"Joey Kelly kennt kein Nein"

Von Interview: Benedikt Treuer
Joey Kelly (l.) und Rudi Altig befuhren gemeinsam den Nordseeküstenradweg
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Zwei Ihrer größten Erfolge standen in den 60ern noch aus - der Sieg bei der Straßen-WM 1966 auf dem Nürburgring und der Titel beim Klassiker Mailand-San Remo. Bei ersterem holten Sie sieben Kilometer vor dem Ziel noch unfassbare 50 Sekunden auf. Wie kann man diese Kraft- und Willensleistung erklären?

Altig: Das kann man nicht erklären. Ich war einfach ein guter Zeitfahrer und konnte das. Ich habe den Moment ergriffen, aber was soll man dazu sagen? Wenn es klappt, ist es gut - wenn nicht, hat man Pech gehabt. Ich weiß nicht, wie sich die Konkurrenz gefühlt hat, aber ich habe mich gut gefühlt. Wenn sie das Tempo nicht mithalten konnten, war ich wohl besser.

SPOX: Zu dieser Zeit handelten Sie sich auch den Spitznamen "Radelnde Apotheke" ein - basierend auf einer Aussage, die Sie eigentlich ironisch gemeint hatten. Können Sie heute darüber lachen oder nervt Sie der Spitzname nur noch?

Altig: Ich lache darüber. Es erfreut mich zwar nicht, aber ich weiß, was ich in meiner Karriere gemacht habe. Ein Journalist hat diesen Ausdruck in die Welt gesetzt - weil ich eine Dummheit begangen habe. Bei einer Kontrolle habe ich ein paar Medikamente aufgezählt, die mir in den Kopf kamen. Ich habe diese Medikamente zwar genommen, aber es waren alles Präparate, die nicht verboten waren. Der Kommissar schrieb alles auf und gab diesen Zettel an einen deutschen Journalisten weiter. Der sagte sich: "Wenn der Altig das alles gefressen hat, ist er eine fahrende Apotheke."

SPOX: Sie sagten einst aus, zu Ihrer Zeit habe man höchstens mal geschnupft. Können Sie das erklären?

Altig: Jeder hat mal einen Schnupfen gehabt. Und wenn man Schnupfen hat, muss man schnupfen (lacht).

SPOX: Möchten Sie das ein wenig konkretisieren?

Altig: Man muss doch nicht immer leben wie ein Asket. Das Schöne am Leben ist, dass nicht jeder Tag gleich aussieht - wie ein Programm, das man immer wieder abspult. Sich einreden zu lassen, kein Bier trinken zu dürfen oder andere Dinge nicht zu tun, ist doch Quatsch. Wenn ich mich aber auf eine Sache vorbereite, dann mache ich das auch hundertprozentig und diszipliniert. Wenn die Sache abgeschlossen ist, kann man sich doch mal gehen lassen. Jeden Tag trainieren und dabei aufzupassen, dies oder jenes nicht zu tun - da macht das Leben doch keinen Spaß. Ich bin Rad gefahren, um zu leben und habe nicht gelebt, um Rad zu fahren.

SPOX: Sie haben bei der Tour de France 1966 in Gradignan gegen die ersten Doping-Kontrollen aber sogar gestreikt - warum?

Altig: Weil alle gestreikt haben, dann macht man mit.

SPOX: 1969 wurden Sie überraschend einmal positiv auf Amphetamine getestet. Es gab einige Stimmen, die sagten, Sie seien damals das Bauernopfer der Tour-Chefs gewesen, man wollte an Ihnen ein Exempel statuieren. Trifft es das auf den Punkt?

Altig: Das ist mir egal. Seitdem sind so viele Jahre vergangen, darüber mache ich mir keine Gedanken mehr. Natürlich habe ich heute noch eine Meinung dazu. Wenn ich das in der jetzigen Gesellschaft aber jemandem erzähle, wird er mir sagen: "Ja, du hast Recht, aber sag es bloß nicht laut." Deswegen möchte ich nicht mehr darüber reden.

SPOX: Den nächsten Rudi Altig vermissen wir aus deutscher Sicht aber trotzdem noch. Seit Ihnen 1966 hat es keinen deutschen Weltmeister mehr im Straßenrennen gegeben.

Altig: Es ist wirklich schade, wenngleich wir ein paar Mal nah dran waren. Golz und Zabel hatten beispielsweise gute Chancen. Ich hoffe aber nach wie vor, dass ich irgendwann noch einmal erleben darf, dass nach mir ein anderer Deutscher in das Trikot schlüpft. Es wäre absolut schön, mit ihm fotografiert zu werden.

SPOX: Führen Sie den fehlenden Erfolg teilweise auch darauf zurück, dass der Radsport in Deutschland durch sein Image generell einen schwereren Stand hat als in anderen Ländern?

Altig: Das ist ein deutsches Phänomen, an dem vor allem die Medien schuld sind. Auf den Radsport wird immer eingeprügelt. Wenn ich nach Frankreich, Italien oder Spanien komme, werde ich immer gefragt: "Was habt ihr in Deutschland für ein Problem?" Es gibt doch auch andere Sportarten, in denen nicht immer sauber gearbeitet wurde. Sport ist ein Teil der Gesellschaft. Und einem Teil der Gesellschaft kann man die Medizin doch nicht wegnehmen und eine weiße Weste anziehen, die es gar nicht gibt. Die gibt es nicht in der Politik, nicht im Business und eben auch nicht im Sport. Würden die Medien nicht immer wieder darin herumwühlen, hätten es die Zuschauer schon längst wieder vergessen. Weil der Radsport so anspruchsvoll und schwierig ist, meinen Außenstehende wohl, es geht nicht ohne Betrug.

SPOX: Dass es in den letzten Jahren immer wieder Zwischenfälle gab, ist aber nicht zu leugnen.

Altig: Natürlich nicht. Das ist aber nur, weil mehr kontrolliert wird als in anderen Sportarten. Gäbe es dort mehr und intensivere Kontrollen, würde auch in anderen Sportbereichen mehr ans Licht kommen. Es bringt aber nichts, sich darüber aufzuregen. Ich beschäftige mich heute lieber mit anderen Dingen.

SPOX: Zum Beispiel mit Radtouren mit Joey Kelly. Wann sehen wir denn die nächste Rundreise?

Altig: Noch ist nichts geplant (lacht). Vielleicht machen wir aber eine Ostseeküstenrundfahrt oder eine Tour entlang der Loire. Oder stellen Sie sich mal vor, wir umfahren einmal Italien! Es gibt genügend Möglichkeiten und solange ich mir dadurch nicht das Weiß aus den Augen fahre, würde ich so etwas sofort noch einmal mitmachen.

Seite 1: Altig über die Kelly Family und eine Panne, die zum Gänsehautmoment wurde

Seite 2: Altig über das Radsport-Image und den Wunsch, sich mal gehen zu lassen

Artikel und Videos zum Thema