BBL: Bayern-Coach Andrea Trinchieri im Interview: "Vielleicht wäre ich Serienmörder"

Von Begüm Ünal
Andrea Trinchieri ist seit diesem Sommer Head Coach des FC Bayern.
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Was sind Ihre Ziele mit den Bayern in dieser Saison?

Trinchieri: Ich will ein Team haben, bei dem ein Zuschauer in die Halle kommt und beim Blick auf die Anzeigetafel feststellt, dass wir alles gegeben haben. Ich möchte ein engagiertes Team, das mit großer Leidenschaft spielt. Aber ich möchte auch sehr aggressiven Teambasketball sehen, etwas, das die Fans begeistern kann. Ich kann nicht garantieren, dass wir alles gewinnen werden, aber ich kann versprechen, dass wir alles tun werden, um die beste Version von uns selbst zu sein.

Die meisten Ihrer Spieler machten unter Ihrer Führung deutliche Fortschritte wie zum Beispiel Brad Wanamaker, Nicolo Melli oder Darius Miller in Bamberg. Wie schwer ist es, den Spagat zwischen Entwicklung der Spieler und gleichzeitigem Teamerfolg zu schaffen?

Trinchieri: Das ist sehr schwierig, aber dafür bezahlen sie mich.

Wie gehen Sie so etwas an? Setzen Sie den Spielern vor der Saison Ziele und versuchen dann anhand des Potenzials Ihre Spielphilosophie zu entwickeln?

Trinchieri: Ich habe eine allgemeine Spiel-Idee, dann nutze ich die ersten zwei Monate, um das tatsächliche Niveau der Spieler zu erkunden. Wenn du Scouting betreibst, hast du eine Idee, um was für einen Spieler es sich handelt. Die Wahrheit erfährst du aber erst, wenn du tagtäglich mit ihm in der Halle bist. Davor kann man sein Niveau nur vermuten. Die Spieler können individuell "gut" sein, aber sie müssen in das System passen und auch die Kultur und Werte der Organisation respektieren. Von hier an versuche ich zu verstehen, wie mein Team spielen muss. Ich erarbeite mit meinen Assistenten Pläne für einige Spieler, die sich entwickeln müssen. Jeden Tag ein bisschen Salz hier, ein bisschen Pfeffer da. So verstehe ich, wie sie ticken und wie sie sich verhalten.

Andrea Trinchieri: "Das Smartphone ersetzt nicht den Kopf"

Wanamaker und Melli spielten anschließend für Fenerbahce, bevor es in die NBA ging. Dort waren sich alle einig, dass Sie die beiden auf NBA-Level gebracht haben.

Trinchieri: Meiner Meinung nach haben sie das selbst geschafft. Ich habe sie nur begleitet. Sagen wir es so: Meine Aufgabe ist es, das System und die Art und Weise zu bestimmen, wie sie spielen sollen und wie es für sie am besten ist. Dadurch sind sie mit ihren Aufgaben gewachsen und wir haben Spiele gewonnen.

Sie haben inzwischen viele verschiedene Generationen gecoacht und trainieren seit Ende der Neunziger auf dem höchsten Level. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den verschiedenen Generationen?

Trinchieri: Als mein Vater oder meine Mutter mir etwas Wichtiges sagten, konzentrierte ich mich nicht darauf, wie sie es mir sagten. Ob sie es gut meinten oder nicht, wenn sie etwas sagten, war es, als hätte Gott seinen Mund geöffnet. Es war so. Wenn Sie nun mit einem 17-, 18- oder sogar 20-Jährigen sprechen, ist es viel wichtiger, WIE Sie Dinge sagen, als was Sie sagen. Wenn Sie ihn nicht dazu bringen können, Ihnen zuzuhören - selbst, wenn Sie das Richtige sagen -, hört er Ihnen nicht zu. Ich bin anders aufgewachsen: Wenn ein Erwachsener sprach, der meinen Respekt verdient hatte, zweifelte ich nie daran. Jetzt müssen Sie einen Weg finden, sich Gehör zu verschaffen. Und Sie müssen lernen, viele verschiedene Sprachen zu sprechen: Das ist nicht Deutsch, Türkisch oder Serbisch, sondern die Sprache, die diese Person hören möchte.

Wie erreichen Sie dann diese jungen Spieler, die nicht die Wahrheit hören wollen?

Trinchieri: Ich denke, das Wichtigste bei jungen Menschen ist heutzutage, dass man ihnen klar macht, dass man sich um sie kümmert. Die Situation ist sehr kompliziert, weil wir in einer Welt leben, die alles bereit hält. Das Smartphone gibt ihnen Zugang zur ganzen Welt: Sie können eine Pizza bestellen, ein Auto kaufen oder eine Reise buchen. Sie können einer Person sagen "Ich liebe dich", sie können einer Person sagen "Ich hasse dich". Sie haben alles hier. Aber das Smartphone ersetzt nicht den Kopf. Es ist kompliziert, das den Leuten zu erklären, die in dieser neuen Welt leben. Ich gebe dafür auch niemandem die Schuld. Man muss aber viel Energie aufwenden, um Wege zu finden, damit man mit dieser Person interagieren kann.

Andrea Trinchieri coachte in Bamberg unter anderem den heutigen NBA-Profi Brad Wanamaker.
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Andrea Trinchieri coachte in Bamberg unter anderem den heutigen NBA-Profi Brad Wanamaker.

Andrea Trinchieri: "Wäre enttäuscht, wenn meine Mannschaft nicht gut verteidigt"

Mit Partizan stellten Sie in der vergangenen Saison eines der besten Defensivteams im EuroCup. Glauben Sie, dass Sie mit den Bayern das nun in der EuroLeague ebenfalls schaffen können?

Trinchieri: Jedes Team ist anders. Ich glaube, dass für eine Mannschaft wie Bayern die Verteidigung von grundlegender Bedeutung ist und sein wird. In der Offensive muss man sich ein wenig am Talent der Spieler orientieren und die Spieler kann ich mir nicht aussuchen. In der Verteidigung geht es darum, ob du bereit bist, Opfer für das Team zu bringen. Wir werden bei Bayern etwas anders als bei Partizan verteidigen, aber ich hoffe, es wird genauso effektiv sein. Partizans [Verteidigung] war außergewöhnlich. Das lag auch daran, dass wir viele verschiedene Komponenten hatten. Ich wäre aber sehr enttäuscht, wenn meine Mannschaft nicht gut oder sehr gut verteidigen würde. Sehr enttäuscht.

Was motiviert Sie nach all diesen Jahren?

Trinchieri: Zunächst einmal weiß ich, dass ich ein glücklicher Mensch bin, der einen tollen Job hat, in dem ich meine Kreativität ausleben kann. Für mich ist es der beste Job der Welt. Die Amerikaner würden sagen, dass ich gesegnet bin. Ich fühle mich auch so. Das sollte ausreichen, um motiviert zu sein, jeden Tag der Beste zu sein, das Beste von dem, was Sie geben können. Wenn dies nicht genug wäre, hätte ich eine sehr starke persönliche Motivation: Ich möchte nicht das Ende meiner Karriere erreichen, ohne alles versucht zu haben, um die beste Version von mir selbst zu werden. Dies bedeutet, in den Spiegel zu schauen, die Auswirkungen zu sehen, sich zu verbessern und hungrig zu sein. Hungrig bleiben. Ich sage immer, dass wir sehr glücklich sind, die Arbeit zu machen, die wir machen.

Wie motivieren Sie die Spieler, vor allem in dieser unsicheren Zeit?

Trinchieri: Hinter jedem Erfolg eines Trainers oder eines Spielers steht immer eine große Ungerechtigkeit. Eine Ungerechtigkeit sich selbst gegenüber, denn um an die Spitze zu kommen, haben die Spieler Familie, Freunde und Freizeit geopfert. Wir haben also großes Glück, aber wir haben auch viel geopfert. Ohne Opfer kann es keinen Erfolg geben. Wir müssen uns aber auch daran erinnern, dass es diese Opfer gibt. Meine Spieler zu motivieren ist in den unsicheren Zeiten der Corona-Pandemie nicht immer einfach. Wir wissen nicht, was morgen passieren wird: Können wir reisen? Können wir spielen? Sind Fans erlaubt? Deshalb versuche ich sehr einfach und unkompliziert zu sein: Wenn Du ein Talent hast, verschwendest Du es nicht. Du versuchst zu arbeiten, um so gut wie möglich zu spielen und das Maximum aus Dir herauszuholen.