Der Sonnenuntergang muss warten

Juan Manuel Marquez (l.) besiegte in seinem letzten Kampf Manny Pacquiao
© getty

Der K.o.-Sieg gegen Manny Pacquiao wäre das perfekte Karriereende gewesen. Doch das Kämpferherz in Juan Manuel Marquez wehrte sich gegen einen Rücktritt. Nun steigt Dinamita in Las Vegas erneut in den Ring. Im Duell mit dem WBO-Weltergewichts-Champion Timothy "Desert Storm" Bradley will sich der Mexikaner am Samstag endgültig unsterblich machen.

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Viele Sportler erzählen in der Retroperspektive von diesem Moment. Von diesem einen Augenblick, wenn eine unsichtbare Last von ihren Schultern fällt und man am Ziel aller Träume ist. Der 8. Dezember 2012 sollte so ein Tag für Juan Manuel Marquez werden. Sein Moment war gekommen.

Kaum jemand der 16.398 Zuschauer in der ausverkauften MGM Grand Garden Arena von Las Vegas wird diese Sekunden jemals vergessen. Es war das Ende der sechsten Runde, man erwartete eigentlich nur noch das Ertönen der Ringlocke, als Marquez seinen Gegenüber mit einer krachenden Rechten zu Boden schickte.

Eine legendäre Rivalität

Die Phalanx Manny Pacquiaos war gebrochen. Was aber für Marquez viel wichtiger war: Er hatte endlich seine Dämonen besiegt. Dreimal war der Mexikaner Pacman im Ring begegnet. Es waren legendäre Schlachten, die sich beide Boxer im letzten Jahrzehnt geliefert hatten.

"Wenn man heute Muhammad Ali sagt, denkt man sofort an Joe Frazier. So wird es auch mit mir und Juan Manuel Marquez sein", versuchte Pacquiao einmal die Rivalität einzuordnen, die in der jüngeren Vergangenheit seinesgleichen sucht.

Die Duelle waren immer eng, immer spannend, immer kontrovers. Und noch eines war immer gleich: Der Sieger hieß nie Juan Manuel Marquez. Zwei Niederlagen und ein Unentschieden hatte Dinamita auf seinem Konto. Zumindest bis zu diesem denkwürdigen Samstag im Dezember 2012.

Lebensweisheiten der Eltern

Als er mit seiner blutenden Grimasse Pacquiao beobachtete, wie dieser in Zeitlupe zu Boden sackte und den Ringboden küsste, war er am Ziel einer langen Reise angekommen. Er hatte endlich seinen Frieden gemacht. Mit den Punktrichtern, die ihn - nicht nur gegen den Philippiner - Siege und WM-Titel kosteten.

Mit Pacquiao, der ihn durch zahllose schlaflose Nächte verfolgte. Vor allem aber mit sich selbst. 20 Jahre lang zog er mit seinen Boxhandschuhen durch die Welt. Es war ein Kampf im Ring - und außerhalb davon.

Noch immer denkt Marquez an die Worte, die er und sein Bruder Rafael von ihren Eltern auf den Weg bekommen haben: Betet, lasst euch nicht auf Gangs und Drogen ein, bleibt optimistisch.

Der Sport als Ausweg

In Iztapalapa, Dinamitas Heimatort und einem der ärmsten Stadteile von Mexico City, hören sich diese Lebensweisheiten auch heutzutage noch wie Hohn und Spott an. "Schlechte Leute", so beschrieb Marquez die Leidensgenossen seiner Kindheit.

Es oblag seinem Vater, Juan Manuel und Rafael einen Ausweg zu zeigen. Er führte seine Söhne an einen Zufluchtsort, der ihren weiteren Weg entscheidend prägen sollte: das Fußballfeld. Oder den Basketballcourt. Selbst beim American Football sollen sie ihr Glück probiert haben. Hauptsache Sport.

Seite an Seite mit den Weggefährten, die sie eigentlich hinter sich lassen wollten. Die sich nach dem Sport eben nicht auf dem Weg nach Hause machten. Doch die Marquez-Brüder ließen sich nicht beirren.

"Unsere Eltern waren immer offen zu uns. Sie haben uns erzählt, dass es viele Wege gibt, wie man leben kann. Wir wussten, was uns auf den Straßen erwartet. Aber wir wollten die Guten sein", blickte Marquez einst zurück.

Die Leidenschaft: Boxen

Ihre wahre Leidenschaft entdeckten sie dort aber trotzdem nicht. Erst im kleinen Schlafzimmer ihrer Behausung in Iztapalapa fanden sie ihre Erfüllung, als Rafael Marquez Senior seine Kinder in die Kunst des Boxsports einführte.

"Wir haben viele große mexikanische Boxer erlebt und wollten ihnen nacheifern. Es ging gar nicht ums Geld, das Leute wie Julio Cesar Chavez kassierten. Uns war viel wichtiger, dass wir uns beweisen konnten", so Marquez.

Mit diesem Ziel zogen sie aus, um die Welt auf ihre Art zu erobern. Zurück kehrten sie als Champion. Rafael machte sich im Bantamgewicht einen Namen und gewann WM-Titel nach Version der IBF/IBO und WBC.

Juan Manuel, der technisch versierterer der beiden, war noch erfolgreicher. Sieben Weltmeisterschaften in vier verschiedenen Gewichtsklassen sicherte er sich auf dem Weg an die Weltspitze. Er erreichte nicht den Status eines Pacquiao und Floyd Mayweather, deren Berühmtheit über den Boxsport hinausreicht. Das war allerdings auch nie sein Antrieb.

"Es ging um Stolz"

"Das Geld war immer zweitrangig. Es ging vor allem um Stolz." Dass er ausgerechnet für seinen größten Sieg, den Erfolg über Pacquiao, die unbedeutende WBO-Champion-of-the-Decade-Auszeichnung bekam, passt dabei irgendwie ins Bild.

So hätte Dinamita als einsamer Cowboy sein Pferd satteln, in den Sonnenuntergang reiten und seine Karriere beenden können. Es wäre ein Happy End, auf das selbst Hollywood stolz gewesen wäre.

Doch das Herz eines Kämpfers lässt sich nicht so einfach beerdigen. Es juckte Marquez in den Fingern. Er wolle beweisen, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört: "Ich bin 40, fühle mich aber eher wie 26 oder 27."

Dass mit Timothy Bradley am Samstag ausgerechnet ein weiterer Pacman-Bezwinger im Thomas & Mack Center von Las Vegas wartet, ist für Marquez unbedeutend.

Ein mexikanischer Rekord

Viel eher sieht er die Möglichkeit, sich in seinem Heimatland endgültig unsterblich zu machen. Mit Bradleys WBO-Weltergewichts-Gürtel wäre er der erste Mexikaner mit WM-Titeln in fünf verschiedenen Gewichtsklassen.

Dafür verzichtete Marquez sogar auf viel Geld, das ihm ein mögliches fünftes Duell mit Pacquiao eingebracht hätte. "Das hätte keinen Sinn gemacht. Wir haben die Antwort bekommen, wer der Bessere an diesem Abend war. Das war das Ende unserer Rivalität."

Eine Entscheidung, die er nach der Meinung einiger Experten gegen den zehn Jahre jüngeren Bradley noch bereuen werde. Dabei erkennen sie nicht, was Marquez für immer im Herzen tragen wird: "Die Erinnerung an den Knockout gegen Manny kann mir niemand mehr nehmen."

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