BBL: Bayern-Coach Andrea Trinchieri im Interview: "Vielleicht wäre ich Serienmörder"

Von Begüm Ünal
Andrea Trinchieri ist seit diesem Sommer Head Coach des FC Bayern.
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Beobachten Sie auch die mentalen Auswirkungen der Pandemie auf die Spieler?

Trinchieri: Absolut ja. Ich sehe auch, dass es einige abstreiten. Diejenigen, die die Tatsache leugnen, dass sie besorgt sind, sind es aber erst recht und hoffen, dass es nur ein böser Traum ist. Die Spieler sind keine Außerirdischen. Sie sind an erster Stelle Menschen und dann Basketballspieler. Und die Menschen haben Ängste, Sorgen, Glück, sie weinen, ... alles.

Sie sind ein leidenschaftlicher Trainer und spielen gerne vor leidenschaftlichen Fans. In dieser Saison wird es jedoch keine bzw. nur wenige Fans in den Arenen geben. Glauben Sie, dass sich diese Situation auf die Stärke der Teams auswirken wird?

Trinchieri: Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Die NBA hat sich für eine "Bubble" entschieden. Als es anfing, sagten alle: "Es ist nicht dasselbe. Ohne Fans zu spielen, ist nicht gut, das ist Mist". Und sie haben alle Recht. Aber jetzt, in den Playoffs, ist jedes Spiel besser geworden als das vorherige. Sie müssen wissen, dass sich das Leben verändert hat. COVID-19 hat die Existenz von Milliarden von Menschen verändert. Also spiele ich lieber ohne die Fans als überhaupt nicht. Wenn Sie mich aber fragen, was ich mir wünsche, dann möchte ich in jedem Spiel 20.000 Fans haben. Kann ich die haben? Nein. Nun aber zu sagen, dass man dann lieber gar nicht spielen sollte, ist Kapitulation. Meiner Meinung nach ist es schon gut, wenn wir versuchen, von vorne zu beginnen. Die Fans werden uns im Fernsehen sehen und dann werden wir langsam zur Normalität zurückkehren. Die Menschheit hat solche Momente schon einmal erlebt.

Andrea Trinchieri: "Kann es nicht ertragen, wenn ein Spieler zuerst an sich selbst denkt"

Ohne Fans werden wir Sie sicher häufiger über die Mikrofone hören. Sie sind bekannt für Ihre emotionalen Ausbrüche während eines Spiels. Welche Situationen bringen sie besonders auf die Palme?

Trinchieri: Ich kann Konzentrationsfehler nicht ertragen. Ich bin in diesen Momenten nicht immer so kontrolliert wie ich sein sollte, aber ich arbeite daran. Ich kann es auch nicht ertragen, wenn ein Spieler zuerst an sich selbst denkt, nicht an die Mannschaft. Diese beiden Dinge lassen mich austicken.

Wer war Ihre Inspiration, Ihr Vorbild, bevor Sie sich selbst einen Namen gemacht haben?

Trinchieri: Da gibt es viele. Um Ihnen einen zu nennen: Zeljko Obradovic. Er war definitiv die Nummer eins, aber man kann von jedem Coach etwas lernen. Es gibt so viele gute Trainer. Nur einen zu nennen, ist eine Untertreibung. Zum Beispiel mag ich Pep Guardiola sehr. Er ist kein Basketballtrainer, aber ich betrachte mich sehr ähnlich: Wir sprechen über verschiedene Ebenen, auch er achtet auf bestimmte Dinge.

Sie schauen also auch Fußball?

Trinchieri: Natürlich! Ich schaue alle Sportarten.

Können Sie Ihren Coaching-Stil mit eigenen Worten beschreiben?

Trinchieri: Anspruchsvoll, kreativ, anpassungsfähig. Das sind die Vorzüge. Und der Fehler, der mich am meisten stört, ist das Verlieren: Ich ärgere mich mehr über Niederlagen, als dass ich mich über Siege freuen kann. Daran muss ich arbeiten, weil ich Basketball sehr mag. Es ist ein wunderschönes Spiel, ich denke gerne über Basketball nach.

Und wenn Sie kein Basketball-Trainer wären? Was würden Sie dann machen?

Trinchieri: Vielleicht wäre ich ein Serienmörder? Alle Coaches sind schließlich ein wenig verrückt. Spaß beiseite, ich wäre natürlich kein Mörder. Ich würde vermutlich in der Personalbeschaffung tätig sein.

Andrea Trinchieri: Coaches "sollten mehr mit den Schiedsrichtern reden"

Zwischen 2013 und 2014 haben Sie mit Griechenland auch mal eine Nationalmannschaft betreut. Würden Sie das noch einmal in Betracht ziehen? Wie war die Erfahrung?

Trinchieri: Ich weiß es nicht. Es kommt auf die Gelegenheit an. Es war eine sehr lehrreiche Erfahrung. Ich habe viel gelernt. Es war kurz, aber sehr intensiv.

Trainer einer Nationalmannschaft zu sein ist anders, oder?

Trinchieri: Es ist ein anderer Sport. In der Nationalmannschaft bist du ein Manager, im Verein bist du ein Trainer.

Während des Lockdowns waren Sie Redner bei einem Schiedsrichter-Seminar. Sind Sie der Meinung, dass Coaches und Schiedsrichter genug miteinander kommunizieren oder besteht in dieser Hinsicht Nachholbedarf?

Trinchieri: Wir sollten definitiv mehr miteinander reden. Ich denke, es wäre sehr schön, eine tiefere Kommunikationsebene zu haben, denn jedes Mal, wenn ich mit den Schiedsrichtern spreche, verstehe ich mehr über ihre Arbeit.

Inwieweit ist es wichtig, die Kommunikation zwischen Trainern und Schiedsrichtern zu verbessern, um die Qualität des Spiels zu verbessern?

Trinchieri: Ich weiß nur, dass gute Dinge geschehen, wenn es eine fruchtbare Kommunikation gibt. Wir sollten proaktiver sein. Wir sollten uns gegenseitig austauschen, Perspektiven erklären. So lernt man etwas. Es ist für die Referees leichter, wenn wir ihnen unsere Sichtweise erklären. Auf der anderen Seite können wir unsere Spieler besser darauf vorbereiten, worauf die Schiedsrichter besonders achten werden.

Als Sie noch Coach in Bamberg waren, hatten Sie keine besonders positive Meinung über die Bayern.

Trinchieri: Woher kennen Sie meine Meinung?

Ich habe in einem Ihrer Interviews gelesen, dass Sie damals die Bayern als "Aliens" bezeichnet haben. Wie hat sich Ihre Meinungen im Laufe der Jahre verändert und was hat Sie dazu gebracht, ausgerechnet in München zu unterschreiben?

Andrea Trinchieri hatte es mit den Referees in der BBL nicht immer leicht.
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Andrea Trinchieri hatte es mit den Referees in der BBL nicht immer leicht.

Andrea Trinchieri: "Möchte, dass die BBL die beste Liga in Europa ist"

Trinchieri: Finden Sie das negativ?

Nein, aber auch nicht sehr schmeichelhaft ...

Trinchieri: Vergessen Sie nicht, dass ich Italiener bin. Ich spiele gerne mit Worten. Was manchmal nicht verstanden wird, ist, dass wir ein Produkt verkaufen. Bayern gegen Bamberg war drei Jahre lang das wichtigste Spiel der BBL. Ich möchte, dass die BBL die beste Liga in Europa ist. Wenn ich also mit einigen Inhalten dazu beitrage, heißt das nicht, dass ich schlecht über ein anderes Team denke. Ich erfinde eine Geschichte, über die Sie später schreiben können. Wenn ich Ihnen sage: 'Es wird ein schwieriges Spiel, sie sind sehr gut. Der Bessere wird gewinnen' Was schreiben Sie dann?

Nichts.

Trinchieri: Nichts. Wenn Ihnen aber die Geschichte erzählt wird, dass "sie Außerirdische sind", schreiben Sie etwas.

Sie hatten erfolgreiche Jahre in Bamberg mit Daniele Baiesi als Sportdirektor. Nach einem Streit mit Ihnen verließ er jedoch Bamberg. Nun treffen sie in München wieder aufeinander und müssen zusammenarbeiten. Sind die Wogen geglättet?

Trinchieri: Müssen wir oder wollen wir? Ich denke, dass weder Daniele noch ich mit irgendjemandem arbeiten "müssen". Wir entscheiden uns dazu. Eines der Probleme bei diesem Job ist natürlich, dass er viel Druck und Stress mit sich bringt. Die Zeit ist ein Multiplikator von Druck und Stress. Ich möchte mit ihm arbeiten und ich glaube, dass Daniele Ihnen auch die gleiche Antwort geben würde. Wir haben einen großen Vorteil: Wir kennen uns sehr gut. Ich weiß, wie er arbeitet, er weiß, wie ich arbeite. Das ist ein Vorteil.

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