Ein Kuss für die Freiheit

Von Michael Stricz
Ein Kuss für die Freiheit. Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa gehen mit gutem Beispiel voran
© getty

Christina Obergföll vergoldet den letzten Tag aus deutscher Sicht mit einem konkurrenzlosen Wurf. Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser-Pryce dominieren den Tag und die WM sportlich. Die beeindruckendsten Menschen des Tages sind aber zwei Russinnen mit einer Geste, die um die Welt gehen wird.

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Der letzte Tag der Weltmeisterschaften in Russland begann aus deutscher Sicht sehr erfreulich. Christina Obergföll setzte sich mit einem Wurf über 69,05 Meter und deutlichem Vorsprung vor Platz zwei im Speerwurf durch. Linda Stahl verpasste die Medaillenränge auf Platz vier lediglich um 31 Zentimeter.

Der ganze Tag zum Nachlesen im Ticker

Auch in den beiden Vorläufen über 4 x 100m setzte sich dieser positive Eindruck fort. Weder Männer noch Frauen hatten zwar mit den Siegen etwas zu tun, die Plätze vier für die Männer - die drittplatzierten Briten wurden disqualifiziert - und fünf für die Frauen sind aber angesichts der starken Konkurrenz ein befriedigendes Ergebnis.

Weniger befriedigend waren erneut die Leistungen der Kampfrichter. Die deutsche Frauenstaffel sollte im Halbfinale zunächst aufgrund eines angeblich fehlenden Stabes beim Zieleinlauf, dann wegen dem Verlassen der Bahn, disqualifiziert werden.

Am Ende stellte sich heraus, dass die Deutschen eigentlich gar nichts verbrochen hatten. Nicht der erste Fauxpas seitens der Regelhüter in Moskau.

Homiyu Tesfaye schlug sich in seinem Finale über 1500m ebenfalls beachtlich und erreichte Platz fünf. Die herausragenden Athleten waren jedoch an diesem Tag andere: Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser-Pryce machten mit der Staffel ihr Triple in Moskau perfekt.

Die Entscheidungen des Tages:

Männer des Tages: Oshane Bailey und Warren Weir

Es ist schon eine Krux mit den Jamaikanern. Im Finale waren sie auch dank der Überlegenheit ihres Schlussläufers und Superstars Usain Bolt wieder einmal unschlagbar. Wie gut die Jamaikaner aber wirklich sind, zeigt auch ein Blick auf die beiden Läufer, die im Finale nicht starten durften. Oshane Bailey und Warren Weir, immerhin Zweiter über die 100 Meter, sicherten die Finalteilnahme, mussten aber dann Platz machen für Bolt und Nickel Ashmeade. Eine Medaille durften sie sich am Ende jedoch ebenso umhängen. Auch alle Halbfinalläufer erhalten eine Auszeichnung.

Frauen des Tages: Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa

Den Titel "Frau des Tages" teilen sich die beiden russischen Weltmeisterinnen, weil sie mit einer aufsehenerregenden Aktion gegen die restriktive Politik ihres Landes gegenüber Schwulen und Lesben protestierten. Bei der Siegerehrung ihrer 4 x 400m Staffel im Luschniki-Stadion küssten sich die beiden Frauen demonstrativ auf die Lippen. Eine Aktion, die zeigt, dass nicht alle russischen Athleten die Politik und Gesinnung ihres Staatschefs so vorbehaltlos unterstützen, wie es Yelena Isinbayeva scheinbar tut. "Wir verstehen uns als traditionelles Volk. Männer sollten Frauen lieben und umgekehrt. Dies ergibt sich aus der Geschichte. Ich hoffe, dass dieses Problem nicht die Olympischen Winterspiele in Sotschi belastet", hatte die Russin auf einer Pressekonferenz zu Protokoll gegeben.

Sprüche des Tages:

"Ich bin es gewohnt, dass das Stadion aus allen Nähten platzt, wenn ich zum 100m-Finale antrete." (Usain Bolt ist nicht erfreut über das mangelnde Publikumsinteresse)

"Ich bin in dieses Jahr gestartet mit der Einstellung: Komm, lass einfach mal probieren. Und das hat ganz gut geklappt. Ich bin jetzt endlich nicht mehr die Unvollendete." (Christina Obergföll erinnert sich nach ihrem Goldtriumph an ihre Kritiker)

"Ich dachte eigentlich schon vorher, dass ich am Anschlag bin." (Teddy Tamgho ist sich scheinbar nicht bewusst, wie gut er eigentlich ist)

"Es hat lange gedauert, bis die Entwarnung kam und wir sicher sein konnten, dass wir weiter sind. Aber wir haben uns trotzdem normal warm gemacht und aufs Finale konzentriert. Wir wussten nicht, wofür wir hätten disqualifiziert werden können." (Verena Sailer fragt sich zu Recht, was sie eigentlich verbrochen haben soll)

"Wir trainieren eigentlich nur einmal im Jahr für die Staffel. Man muss ja nur den Stab richtig übergeben und dann rennen, das war's." (Yohan Blake hat erkannt, worauf es in der Staffel ankommt)

"Ich hoffe, meine ganzen anderen Medaillen können mir verzeihen, dass diese hier in Russland eine ganz besondere für mich ist." (Yelena Isinbayeva beherrscht die Kunst des versteckten Angebens)

"Das ist extrem enttäuschend, aber das ist eben der Sport." (Neil Black, der Chef des Britischen Leichtathletikverbandes reagiert auf die Disqualifikation der britischen Staffel)

"Man muss einfach nur mit genügend Überzeugung feiern, dann werden die Offiziellen schon an der Zeitlupe zweifeln." (Aimee Lewis, Kommentatorin für "BBC" betrachtet die Feierlichkeiten ihrer Landsmänner mit einem Hauch Sarkasmus)

Zahlen des Tages:

Einen Wettkampf absolvierte Speerwerferin Lingwei Li bisher außerhalb ihres Heimatlandes China. In Moskau holte sie sich Platz acht.

2 Sekunden schneller als ihre bisherige persönliche Bestleistung lief Eunice Jepkoech Sum aus Kenia. Diese unglaubliche Leistungssteigerung zum rechten Zeitpunkt sicherte der Kenianerin die Goldmedaille über die 800m-Strecke.

3 Titel holten sich Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser-Pryce. Bolt und Fraser-Pryce siegten jeweils über die 100 und 200m und holten sich ebenso den Sieg über die 4 x 100m mit der Staffel.

7 Goldmedaillen holte sich Gastgeber Russland und sicherte sich vor allem mit starken Leistungen an den letzten zwei Wettkampftagen Platz eins im Medaillenspiegel.

9 Tage dauerte die Weltmeisterschaft in Russland.

18,04 Meter weit sprang der völlig überraschte Teddy Tamgho und flippte danach vollkommen aus. Solche Bilder, solche puren positiven Emotionen, sehen wir doch jederzeit gerne.

48 Bronzemedaillen wurden während der WM vergeben und damit eine mehr als Gold- und Silbermedaillen, weil sich Anna Chicherova (RUS) und Ruth Beitia (ESP) im Hochsprung den dritten Rang teilen mussten.

396.548 Zuschauer kamen nach Angaben des IAAF während der WM ins Luschniki-Stadion. Klingt viel, zu hören waren diese aber nur ganz selten.

Name des Tages: Pedro Pablo Pichardo

"Oh captain, my captain!" Pichardo holte sich einen guten zweiten Platz im Dreisprung und hat einen Namen, der nicht nur Nerds oder Kunstliebhabern ein Lächeln entlocken dürfte. Wann sieht man schon einmal eine doppelte Alliteration im Sport? Während er sich im Wettbewerb knapp Teddy Tamgho (auch nicht schlecht, oder?) geschlagen geben musste, verweist er seine Konkurrenten hier auf Platz zwei und bekommt von SPOX das goldene Namensschild verliehen.

Auch ein Kandidat für diese Kategorie wäre übrigens ein Mann gewesen, der eigentlich mit den Wettkämpfen gar nichts zu tun hatte. Durch ihren Goldmedaillensieg gewann Christina Obergföll nämlich auch eine Wette mit ihrem zukünftigen Ehemann Boris Henry, der deshalb nun ihren Nachnamen annehmen muss.

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