Marko Pesic im Interview: "Die Politik muss erkennen: Der Sport ist nicht das Problem, er ist eine Lösung"

Marko Pesic gewann mit Dirk Nowitzki bei der EM 2005 die Silbermedaille.
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Beschweren konnten Sie sich aber über die insgesamt enttäuschende letzte Saison. In der frühen Saisonphase macht das neue Team einen exzellenten Eindruck, in der Euroleague spielt man plötzlich oben mit. Was mussten Sie verändern, um wieder den richtigen Weg in die Zukunft zu finden?

Pesic: Ich will ehrlich gesagt gar nicht mehr viel über die Mannschaft der letzten Saison sprechen. Aber wir haben intern ziemlich früh gemerkt, dass wir für die kommende Saison viel verändern werden müssen. Die Mannschaft muss wieder ganz anders auftreten, sie muss wieder einen ganz anderen Basketball spielen - das war uns schnell klar. Wir haben vor allem eines erkannt: Dass wir aufhören müssen, auf internationalem Parkett zu versuchen, unsere Spielweise mit der Spielweise anderer Mannschaften zu matchen, die aber deutlich besser sind als wir. In dem Fall gar nicht auf die finanziellen Möglichkeiten bezogen, sondern wirklich auf die Spielweise. Wir müssen vielmehr in den nächsten Jahren unsere eigene Nische finden, in der wir die besten sind, die wir nur irgendwie sein können. Wir müssen eine Mannschaft entwickeln, die für sich selbst einen eigenen Weg findet, um Basketball zu spielen und Spiele zu gewinnen.

Warum ging die Entwicklung überhaupt eine Zeit lang in die falsche Richtung?

Pesic: Mein Freund Matthias Sammer hat einmal gesagt: Im Gefühl des Erfolgs machst du die größten Fehler. Unser Problem waren in gewisser Weise die sehr erfolgreichen Jahre zuvor. Wir sind ein wenig in einen Trott hereingekommen und dachten, dass viele Dinge einfach automatisch immer wieder passieren. Das tun sie aber nicht. Diesen Fehler müssen wir uns ankreiden. Mit der neuen Mannschaft haben wir es jetzt geschafft, eine bessere Mischung zu finden. Eine Mischung aus jungen Spielern auf wichtigen Positionen, die auch auf internationaler Ebene noch entwicklungsfähig sind und einem Trainer, der die Flexibilität besitzt, aus dem Talent und den Möglichkeiten einer Mannschaft das absolut Maximale herauszuholen. Das war unsere Idee.

"Kann die Parallelen zwischen Pep und Andrea nachvollziehen"

Sie sprechen Coach Andrea Trinchieri und seine Anpassungsfähigkeit an. War das der entscheidende Schlüssel für die Verpflichtung?

Pesic: Es war eine wichtige Komponente, auf jeden Fall. Wir mussten eine Umorientierung einleiten und wenn man die letzten Stationen von Andrea in Bamberg und Belgrad analysiert, dann hat er dort genau das exzellent gemacht. Es war auch ein bisschen eine glückliche Fügung, dass wir genau das gesucht haben, was Andrea verkörpert. Und Andrea hat genau das gesucht, was wir ihm bieten konnten. Es war für beide Seiten der passende Zeitpunkt.

Marko Pesic
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Trinchieri hat im SPOX-Interview erzählt, dass er sich sehr ähnlich betrachtet wie Pep Guardiola.

Pesic: Ich kenne Pep Guardiola nicht so gut, aber ich habe viele Geschichten über ihn gehört von meinem Vater. Ich kann die Parallelen zwischen Pep und Andrea schon nachvollziehen. Beide stehen für etwas Frisches, etwas Neues, beide schauen über den Tellerrand hinaus und beide können mit jungen hochveranlagten Spielern umgehen. Andrea weiß zum Beispiel genau, zu welchem Zeitpunkt er einen Jungen bringen kann. Er hat auch gar keine Angst, Leistungsträger hart anzupacken. Das ist für mich persönlich eine wichtige Qualität, weil wir da einfach keinen Unterschied machen können.

Mit einer 4-2-Bilanz ist der Start in die Euroleague hervorragend gelungen, mit einem Sieg gegen Belgrad am Freitag kann die Bilanz weiter verbessert werden. Zeit, um in der Euroleague anzugreifen?

Pesic: (lacht) Nein, nein. Das Schlüsselwort lautet wirklich: Prozess. Ja, es sieht bislang alles gut aus, wir scheinen wirklich eine gute Mischung gefunden zu haben. Aber wir sollten uns nur auf diesen sensiblen Prozess konzentrieren. Wir dürfen jetzt keine unnötigen Fehler machen und in unangebrachte Euphorie verfallen, wenn wir weiter so gut dastehen, oder in eine Depression, wenn wir mal zwei, drei Spiele verlieren. Ich bin sehr froh, wenn ich in dieser Woche die Trainingseinheiten gesehen habe. Weil ich sehe, wie konsequent Trainer und Mannschaft diesen Weg gehen. Und die Situation verbietet es ohnehin, zu weit nach vorne zu schauen. Aktuell hoffen wir, dass unsere Tests wieder negativ zurückkommen und bereiten uns auf die Spiele am Freitag und Sonntag vor. Weiter kannst du fast nicht denken. Was ich aber sagen kann, ist, dass es mir für die erste Saisonphase extrem wichtig war, mit der Einstellung in jedes Spiel zu gehen, zu fighten und das Ding gewinnen zu wollen. Und nicht irgendetwas herzuschenken. Das haben wir geschafft und das wollen wir auch weiter versuchen. Das ist der erwähnte, eigene Weg.

"Hey Dirk, Drazens Mutter möchte gerne mit dir sprechen"

Aktuell hat die Euroleague einige Überraschungen parat, Kaunas führt mit einer sehr interessanten Truppe die Tabelle an. Haben sich die Kräfteverhältnisse verändert?

Pesic: Nein, das würde ich nicht sagen. Real hatte einen langsamen Start, aber diese Mannschaft ist so gut und erfahren, dass sie am Ende doch wieder in den Top 4 stehen wird. Ähnlich würde ich es bei ZSKA sehen, Barcelona wird auch wieder oben dabei sein - und danach wird die Luft schon dünn. Ich gehe davon aus, dass die üblichen Verdächtigen mit der Zeit sich wieder durchsetzen und dann schauen wir mal, welche Chancen wir im Kampf dahinter so haben.

Drazen Petrovic hatte mal ein sehr spektakuläres Intermezzo bei Real, bevor er in die NBA wechselte. Am 22. Oktober wäre der Mozart des Basketballs 56 Jahre alt geworden, Sie haben an dem Tag mit einem Post auf Instagram Ihre Bewunderung für ihn ausgedrückt. Woran müssen Sie an so einem Tag denken?

Pesic: Drazen Petrovic war mein Basketball-Held. Als mein Vater in Sarajevo Trainer war, hat Drazen für Cibona Zagreb gespielt. Das war 1985. Ich weiß noch, wie ich mit acht, neun Jahren bei meinen Eltern darum gebettelt habe, zu einem Spiel von ihm gehen zu dürfen. Aber ich musste in die Schule, keine Chance. Also musste ich aus der Schule ausbüxen und habe mich irgendwie in die Halle gemogelt. Ich erinnere mich auch noch, wie 2005 bei der EM nach dem Finale gegen Griechenland plötzlich Drazens Mutter in der Hotel-Lobby stand und mich bat, sie zu Dirk Nowitzki zu bringen. Sie wollte unbedingt Dirk kennenlernen.

Was passierte dann?

Pesic: Wenn man Dirk und seine Gewohnheiten nach einem großen Turnier ein bisschen kennt, weiß man, dass solche Sachen nur bedingt Sinn ergeben. (lacht) Aber es half ja nichts, wenig später habe ich an Dirks Zimmertür geklopft. Dirk kam raus und ich habe gesagt: "Hey Dirk, Drazens Mutter möchte gerne mit dir sprechen." Was man wissen muss: Dirk hat damals ja ein unfassbares Turnier gespielt und wurde im Finale mit Standing Ovations verabschiedet. Drazens Mutter meinte dann zu ihm, dass sie ihm von ganzem Herzen zu seiner Leistung gratulieren wolle und dass er sie teilweise an ihren Sohn erinnert habe. Das war unglaublich emotional, wir hatten alle Tränen in den Augen.

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