Spanien vor einer unglaublichen Kulisse noch mal was ganz anderes ist als beispielsweise ein Centre-Court-Match gegen Rafael Nadal in Wimbledon. Dennoch: Becks Nominierung war richtig. Er wird auch dank dieser Erfahrung in Zukunft die Top-20 anvisieren und noch so einige wichtige Matches für den DTB gewinnen. Und das ist keine gewagte Prognose.

Wer ruft hier nach Tommy Haas?

Bei jedem Unforced Error von Andreas Beck konnte man sie hören. Die Stimmen, die nach Tommy Haas riefen. Wäre der Wimbledon-Halbfinalist jetzt da, würden wir das ja locker gewinnen. Stopp! Erstens: Tommy Haas wollte nicht in Spanien spielen. Nicht Teamchef Patrik Kühnen hat das entschieden, sondern Haas ganz alleine. Er wollte sich und seiner Schulter keine Sandplatzschlachten antun. Das ist auch völlig in Ordnung so. Haas hat über Jahre hinweg im Davis Cup herausragende Leistungen gezeigt.

Es gab für ihn nichts Größeres als für Deutschland zu beißen und zu gewinnen. Es kann ihm niemand verdenken, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt seiner Karriere zuerst um sich selbst kümmert. Eine weitere Schulterverletzung würde das Karriereende bedeuten. Trotzdem darf man ruhig davon ausgehen, dass sich Haas die Partie im Fernsehen angeschaut hat und sich folgendes dachte: "Ich konnte doch nicht wissen, dass wir in Spanien tatsächlich so eine große Chance bekommen. Wenn ich das gewusst hätte. Mann, Mann, Mann..."

Der neue Philipp Kohlschreiber

Respekt vor Kohli! Was Philipp Kohlschreiber in seinen beiden Matches ablieferte, war absolute Extraklasse. Am ersten Tag führte Kohlschreiber Tommy Robredo derart vor, dass der Spanier sofort im Anschluss entnervt auf den Trainingsplatz flüchtete, um seine Rückhand zu trainieren. Verdasco erging es zwei Sätze lang kaum besser gegen den Deutschen. Kohlschreiber spielte klug, er spielte mit einer unglaublichen Ruhe und Sachlichkeit, und er donnerte einen Winner nach dem anderen ins Feld des Spaniers.

Danach folgte zwar ein Durchhänger, aber wie sich Kohlschreiber dann im fünften Satz doch noch zum Sieg fightete, zeigt, dass es einen neuen Kohli gibt. Früher hätte er solche Matches abgegeben. Jetzt scheint er gereift und bereit dafür, an der Spitze anzuklopfen. Wenn er so weitermacht, dann muss er, die Betonung liegt auf "muss", in absehbarer Zeit in den Top-10 stehen. Auf der Tour gibt es über sein Potenzial keine zwei Meinungen. French-Open-Finalist Robin Söderling bezeichnete Kohlschreiber vor kurzem als den am meisten unterschätzten Spieler im Circuit. Auch Roger Federer hält viel von Kohli. Vielleicht geben ihm die Siege beim Davis Cup den Schub, um in den nächsten Wochen und Monaten durchzustarten.

Ein Doppel zum Vergessen: Nicolas Kiefer/Mischa Zverev

Wenn Kohlschreiber so überragend war und man Beck keinen Vorwurf machen kann, bleiben nur zwei Jungs, die die Hauptschuld an der Niederlage tragen müssen. Und das tun sie völlig zu Recht. Beim World Team Cup in Düsseldorf hatten Nicolas Kiefer und Mischa Zverev noch überzeugt, aber was die beiden im so wichtigen Doppel in Spanien boten, war eine einzige Katastrophe. Zverev wurde wie Beck bei seinem Debüt von der Atmosphäre erdrückt und spielte zum Schluss nur noch zweite Aufschläge mit Minus-Geschwindigkeit.

Und Kiefer? Der war einfach nur der Kiefer, den man im Davis Cup schon häufiger gesehen hat. Zwischendurch versuchte er zwar Zverev zu führen und sich zu pushen, aber wenn einer der besten Returnspieler der Tour einen Return nach dem anderen verhaut, dann reicht es eben nicht. Man darf gespannt sein, wie es in Sachen Doppel im DTB-Team weitergeht. Zverev bleibt aufgrund seines Talents eine Option, genauso wie Philipp Petzschner oder die Doppel-Spezialisten wie Michael Kohlmann und Christopher Kas.

Deutsches Männer-Tennis ist nicht am Boden

Auch wenn es mit dem Halbfinale nicht geklappt hat und es zugegeben komisch klingt, das deutsche Tennis steht gar nicht so schlecht da, wie es gerne gesehen wird. Klar fehlt der absolute Superstar, der Grand Slams gewinnt, aber sieben Spieler in den Top-51, da wären einige andere stolze Tennis-Nationen froh.

Die Schweden haben Söderling und danach nichts. Absolut nichts. Genauso sieht es bei den Australiern aus, die gerade einen Spieler in den Top-100 (Lleyton Hewitt) haben. Fast nicht zu glauben. Auch im Junioren-Bereich gibt es in Deutschland nach jahrelanger Durststrecke mit Talenten wie Dominik Schulz Lichtblicke. Es tut sich was.

Beck überfordert - DTB-Team raus