"Wir gehen nicht gleich in den Puff"

Von Interview: Felix Götz
Dieter Baumann (l.) bei seinem Goldlauf 1992 in Barcelona
© Imago

Dieter Baumann ist bis heute einer der erfolgreichsten deutschen Langstreckenläufer. Der "weiße Kenianer" gewann bei Olympischen Spielen eine Gold- und eine Silbermedaille. Bei SPOX blickt er auf seine Laufbahn zurück, spricht über feiernde Leichtathleten und seine jetzige Karriere als Geschichtenerzähler und "Geldeintreiber".

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Olympia 1992 in Barcelona: Dieter Baumann wird beim 5000-Meter-Lauf ungefähr 300 Meter vor dem Ziel von vier afrikanischen Läufern eingekesselt - er scheint geschlagen. Plötzlich tut sich vor dem heute 45-Jährigen eine Lücke auf, der Schwabe nutzt die Gunst der Stunde, holt sich durch einen unglaublichen Schlussspurt als erster und bis heute einziger Deutscher überhaupt in dieser Disziplin Olympisches Gold.

Jahre später wird Baumann im Zuge der Zahnpasta-Affäre des Dopings bezichtigt.

SPOX: Dieter Baumann, Leichtathleten haben mit einem Vorurteil zu leben. Und zwar, dass sie äußerst disziplinierte, sich extrem gesund ernährende Langweiler seien. Geht denn wirklich nie die Post ab?

Dieter Baumann (lacht): Uns Leichtathleten sagt man das pauschal zu Unrecht nach. Vielleicht auch deshalb, weil wir ab und zu einen ganzen Satz sagen können. Da vermutet man nicht gleich einen Party-Tiger dahinter. Leichtathleten feiern genauso wie Fußballer - vielleicht niveauvoller. Wir gehen nicht gleich mit der ganzen Mannschaft in den Puff.

SPOX: Dennoch kann ein Leichtathlet kein Lotterleben führen...

Baumann: Das können Leistungssportler generell nicht - auch Fußballer nicht. Bei Leichtathleten ist es aber in der Tat so, dass wir Individualisten sind. Wir müssen uns von der Mannschaft, von den Trainern und den Funktionären emanzipieren. Das ist sehr wichtig. Wenn es losgeht, dann steht man als Leichtathlet alleine da. Bei Mannschaftssportarten kann man sich auf die anderen Mitspieler verlassen. Insofern probieren Leichtathleten verschiedene Sachen aus. Zum Beispiel versuchen sie sich vegetarisch zu ernähren. Das ist bei uns weit verbreitet. Wir versuchen immer, an irgendeiner Schraube zu drehen.

SPOX: Muss man also Vegetarier sein, um ein guter Leichtathlet zu sein?

Baumann: Nein, natürlich nicht. Ich bin beispielsweise kein Vegetarier. Was ich sagen will: Individualisten wie Leichtathleten sind eher bereit, sich auf Versuchsfelder einzulassen, als Mannschaftssportler. Wir sind deshalb nicht disziplinierter als andere Leistungssportler. Aber bei uns kristallisieren sich eben individuelle Noten heraus, die diesen Eindruck erwecken.

SPOX: Welche Eigenschaften muss ein guter Läufer haben?

Baumann: Im Ausdauersport ist es doch so, dass man auch ohne großes Talent, also als Grobmotoriker, mit viel Arbeit sehr weit kommen kann. Wichtig ist, dass man eine Balance bei den Schritten findet. Es muss irgendwann eben rund laufen. Da ist dann schon die Kindheit wichtig. Kinder, die sich nie bewegt haben, werden das nie so gut können wie Kinder, die sich viel bewegt haben.

SPOX: Dennoch kann nicht jeder ein Spitzenläufer werden...

Baumann: Das ist klar. Eine gewisse Trainingsintelligenz spielt da oft eine große Rolle. Im Leistungssport ist es doch so, dass Athleten oft nicht an zu geringem Trainingsfleiß scheitern, sondern an zu viel Training. Man darf es nicht übertreiben.

SPOX: Das hat bei Ihnen ja bestens geklappt, Sie hatten Erfolg. Der Name Dieter Baumann wird immer nur mit Gold in Barcelona 1992 in Verbindung gebracht. Dass Sie vier Jahre zuvor in Seoul bereits Silber gewonnen haben, wissen viele gar nicht. Welchen Stellenwert hat die Silbermedaille heute für Sie?

Baumann: Das war damals toll. Ich war überraschend vorne mit dabei. Plötzlich interessierten sich die Medien für mich - aber nur kurz. Ich war gleich danach lange verletzt. Da war ich drei Jahre weg vom Fenster. Ich habe einen Vorgeschmack von hochgejubelt und fallengelassen bekommen. Durch die Erfahrungen konnte ich mich wahrscheinlich gut auf das vorbereiten, was da noch alles kommen sollte.

SPOX: Dann kam Barcelona - Gold. War es in Spanien aber eigentlich nicht eher schwieriger? Da war dann ja klar: Der kann was holen. Der Druck muss doch viel größer gewesen sein...

Baumann: Das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Es war - wegen der Erfahrung - einfacher. Ich wusste, was ich kann, konnte mich sehr gut einschätzen. 1992 wäre ohne 1988 wohl nicht möglich gewesen.

SPOX: Inwiefern haben sie ihren Goldlauf, die letzten Meter, im Gedächtnis?

Baumann: Ganz ehrlich: Das ist alles sehr weit weg. Ich kann mich so auf die Schnelle im Detail nicht erinnern. Da müsste ich erst mal tief in der Erinnerung graben, vielleicht mal abends an einem Lagerfeuer (lacht). Alles wird überlagert von diesem Fernsehbild. Ich bekomme dieses Video von den letzten Metern immer wieder zu sehen. Das Problem: Das ist nicht mein eigenes Bild, sondern das Bild der Kamera. Ich habe damit aber kein Problem, es ist gut so. Klar, Barcelona war toll. Aber das Leben geht weiter.

Das Video: Dieter Baumanns Goldlauf in Barcelona

SPOX: Selbst wenn Sie das Video sehen, kommen keine Empfindungen von damals herauf?

Baumann: Nein, da tut sich bei mir wenig.

SPOX: Kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt in Ihrer Vita. Die so genannte Zahnpasta-Affäre. 1999 wurden Sie positiv auf Nandrolon getestet. Der Wirkstoff wurde dann in ihrer Zahnpasta nachgewiesen, nicht jedoch in einer eingereichten Haarprobe. Der DLV hat Sie freigesprochen, von der IAAF wurden Sie gesperrt. Ist dieses Thema ähnlich weit weg wie Gold in Barcelona?

Baumann: Naja, die Zahnpasta-Affäre ist zeitlich natürlich noch nicht so weit weg. Und weil ich darüber ein Buch geschrieben habe, kann ich mich noch an einige Details besser erinnern. Aber gedanklich ist auch diese Geschichte weit weg.

SPOX: Nervt es Sie, dass sie immer darauf angesprochen werden?

Baumann: Diese Sache gehört zu meiner Vita, ein Rückblick findet bei mir immer im Gesamten statt. Wenn Sie sagen, dass man bei Dieter Baumann immer an Barcelona denkt, dann meine ich: Wenn man an Dieter Baumann denkt, dann denken die meisten Leute wahrscheinlich zuerst an Zahnpasta und dann an Barcelona. Ich gehe nicht auf dem Mond spazieren, sondern auf der Erde. Deshalb bin ich genau mit dieser Problematik konfrontiert und das nehme ich an.

SPOX: Ist es für Sie auch eine persönliche Aufarbeitung, wenn Sie darüber offen sprechen?

Baumann: Die Aufarbeitung ist natürlich sehr wichtig, aber das hat längst stattgefunden. Ich glaube, dass es wichtig ist, weil man generell nicht in seinem Leben an Details hängen bleiben darf. Egal, ob positiv oder negativ. Man muss aufarbeiten und dann aber auch loslassen. Ich bin sehr froh, dass mir das in dieser Sache gut gelungen ist und auch generell gut gelingt.

SPOX: Haben Sie im Laufe der Jahre eine Erklärung gefunden, wie das Nandrolon in die Zahnpasta gekommen ist? Hat man Ihnen das Zeug untergejubelt?

Baumann: Für mich ist das völlig klar, wie das passiert ist. Es wurde mir, wenn sie so wollen, untergejubelt. Wobei dies die Sache nicht wirklich trifft, da man dann leicht den Eindruck eines dummen Streiches bekommen könnte. Klar ist, dass ich auch nach zehn Jahren nicht behaupten kann, wen ich dahinter vermute. Aber darum geht es mir übrigens schon längst nicht mehr. Wenn mich das nach zehn Jahren noch umtreiben würde - das wäre ja eine Strafe. Ich habe damit meinen Frieden gemacht.

SPOX: Sie gehen mit dem Thema heute flapsig um. Sie stehen als Geschichtenerzähler auf der Bühne, haben ein Programm mit dem Namen "Körner, Currywurst, Kenia". Wie kommt das Thema Zahnpasta bei den Leuten an?

Baumann: Mein Programm geht zwei Stunden und davon ist die Zahnpasta vielleicht für fünf Minuten ein Thema. Mein Publikum hat damit überhaupt kein Problem. Ich könnte sogar noch viel länger das Thema behandeln, aber eigentlich wollen das die Leute gar nicht unbedingt. Die Zahnpasta ist viel mehr ein Thema für die Medien. Wahrscheinlich sind Sie als Journalist geradezu dazu gezwungen. Ihre Kollegen würden einen Aufstand machen, wenn sie nicht gefragt hätten. Das verstehe ich. Interessant ist aber - das habe ich festgestellt - dass es die Leute kaum mehr interessiert.

SPOX: Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, auf die Bühne zu gehen?

Baumann: Ich halte viele Vorträge. Dabei habe ich gemerkt, dass ich die Leute bei der Stange halten kann, dass ich einen gewissen Unterhaltungswert habe. Mir ist aufgefallen, dass ich viele Geschichten erlebt habe. Also habe ich mir überlegt, wie ich das als eigenes Produkt gestalten kann. Irgendwann war klar: Ich will einen inszenierten Abend haben. Ich habe ein Programm geschrieben und mir Hilfe von Carola Schwelien geholt, die Regie führt.

SPOX: Die Geschichten, die Sie dabei erzählen, umfassen ihr gesamtes Leben?

Baumann: Erlebnisse im Olympischen Dorf und im Trainingslager in Kenia spielen beispielsweise eine Rolle. Außerdem geht es um Freizeitläufer, die ungefähr die Hälfte meines Publikums ausmachen.

SPOX: Haben Sie neben dem Kabarett noch Zeit für die Leichtathletik?

Baumann: Ich bin noch mittendrin. Ich trainiere selbst Sportler, zum Beispiel den deutschen 5000-m-Meister Arne Gabius. Ich habe hier in Tübingen eine kleine Trainingsgruppe. Da sind nicht nur Athleten aus der deutschen Spitzenklasse dabei, sondern auch Leute aus der Landesklasse.

SPOX: Darüber hinaus treibt Sie auch noch die Archäologie um.

Baumann: Stimmt. In meinem Heimatstädtchen Blaubeuren gibt es ein urgeschichtliches Museum, das von einer Stiftung getragen wird. Nun wurde, um Veränderungen zu ermöglichen, ein Förderverein gegründet, der dieser Stiftung quasi zuarbeitet. Und davon bin ich der erste Vorsitzende, der Präsident, der Geldeintreiber (lacht).

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