Boxen - Bernd Bönte im Interview: "Wochen später hat man noch die Bissspuren gesehen"

Von Carl Neidhardt
Bernd Bönte und Wladimir Klitschko beim Schachspielen.
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Wie haben Sie Wladimir und Vitali im Boxring erlebt?

Bönte: Sie hatten einen völlig unterschiedlichen Stil. Wladimir war ein klassischer Boxer, der diesen Knockout-Punch in beiden Fäusten hatte. Vitali kam vom Kickboxen und war damit einer der unorthodoxesten Boxer überhaupt. Er ließ seine Arme immer unten hängen, seine Deckung war nie oben. Dabei hatte er extreme Nehmerfähigkeiten und war in seiner gesamten Karriere nicht einmal am Boden. Seine beiden Niederlagen waren verletzungsbedingt. Wenn sein linker Haken von unten irgendwo oben einschlug, war es für den Gegner immer überraschend. Er hat die Leute wirklich seziert und sehr ökonomisch geboxt. Deswegen kamen viele K.o.-Siege hinten raus, auch wenn es ein paar Ausnahmen gibt wie bei Herbie Hide, der nach den ersten Schlägen am liebsten vor Angst aus dem Ring gelaufen wäre.

Wie sieht es Ihrer Meinung nach außerhalb des Rings aus?

Bönte: Beide sind ganz verschiedene Typen. Wladimir ist eher der Lebemann, der gerne reist und viel unterwegs ist. Vitali hingegen ist sehr ernsthaft und war immer schon sehr an Politik interessiert. Er hat dort ja auch tolle Karriere gemacht und ich hoffe, dass es mit dem Bürgermeisteramt in Kiew noch nicht getan ist.

Sie waren Manager sowie Geschäftsführer und Mitinhaber der Klitschko Management Group GmbH. Haben Sie bei so viel Einsatz für die Klitschko-Familie Ihr eigenes Leben damals ein Stück weit aufgegeben?

Bönte: Man muss ehrlicherweise sagen, dass das ein 24/7-Job war. Ich war immer erreichbar und hatte mein Handy höchstens ausgeschaltet, wenn ich schlief. Wobei zahlreiche Telefonate erst nach Mitternacht stattfanden, weil viel über die USA lief. Aber das gehört zu solch einem Job dazu und ich will nicht klagen. Ich habe in dieser Zeit sehr gut verdient und es hat unheimlich Spaß gemacht, solche Events zu organisieren. Man denke an die zehn Kämpfe, die wir in Fußballstadien veranstaltet haben - zum Beispiel 2009 auf Schalke mit 61.000 Zuschauern. Das war ein Mega-Event, bei dem ich heute noch Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke. Aktuell gibt es niemanden, der so etwas auf seiner Agenda hat.

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Bönte: "Wladimir hätte den Rückkampf gegen Fury gewonnen"

Vitali beendete seine Profikarriere 2012. Wladimir boxte noch länger - dann kam der 28. November 2015. Ein schicksalsträchtiger Tag, an dem er einstimmig nach Punkten gegen Fury verlor und die erste Niederlage nach rund elf Jahren kassierte. Kam das für Sie aus dem Nichts?

Bönte: Wladimir war zu 100 Prozent fokussiert. Doch er hatte eine, wie der Amerikaner sagt, klassische Off-Night. Er hat sich von Anfang an nicht auf den Stil von Fury einstellen können, hat zu lange gezögert und erst am Ende alles auf eine Karte gesetzt.

Wissen Sie noch, wie Sie sich an dem Abend gefühlt haben?

Bönte: Für uns alle war das ein total deprimierender Moment. Vor allem, weil man nach dem Kampf wusste, dass das Ganze völlig anders hätte laufen können, wenn Wladimir so geboxt hätte wie in den letzten zwei Runden, die er ja auch gewonnen hat.

Bedauern Sie, dass ein möglicher Rückkampf mit Fury geplatzt ist?

Bönte: Ich glaube, Wladimir tat das am meisten weh. So fokussiert wie er im Training war und wie er seine Fehler aus dem ersten Kampf analysiert hat, glaube ich ganz sicher, dass er den Rückkampf gewonnen hätte. Leider kam der wegen Furys psychologischem Komplettzusammenbruch nicht zustande. Dafür hatten wir dann aber einen tollen Kampf gegen Anthony Joshua. Und auch wenn das i-Tüpfelchen mit einem Sieg knapp gefehlt hat, war es ein tolles Ende einer faszinierenden Karriere.

Das Duell mit AJ fand anderthalb Jahre nach der Fury-Niederlage statt und endete mich einem Knockout gegen Wladimir. War Ihnen sofort bewusst, dass das gleichbedeutend mit dem Karriereende sein würde?

Bönte: Für mich war relativ klar, dass Wladimir nach der Fury-Niederlage maximal noch einen Kampf machen würde. Ich glaube, das war auch die richtige Entscheidung. Zusammengenommen ist er der am längsten amtierende Weltmeister im Schwergewicht und hat alles erreicht. Das ist eine grandiose Leistung.

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Bönte: "Der Typ ist irre und wollte einfach provozieren"

Die Klitschkos kamen in ihren Karrieren meist ohne Trash Talk und andere Provokationen aus. Grundsätzlich finden diese Dinge aber immer wieder im Boxen statt. Wie viel Show gehört Ihrer Meinung nach zum Sport?

Bönte: Das ist sehr von den Protagonisten abhängig. Bei Fury und Wilder war es zum Beispiel einfach Show und abgesprochen. Teilweise sind aber eben auch unberechenbare Kerle unterwegs, die aus dem psychischen Druck heraus irgendwie agieren und diese Energie aus sich herauslassen. Ich erinnere mich an Mike Tyson, der während einer Pressekonferenz auf Lennox Lewis zustürmte und ihm in den Oberschenkel biss. Wochen später hat man noch die Bissspuren gesehen. (lacht) Wir selbst haben ganz negative Erfahrungen in München gemacht, als Dereck Chisora Vitali beim Einwiegen einfach so ins Gesicht geschlagen hat. Das war nicht gespielt. Der Typ ist irre und wollte einfach provozieren. Wladimir hat er beispielsweise im Ring kurz vor dem ersten Gong Wasser ins Gesicht gespuckt. Für mich ist es bis heute unfassbar, dass Wladimir da die Ruhe behalten hat.

Schadet so etwas dem Sport?

Bönte: Ich bin kein Freund von Trash Talk, weil sich gute Kämpfe von selbst promoten. Manche haben es nötig und müssen es machen. Manche sind witzig wie Shannon Briggs, den ich immer als Typen grandios fand und wo wir alle lachen mussten. Aber im Großen und Ganzen haben große Kämpfe so etwas nicht nötig, wie man jetzt bei Joshua gegen Andy Ruiz sieht.

Ein Mann, der es hier wohl immer wieder übertreibt, ist die Promoter-Legende Don King. Sie haben in früheren Interviews erzählt, dass die Verhandlungen mit ihm äußerst hart waren und Sie keine hohe Meinung von ihm haben. Warum?

Bönte: Don King hat große Kämpfe wie den Rumble in the Jungle oder den Thrilla in Manilla organisiert, aber auf der anderen Seite wahnsinnig viele Sportler betrogen und - das wollen wir nicht unterschlagen - zwei Menschen umgebracht. Das zeigt seine Persönlichkeit. Er lässt menschliche Aspekte und Empathie knallhart außen vor und konzentriert sich ausschließlich auf die Finanzen. Am besten beschreibt man Don King mit folgender Geschichte: Er hat als Promoter von Joe Frazier einen Kampf gegen George Foreman organisiert. Zunächst saß er dabei auf der Seite von Frazier, als dieser aber sieben, acht Mal am Boden war, ging er immer weiter zur Ecke von Foreman. Als der dann als neuer Weltmeister aus dem Ring kam, hat King ihn sofort umarmt und verkündet: "I came with a champion and I left with a champion." Das sagt alles aus.

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