"Ich? Vielleicht der Rehhagel der BBL"

Von Interview: Jonas Schützeneder
Coach Ingo Freyer etablierte Phoenix Hagen in der BBL
© imago

Er kennt den deutschen Basketball wie kaum ein anderer: Ingo Freyer, früherer Nationalspieler, hat aus dem Provinzklub Phoenix Hagen eine Marke der BBL gemacht. Im SPOX-Interview spricht der 44-Jährige über heiße Duelle mit Sasa Obradovic, kleine Etats und die große Wutrede seines Spielers Michael Jordan.

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SPOX: Herr Freyer, lassen Sie uns doch mit der legendären Wutrede von Michael Jordan beginnen.

Ingo Freyer: Sehr gerne.

SPOX: Man muss dazu sagen, dass es nicht um "His Airness" geht, sondern um den gleichnamigen Spieler, der 2010 für Sie in Hagen spielte.

Freyer: Genau. Wir hatten damals ein schweres Jahr und waren im Abstiegskampf. Die Truppe war zu soft und brav, wir haben - mit Verlaub - einen Drecksack gebraucht. Michael war so einer Spielertyp und er hat uns letztlich geholfen. Auch wenn seine Verpflichtung ein sehr hohes Risiko war.

SPOX: 16 Vereine in elf Jahren sagen alles. Aber zurück zur Wutrede.

Freyer: Wie in unserer Doku zu sehen ist, war das Team zur Halbzeit wie üblich kurz alleine, weil ich mich zuerst immer fünf Minuten mit meinem Assistenten bespreche. Diese Zeit hat Michael dann zu einer Ansprache genutzt. Das ist okay, Spieler sollen auch in der Zeit kommunizieren. Ich habe mich nur gewundert, warum er dann plötzlich rausgegangen ist. Michael hätte ruhig in der Kabine bleiben können, obwohl er damals verletzt war (lacht).

SPOX: Am Ende stand der Klassenerhalt und Sie haben damit alles richtig gemacht.

Freyer: Genau darum ging es. Ich habe als Spieler mit Michael gespielt und wusste, wie er ist. Natürlich war es ein hohes Risiko, er konnte jederzeit explodieren - und zwar so, dass man ihn dann auch aus dem Team rauswerfen muss. Dafür haben wir uns mit der Nachverpflichtung von Rolandas Alijevas abgesichert. Wir haben es aber über die entscheidenden Spiele gerade so hingekriegt, oft nochmal zusammengerauft. Michael hatte fünf geniale und mehr als zehn schlechte Spiele bei uns. Aber mit diesen fünf genialen hat er uns in der Liga gehalten.

SPOX: Sie sind seit 2007 in Hagen Coach und haben kürzlich bis 2017 verlängert. Im deutschen Profigeschäft ist das sehr selten. Ein Vergleich drängt sich auf: Sind Sie der Thomas Schaaf der BBL?

Freyer: Vielleicht bin ich auch der Otto Rehhagel der BBL. Aber im Ernst: Ich finde Fußball und Basketball sehr schwer miteinander zu vergleichen. Man muss hier das Gesamt-Paket sehen. Wir sind eigentlich viel zu früh aufgestiegen. Das Umfeld war quasi dem Sportlichen weit hinterher. Daran arbeiten wir jetzt und wir haben es geschafft, Phoenix Hagen als Marke zu etablieren. Dafür ist Kontinuität wichtig.

SPOX: Das sagen viele Vereine. Gehandelt wird trotzdem schnell.

Freyer: Richtig. Nehmen wir das Beispiel von Sebastian Machowski in Oldenburg. Ich kenne ihn persönlich sehr gut und schätze seine Art als Trainer. Er hat über Jahre einen super Job gemacht. Dann läuft es zwei Monate nicht gut und er muss gehen. Oder Chris Fleming: Er dominiert mit Bamberg vier Jahre die Liga und scheidet dann einmal im Viertelfinale aus. So ist leider das Geschäft.

SPOX: Die genannten Klubs haben gerade wegen starker Marken im Rücken hohen Erfolgsdruck. Ihre aktuelle Saison ist mit Rang 13 auch unter den Erwartungen, trotzdem ist Ihr Job ziemlich sicher.

Freyer: Natürlich würden wir gerne etwas weiter oben stehen. Doch die Erwartungen waren gerade in diesem Jahr ganz klar der Nichtabstieg. Den haben wir geschafft, besser noch, wir halten uns die ganze Saison in der Region zwischen Rang 10 und 14 auf. Aber ich verweise nochmal auf das Gesamt-Paket hier in Hagen. Wir haben mit unserer Nachwuchs-Abteilung eine wahnsinnig gute Arbeit geleistet und profitieren jetzt richtig davon. Mit Blick auf die deutschen Spieler unter 22 Jahren bekommen sie hier mit Abstand die meisten Minuten im Vergleich aller BBL-Teams. Die Minuten, die sie hier pro Spiel bekommen, kriegen sie bei anderen Klubs oftmals nicht einmal in einer ganzen Saison. Auch das Umfeld entwickelt sich weiter, und wir haben den Verein erst kürzlich neu strukturiert. Aber es gibt noch viel zu tun. Klar ist: Mit einer Hallenkapazität von 3000 kann man keine Titel gewinnen. Wir könnten sicher eine doppelt so große Halle regelmäßig füllen. Aber hier bewegt sich etwas und das macht mir total Spaß.

SPOX: Der Hagen-Etat gehört zu den kleinsten der BBL. Man munkelt, dass die Assistent-Coaches der Top-Teams mehr verdienen als Sie ...

Freyer: Richtig ist, dass nur Crailsheim einen etwas niedrigeren Etat hat als wir. Einige andere Klubs haben etwa das gleiche Geld zur Verfügung. Und was das Gehalt angeht: Medien und Öffentlichkeit spekulieren viel über solche Zahlen. Ich bin in der Liga ganz gut vernetzt und weiß ziemlich genau, wer wieviel verdient. Nur mal zum Vergleich: Wenn ich unseren Spieleretat um 300.000 Euro erhöhen könnte wäre das gigantisch, wir könnten richtig große Sprünge machen. Für die großen Teams sind 300.000 überhaupt nichts.

SPOX: Sie sprechen die sportliche und wirtschaftliche Dominanz von Bayern, Bamberg und Berlin an. Zumindest aktuell sieht es so aus, als wäre die Liga dahinter zumindest enger zusammengerückt.

Freyer: Diese drei Teams stehen mit deutlichem Abstand vorne. Dass es dahinter enger zugeht, liegt an verschiedenen Faktoren. Natürlich sind Ulm und Oldenburg nicht glücklich, dass sich der Abstand nach vorne erhöht hat. Gleiches gilt für Artland und Bonn. Ich sehe derzeit kein Team, dass Bayern, Bamberg oder Berlin in einer Serie schlagen kann, dafür ist das Geld einfach zu deutlich verteilt.

SPOX: Im internationalen Vergleich tut das der BBL aber gut.

Freyer: Auf jeden Fall. Was Alba in der Euroleague geleistet hat, ist einfach nur überragend und super für die Liga. Die Konkurrenz an der Spitze der Liga hilft allen drei Teams, weil sie sich gegenseitig richtig pushen.

SPOX: Mit Jan Pommer verliert die BBL jetzt aber einen Geschäftsführer, der maßgeblich an diesem Aufschwung beteiligt ist.

Freyer: Ich habe mit Jan noch nicht über seine Entscheidung gesprochen und kenne daher die Gründe nicht. Aber er hat auf jeden Fall gute Arbeit geleistet und die Liga ist auf einem richtig guten Weg.

SPOX: Pommer hat sich selbst auch als Sportpolitiker gesehen. Wie sieht es mit Ihrem politischen Interesse aus?

Freyer: Natürlich informiert man sich über die aktuellen Ereignisse. Aber als Trainer hat man so viel um die Ohren. Ohne zu übertreiben: Man könnte täglich 24 Stunden durcharbeiten. Ich habe mir mal den Spiegel abonniert, nach kurzer Zeit war er aber wieder abbestellt. Ich bin nicht mal ansatzweise dazugekommen, ihn wirklich zu lesen.

SPOX: Sie wären beim Ende Ihres Vertrags 2017 zehn Jahre Headcoach in Hagen. Was bleibt da im Rückblick besonders in Erinnerung?

Freyer: Einiges. Hier passiert immer etwas, der Klub ist scheinbar dafür gemacht. Natürlich war der Aufstieg ganz besonders, dazu Playoff-Erfahrung. Auch die aktuelle Saison ist Wahnsinn. Wir gewinnen zuhause nur zwei Spiele, sind aber auswärts das drittbeste Team der Liga. Das ist verrückt. Aber genau solche Dinge machen den Job so spannend.

SPOX: Und wenn im Sommer bei größeren Klubs der Liga Trainerposten frei werden?

Freyer: Ich bin doch erst 44. Für solche Aufgaben habe ich noch genug Zeit. Ich sehe hier noch viel zu tun. Darum geht es ja als Coach: man will etwas aufbauen. Pep Guardiola hat im Vorjahr den aktuellen Champions-League-Sieger übernommen. Trotzdem hat er viele kleine Dinge gesehen, die er anders machen möchte. Solange man dieses Gefühl hat etwas bewegen zu können, macht die Arbeit Spaß. Und das sehe ich in Hagen auf jeden Fall.

SPOX: Herr Freyer, lassen Sie uns das Gespräch doch mit drei Vervollständigungsfragen beenden.

Freyer: Ich bin gespannt.

SPOX: Wenn ich die Streitigkeiten zwischen Alba- und Bayern-Führung über Bevorzugung und Schiedsrichter-Ansetzungen höre, denke ich...

Freyer: ..., dass das nicht ungewöhnlich ist. Sowas passiert dauernd und zwischen vielen Klubs. Der Unterschied ist nur das mediale Interesse.

SPOX: Als Spieler und Coach unterscheidet sich Ingo Freyer folgendermaßen:

Freyer: Der Spieler war eher ruhiger, der Trainer analytischer und emotionaler.

SPOX: Der Spieler, der mich in der Defense vor große Probleme gestellt hat, war ...

Freyer: Keith Gatlin. Ich war eigentlich ein ganz ordentlicher Defender, aber Gatlin war im 1-1 einfach nicht zu stoppen.

SPOX: Und Ihr Coaching-Gegner Sasa Obradovic?

Freyer: Wir haben oft mit- und gegeneinander gespielt. Ich bin ganz gut mit ihm zurechtgekommen. Obradovic war sehr impulsiv und emotional, man konnte ihn daher auch ganz gut provozieren. Wenn ich ihn heute an der Linie sehe, ist er zwar auch sehr emotional, aber ich muss sagen: Als Spieler war er schlimmer (lacht).

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