"Kurz das Herz stehengeblieben"

Silber? Echt jetzt? Jennifer Oeser (l.) gratuliert ihrer Trainingskollegin Cindy Roleder zur WM-Medaille
© getty

Cindy Roleder kann ihr Glück kaum fassen. Ihr Sensationssilber im Hürdensprint rundet einen deutschen Tag ab, der dank der Zehnkämpfer auch für den Samstag auf Edelmetall hoffen lässt. Herausragende Leistungen für die Geschichtsbücher liefern Ashton Eaton und Dafne Schippers ab.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Ich kann es gar nicht fassen. Das war das Rennen meines Lebens", so schüttelte Cindy Roleder vor fast allen Mikros, in die sie im Pekinger Vogelnest sprach, ungläubig den Kopf. "Ich hätte niemals gedacht, dass ich eine Medaille gewinne. Das ist ein Traum", sagte sie dem ZDF.

Der Tag zum Nachlesen

Das Bangen nach dem Rennen dauerte höchstens eine Minute, ihr kam es länger vor: "Ich wusste, dass ich weit vorne war und dann kann man einfach nur hoffen. Als Platz zwei da stand, ist mir kurz das Herz stehengeblieben. Ich bin 1A gelaufen und hätte nie gedacht, dass das hier möglich ist. Das ist einfach ein Traum."

Schippers: Nie wieder Siebenkampf

Und während Sprintqueen Dafne Schippers sich in der Mixed Zone endgültig von ihrer Vergangenheit als Siebenkämpferin verabschiedete, stellte Roleder klar: "Ich mache genau so weiter. Ich werde weiter Siebenkampf trainieren. Dann schaue ich mir weiter die Hürden an." Vor anderthalb Jahren hatte sich die Leipzigerin entschlossen, Mehrkampf zu trainieren und sich der Hallenser Trainingsgruppe um Michael Schrader, Rico Freimuth und Jennifer Oeser angeschlossen.

Freimuth, Kai Kazmirek und Schrader rangieren in ihrem Zehnkampf bei Halbzeit auf den Plätzen drei, vier und fünf.

Am Samstag gibt's in Peking wieder das volle Programm: Im Hochsprung klopft Marie-Laurence Jungfleisch an die Weltspitze, Christoph Harting will seinem Namen alle Ehre machen und dazu steigen die Sprintstaffeln mit Schippers, Bolt und Gatlin. Aus deutscher Sicht am aussichtsreichsten: Die Zehnkämpfer, die auf den Plätzen drei bis fünf in ihren zweiten Tag gehen. Im LIVETICKER verpasst Ihr nichts.

Die Entscheidungen des Tages

20 km Gehen Frauen: Der erste Doppelsieg für China katapultierte die Gastgeber im Medaillenspiegel auf Rang sieben, sie liegen nun unmittelbar vor der deutschen Mannschaft.

Weitsprung Frauen: Absolut hochklassige Konkurrenz in der Sandgrube! Wann sprangen schon mal drei Frauen bei so einem wichtigen Wettbewerb über die 7-Meter-Marke? Tianna Bartoletta (USA) sprang im letzten Durchgang mit 7,14m noch ganz nach vorn. Jammerschade, dass Malaika Mihambo bereits in ihrem zweiten (und stärksten) Versuch über 6,79m jenes Ziehen im Oberschenkel spürte. Am Ende stand Platz sechs.

200 m Frauen: War es ausgangs der Kurve noch eng, so zog Dafne Schippers der Konkurrenz auf der Zielgeraden unwiderstehlich davon. 21,63 Sekunden bedeuten gleichzeitig die viertschnellste jemals gelaufene Zeit.

110 m Hürden: Der Überraschungssieger im Hürdensprint heißt Sergej Schubenkow. Hansle Parchment aus Jamaika verwies Weltrekordler und Olympiasieger Aries Merritt aus den USA auf die Plätze. Wir wünschen Merritt alles Gute für die nahe Zukunft, am Dienstag erhält der Bronzegewinner eine Spenderniere von seiner Schwester.

100 m Hürden: Der siebte WM-Tag war für den DLV fast schon fest unter "medaillenlos" verbucht, als der letzte Endlauf DIE Überraschungsmedaille nach Gesa-Felicitas Krause lieferte: Cindy Roleder verbesserte ihre Bestzeit nach dem Halbfinale noch einmal um zwei Zehntel, gewann sensationell Silber und schrammte hauchdünn (siehe Zahlen des Tages) am Titel vorbei.

Mann des Tages: Ashton Eaton

Olympiasieger, Titelverteidiger und Weltrekordler. Der Mann ist dermaßen auf Gold abonniert, dass man die Motivation der Gladiatoren im Feld hinter ihm bewundern muss. Die Krone setze Eaton seinem herausragenden ersten Tag in Peking mit dem 400-m-Lauf auf. Eaton hängte seine stärksten Konkurrenten über die Stadionrunde mal eben um die 80 Meter ab - und lief Weltrekord im Rahmen eines Mehrkampfs (siehe Zahlen des Tages). Die abgehängten Deutschen liefen im übrigen persönliche Bestzeiten.

Frau des Tages: Dafne Schippers

Dafne Schippers hat sich in der ewigen Bestenliste mit ihrem Europarekord von 21,63 Sekunden auf Rang drei geschoben. Nur die Florence Griffith-Joyner (21,34 und 21,56/1988) und Doperin Marion Jones (21,62/1998) waren je schneller. "Was für ein Rennen! Was für eine WM! Ich wollte Gold, und ich wollte unter 22 Sekunden bleiben. Beides habe ich geschafft, fassen kann ich es trotzdem nicht", sagte Schippers, die 2013 in Moskau noch WM-Bronze im Siebenkampf gewonnen hatte. "Ich glaube, daheim in den Niederlanden ist jetzt die Hölle los."

Sprüche des Tages:

"Ich bin jetzt eine Sprinterin." Stimmt auffallend! (Dafne Schippers nach ihrem 200-m-Sieg auf die Frage, ob sie noch einmal zum Siebenkampf zurückkehren wird)

"Ich glaube das nicht. Kann ich die Uhr nochmal sehen? Ich glaube das gar nicht." (Eaton nach dem 400-m-Fabellauf)

"Ich muss jetzt in die Eistonne." (Michael Schrader nach dem 400-m-Lauf, als er 80 Meter hinter Eaton mit persönlicher Bestzeit von 47,12 Sekunden Dritter geworden war)

"Mir ist das Herz bis Unterkante Unterhose gerutscht." (Christina Obergföll, die ihren Speer nach zwei ungültigen Versuchen doch noch um 60 Zentimeter über die Qualiweite schleuderte)

"Vor dem letzten Wurf hat Boris gesagt, 'Komm, der ist jetzt für Marlon'. Dabei war schon der zweite für Marlon - und der ging schief." (Obergföll über misslungene Motivationsversuche ihres Trainers und Ehemanns Boris Obergföll formerly known as Henry)

Zahlen des Tages:

1 Hundertstel Sekunde: Als Dafne Schippers nach 200 Metern die Ziellinie überquerte, war sie nur eine Hundertstel Sekunde langsamer als die gedopte Marion Jones bei ihrer Bestzeit.

2 Hundertstel Sekunden: So knapp verpasste Cindy Roleder bei ihrer Aufholjagd auf der zweiten Rennhälfte die Goldmedaille. Nicht auszudenken, wenn das Hürdenrennen 105 Meter lang gewesen wäre...

17. war Christin Hussong, ehe die U23-Europameisterin mit 65,92 Metern ihre persönliche Bestweite um 32 Zentimeter steigerte und die Speerwurf-Quali bei ihrem ersten WM-Auftritt gewann.

45,00 Sekunden: Ashton Eaton ist einfach irre. Nicht nur, dass er zwischen seinen Auftritten mit weißem Gladiatoren-Helm-Verschnitt in der Arena rumschleicht. Nein, der Weltrekordler beendet seinen ersten Zehnkampftag einfach mal mit einer 45 glatt. Über die höllisch schmerzhafte Stadionrunde. Natürlich Weltrekord in einem Zehnkampf.

25 Punkte: Heute Eatons Lieblingszahl. Der US-Amerikaner liegt nur 25 Zähler hinter der Marke zurück, die er bei Halbzeit seines Weltrekords auf dem Konto hatte.

9039 Punkte: Eatons wahre Lieblingszahl. Sein Weltrekord, den der 27-Jährige wohl morgen angreift.

5.30 Uhr: Da klingelt am Samstagmorgen Pekinger Zeit der Wecker für die Zehnkämpfer.

Geste des Tages: DER Harting trifft Kira Grünberg

Es war eine verspätete Geburtstagsüberraschung für Kira Grünberg. Die querschnittsgelähmte österreichische Stabhochspringerin bekam am Freitag überraschend Besuch von Diskus-Olympiasieger Robert Harting in der Reha-Klinik in Bad Häring.

"Dass er heute hier war, gibt mir viel Kraft", so die 22-Jährige, die am 30. Juli im Training in Innsbruck schwer gestürzt war und sich dabei die Halswirbelsäule gebrochen hatte.

Harting zeigte sich beeindruckt: "Kira ist so stark und voller Lebensmut, es ist nicht zu glauben. Ich habe so großen Respekt vor ihr, sie ist eine richtig tolle Frau und eine wahre Kämpferin. Ich hoffe mein Besuch hat sie gefreut, mir hat es wirklich etwas bedeutet, sie zu treffen."

Alle WM-Entscheidungen im Überblick

Artikel und Videos zum Thema