"Ein Monster erschaffen"

Von Interview: Haruka Gruber
Henrik Dettmann im Interview mit SPOX-Chefredakteur Haruka Gruber
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SPOX: Sie sagten während der EM zur "DPA": "Der Weg der alten Schule funktioniert: Wenn man arm ist, muss man bescheiden sein." Anders formuliert: Sind die NBA-Profis der von Ihnen besiegten Türken oder Russen nicht bescheiden?

Dettmann: Ich werde mich nie negativ über den Gegner äußern. Das gebietet der Respekt. Meine Mutter hat mir beigebracht: "Wenn du nichts Gutes über jemandem zu sagen hast, sag lieber nichts." Allerdings kann man auf dem Court sehen, wer bescheiden ist und wer nicht.

SPOX: Sie kehrten 2004 in die Heimat zur finnischen Nationalmannschaft zurück. Hatten Sie bereits da konkrete Vorstellungen?

Dettmann: Als ich zurückkam nach Finnland, war ich geschockt darüber, was passiert ist in der Zwischenzeit. Oder besser gesagt: Was nicht passiert ist in den 6 Jahren. Alles war beim Verband wichtig, nur nicht der Sport. Es gab im Büro 23 Festangestellte, aber ich war der einzige, der für den Basketball an sich eingestellt wurde. Der Rest: Bürokratie. Daher plante ich vier Schritte. Erster Schritt: Dem Basketball verbandsintern zu seinem Recht verhelfen. Zweiter Schritt: Ein sportliches Ziel definieren. Dritter Schritt: Die richtigen Spieler dafür finden. Vierer Schritt: Eine Identität definieren. Der letzte Punkt ist der Grund, warum wir keinen Ausländer mit einem finnischen Pass ausstatten wollen. Das wäre respektlos deinem Basketball-Programm und deinem eigenen Land gegenüber.

SPOX: Ihrem Comeback mit Finnland ging eine unschöne Trennung vom DBB voraus, nachdem die EM 2003 enttäuschend verlaufen war. Sind Sie noch immer verbittert?

Dettmann: Wir alle haben unsere guten und schlechten Tage. Ich bin mir sicher, dass jeder der damals Beteiligten sich im Nachhinein wünschen würde, dass es anders gelaufen wäre. Und für mich persönlich war bei der EM 2003 nicht alles schlecht. Ich habe daraus sehr viel gelernt und profitiert. Vor allem weiß ich seitdem, dass ein gesunder Spieler immer wertvoller ist als ein verletzter Spieler. Bitte nicht falsch verstehen. Ich hatte keinen Streit und keiner hat mich dazu gezwungen, Dirk Nowitzki einzusetzen. Es war meine Entscheidung - und die würde ich heute anders treffen.

SPOX: Seit jener missglückten EM 2003 hängt Ihnen in Deutschland der Ruf nach, zu wohlwollend auf die Spieler einzugehen. Sind Sie ein Players' Coach?

Dettmann: Im traditionellen Verständnis: ja. Wobei ich finde, dass jeder Trainer ein Players' Coach sein sollte. Der Basketball gehört den Spielern, nicht den Trainern, nicht den Funktionären, auch nicht den Referees. Was mich während der EM am meisten aufgeregt hat: Während einer Begegnung gibt einer meiner Spieler einem Teamkollegen auf dem Court einen Ratschlag. Der Referee kommt daraufhin zu mir mit der Ansage, dass sie sich nicht unterhalten dürften. Das hat mich tief enttäuscht! Ich war wirklich angepisst! Der Basketball ist ein Players' Game und wenn jemand seinem Bruder im Sinne der Brotherhood helfen will, ist es nicht der Job des Schiedsrichters, das zu verbieten. Wir alle sind nur da, um den Spielern bei Ihrer Ausübung Ihres Berufs zu helfen!

SPOX: Diese Einstellung mag löblich sein - dennoch: Macht sich ein Players' Coach nicht zu angreifbar? 2001 und 2002 war Ihre Art noch genau richtig gewesen, bevor sich 2003 die Wahrnehmung ins Gegenteil verkehrte.

Dettmann: Die Leute, die vorgeben, alles zu verstehen, sind genau die, die nichts verstehen. Ich nenne es den Frankenstein-Effekt: Man möchte etwas Gutes und erweckt dabei ein Monster, das sich gegen den Schöpfer wendet. Ich bin überzeugt, dass meine Art des Coachings dem deutschen Basketball geholfen hat. Übertragen heißt das: Ich habe für den DBB den Players' Coach als Monster erschaffen. Im Misserfolg war meine Art des Coachings plötzlich komplett falsch. Dabei war der Hauptgrund für das Abschneiden der EM 2003 die Verletzung von Nowitzki.

SPOX: Wie ist mittlerweile das Verhältnis zum DBB?

Dettmann: In der Interaktion von Individuen kann es zu Ungewittern kommen. Und das war damals der Fall zwischen mir und dem DBB. Aber das Verhältnis ist seit Jahren wieder sehr gut. Wir respektieren uns. Und ich muss sagen: Wir werden älter - und damit weiser.

SPOX: Wie blicken Sie auf die 6 Jahre beim DBB zurück? Neben Europameister Pesic sind Sie der erfolgreichste Bundestrainer aller Zeiten als EM-Vierter 2001 und WM-Dritter 2002.

Dettmann: Viel wichtiger als die beiden Erfolge war für mich die Erkenntnis, dass ich das Vertrauen gerechtfertigt habe. Ich lieh mir die Nationalmannschaft von 1997 bis 2003 aus in der Hoffnung, dass ich sie in einer besseren Verfassung zurückgebe als am Anfang. Das ist mir gelungen: In dieser Zeit erreichte der DBB ein komplett neues Niveau: Im sportlichen Bereich, im Marketing, bei den Finanzen, im Knowhow aller Abteilungen. An solchen Parametern messe ich meine Arbeit. Daher sind mir bei der diesjährigen EM die Siege von Finnland gegen die Top-Teams gar nicht so wichtig. Viel entscheidender als die nackten Ergebnisse ist, dass wir Kontinuität zeigen: Als ich 2004 wieder in Finnland anfing, waren wir 32. In Europa. Jetzt haben wir zum zweiten Mal in Folge die Zwischenrunde der 12 besten Teams erreicht. Neben uns ist das nur Spanien, Frankreich, Litauen, Serbien, Griechenland und Slowenien gelungen. Das ist der wahre Erfolg von Finnland.

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