Die wilde Jagd auf Mighty Mike

Von Adrian Fink
Michael van Gerwen geht beim Finale der Premier League als großer Favorit an den Start
© imago

Obwohl man am Donnerstag im The O2 in London vergeblich die Augen nach Phil Taylor offen hält, wird bestes Darts geboten sein, wenn die vier stärksten Akteure der laufenden Premier-League-Saison den Meister unter sich ausmachen (ab 20.15 Uhr im LIVE-TICKER). Kann Titelverteidiger Raymond van Barneveld seinen Coup wiederholen? Schlägt der Weltmeister zu? Oder machen es Mighty Mike und Chizzy unter sich aus?

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4. Raymond van Barneveld

Ende März hätten wohl nur die treusten Mitglieder der Barney-Army einen Pfifferling darauf gesetzt, dass ihr Liebling am 21. Mai um die Krone kämpft. Der Niederländer erwischte einen miserablen Start und sammelte lediglich fünf Punkte aus den ersten acht Spielen.

Doch einen Raymond van Barneveld darf man nie abschreiben. Der Titelverteidiger bewies Moral und legte eine sensationelle Aufholjagd aufs Parkett. Sieben ungeschlagene Matches später steht The Man auf Platz vier. "Nach der neunten Woche wollte ich um jeden einzelnen Punkt kämpfen und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass ich mich für die Playoffs qualifizieren kann", erinnert sich der Niederländer. "Ich bin sehr zufrieden und stolz auf mich."

Was allen Barney-Anhängern neben dessen Form und Kampfgeist Mut machen darf: Am elften Spieltag konnte er bereits gegen seinen Halbfinal-Gegner Michael van Gerwen gewinnen. Außerdem ist der 48-Jährige unheimlich erfahren und behält auch in für ihn gefährlichen Situationen einen kühlen Kopf - am 13. Spieltag bekam das Anderson zu spüren, der sich trotz einer 4:0-Führung noch geschlagen geben musste.

Doch so sportromantisch die Vorstellung einer Krönung seiner Aufholjagd auch klingen mag, die Wiederauflage des letztjährigen Finals ist voraussichtlich die Endstation für Barney. Trotz seiner herausragenden Verfassung wird gegen MVG kein Kraut gewachsen sein. Wir müssen also weiterhin darauf warten, dass jemand außer Phil Taylor die Premier-League-Krone erfolgreich verteidigt.

3. Gary Anderson

Früh war klar, dass der Weltmeister in dieser Saison eine gewichtige Rolle einnehmen wird. Mit sechs Siegen aus den ersten acht Partien brachte sich The Flying Scotsman auf Kurs. Zwischenzeitlich avancierte er zum hartnäckigsten Verfolger für die Nummer eins der Welt.

Das änderte sich aber in den letzten Wochen, denn in den verbleibenden acht Matches hagelte es Rückschläge: Drei Siege bei ebenso vielen Niederlagen und zwei Punkteteilungen waren die ernüchternde Bilanz. Die Tatsache, dass er beide Aufeinandertreffen gegen seinen Halbfinal-Kontrahenten Dave Chisnall deutlich verlor und in den direkten Duellen zusammengerechnet lediglich fünf Legs einstreichen konnte, verstärkt die Außenseiterrolle.

Nichtsdestotrotz ist Anderson alles andere als chancenlos. Auch in der abgelaufenen Saison war der Schotte zur Stelle, wenn es brenzlig wurde. So holte er aus den letzten vier Spielen die drei Siege und verteidigte mit einer effizienten Vorstellung gegen Adrian Lewis den wichtigen dritten Platz. Seine Stärke: Beim Scoring macht ihm kaum einer was vor.

Wenn dann noch die Check-Out-Quote läuft, stellt er jeden Gegner vor Probleme. Spätestens seit der WM weiß man, dass sich Anderson auf der großen Bühne wohl fühlt - Chisnall ist also gewarnt.

2. Dave Chisnall

Was war das für ein geiles Match! Im Aufeinandertreffen der beiden Premiumspieler der laufenden Premier-League-Saison unterstrichen Chizzy und MVG mit Averages weit im dreistelligen Bereich und deutlich über 50 Prozent auf die Doppelfelder ihre Favoritenstellung. High-Scores hier, Elf-Darter dort und mal eben sieben perfekte Darts als Antwort. Statement!

Neben dem deutlichen Vorteil beim direkten Vergleich mit Anderson spricht auch die Souveränität während der gesamten Saison für den 34-Jährigen Chisnall. So musste der Weltmeister bei eigenen Siegen doppelt so häufig über die volle Distanz ran wie Chizzy. Während The Flying Scotsman zwar nur ein Spiel mehr verlor als Chizzy, hat der Tabellenzweite eine um 20 Legs (!) bessere Differenz (Chisnall +30). "Ich bin sehr stolz und ich habe es mir selbst in dieser Saison bewiesen", freute sich Chisnall über seine Leistung.

Mit seiner sowohl beim Scoring als auch beim Checken überzeugenden Spielzeit war Chizzy die Überraschung der Premier League. "Die Leute haben mich von Anfang an abgeschrieben und ich habe ihnen das Gegenteil gezeigt", so der Engländer. Einige Wettanbieter hatten ihm überhaupt keine Chancen zugerechnet und gaben ihm mit einer Quote von 1:41 zusammen mit Kim Huybrechts die geringsten Aussichten auf einen Triumph.

Chisnall hat seine Kritiker eines Besseren belehrt. Der High-Scoring-Freak kann jeden Gegner schlagen. Mit 62 maximalen Aufnahmen und 17 High-Finishes führt er die Statistik bei diesen Werten an. Allerdings ist er von den verbleibenden Spielern derjenige mit der geringsten Erfahrung. Doch wenn Chizzy an die Fabel-Leistung aus Brighton anknüpfen kann, steht einem Einzug ins Endspiel nichts im Wege. Der erste bedeutende PDC-Titel seiner Karriere ist in greifbarer Nähe.

1. Michael van Gerwen

Als Titelanwärter in den Wettbewerb gestartet, machte MVG bei der Favoritenfrage schnell reinen Tisch: Erst am elften Spieltag verließ Mighty Mike die Bühne erstmals als zweiter Sieger. Das aber ausgerechnet gegen den Halbfinal-Gegner.

Obwohl die Nummer eins der PDC in der Folge den Nimbus der Unbesiegbarkeit verlor, geht er gegen Barney als klarer Favorit ins Rennen. Denn wie Chizzy hat auch MVG ein Leg-Überschuss von 30 produziert und blickt auf die deutlich souveränere Bilanz zurück als sein Herausforderer Barney (+8).

Der dritte Finaleinzug in Folge scheint für van Gerwen wahrscheinlich, denn MVG präsentiert sich seit der WM in hervorragender Verfassung und konnte seinen Trophäenschrank mit den Masters, der Gibraltar Trophy und den German Masters im Jahr 2015 bereits mit einigen neuen Exemplare aufrüsten. Es ist kein Geheimnis mehr, dass der Niederländer kaum zu halten ist, wenn er einmal ins Rollen geraten ist. Dann brilliert er nicht nur durch astronomische Aufnahmen, sondern glänzt auch auf die Doppel. So ist es nahezu unmöglich, sich Mighty Mike vom Leib zu halten. Die Folge: Wer MVG schlagen will, muss seine Aussetzer auf ein Minimum reduzieren.

Den Beweis lieferte er am 15. Spieltag, als Chizzy zwar sein A-Game im Gepäck hatte, van Gerwen sich aber trotzdem das Remis und damit den Platz an der Sonne sicherte. "Dave spielt eine phänomenale Saison und war heute beeindruckend", zollte der Niederländer seinem Gegner nach der Punkteteilung den angemessenen Respekt. "Ich musste derart gut spielen, um überhaupt ein Unentschieden zu bekommen - es war ein fantastisches Match." Es ist gut möglich, dass wir im Finale die Wiederauflage dieses beeindruckenden Aufeinandertreffens bestaunen dürfen. Die Frage lautet also: Kann Chizzy Mighty Mike diesmal stoppen?

So lief die Premier-League-Saison 2015:

Tabelle der Premier League Darts 2015
SpielerSpieleSiegeRemisNiederlagenLegsPunkte
Michael van Gerwen161033+3023
Dave Chisnall161024+3022
Gary Anderson16925+1020
Raymond van Barneveld16835+819

Phil Taylor

16637+415
Adrian Lewis16547-1314
James Wade16367-1712
Stephen Bunting16358-1811
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