Ganz der Papa

Von Jan Zesewitz
Alessandro Gentile wusste vergangene Saison in der Euroleague zu überzeugen
© getty

Alessandro Gentile ist einer der besten europäischen Spieler in der Euroleague, trotz seines jungen Alters bereits Führungsspieler bei Emporio Armani Milan und trifft nun auf den FC Bayern München (Fr., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER). Trotz Draft zeigt der 21-Jährige den USA im Moment noch die kalte Schulter. Erst will er Europa erobern - wie sein Vater vor ihm.

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Was hat Alessandro Gentile nur gegen Spanier? Gewinnen lässt er sie jedenfalls nur ungern. Beispiel Nummer eins: Eurobasket 2013, Zwischenrunde. Gentile hat sich längst zu einer der Entdeckungen des Turniers entwickelt, ist Topscorer der Italiener im Beisein von NBA-Spielern wie Marco Belinelli und Luigi Datome.

Spanien ist natürlich dennoch Favorit. Doch Gentile, dieser 20-jährige Youngster, schenkt Marc Gasol und Co. 25 Punkte ein. In der Verlängerung trifft er sechs Freiwürfe mit aller Coolness dieser Welt, am Ende steht es 86:81. Für Italien. Ein Star ist geboren.

Beispiel Nummer Zwei: Euroleague 2014, Top16, vorletztes Spiel. Gentiles Team, Emporio Armani Mailand, hat sich bereits für die Playoffs qualifiziert. Gleiches gilt für den Gegner, den FC Barcelona. Der ist in der Zwischenrunde sogar noch ungeschlagen. Nach der Halbzeit liegt Mailand mit acht Punkten vorne.

Trügerisch gegen das spanische Starensemble. Es folgt ein 12:0-Run der Mailänder - angeführt von Gentile, dem an diesem Tag fast alles gelingt: 24 Punkte, 7 Rebounds und 6 Assists stehen am Ende im Boxscore, im entscheidenden dritten Viertel sind es 10 Punkte. Das 91:63 ist eine der höchsten Niederlagen in der Euroleague-Geschichte des FC Barcelona - und für den inzwischen 21-Jährigen das bisherige Highlight in Europa.

In den Fußstapfen des Vaters

Um derartige Erfolge überhaupt erst zu ermöglichen, musste Gentile allerdings erst mal bekehrt werden. Denn klein Ale hatte eigentlich kein gesteigertes Interesse am orangefarbenen Leder.

"Als ich jünger war, habe ich Basketball nicht einmal gemocht", gab Gentile im SPOX-Interview zu. Und das, obwohl Vater Ferdinando Profi bei Milan und Panathinaikos war, als einer der besten italienischen Basketballer überhaupt gilt und 1996 den Europapokal der Landesmeister mit den Mailändern gewann.

Erst mit der Rückkehr aus Griechenland fand der Sohnemann Gefallen am Basketball. "In Italien habe ich dann selbst angefangen, zu spielen, und auch relativ schnell Spaß daran gefunden", erzählt er. "Das ist das wichtigste. Du musst das Spiel lieben".

Vielleicht hätte Gentile diese Liebe nie entdeckt, hätte ihn Vater Ferdinando unter Druck gesetzt. Das tat er jedoch nie, betont Alessandro. Heute ist er als Ratgeber dafür umso wertvoller.

Steiler Aufstieg

Wahrscheinlich leistete auch Gentile senior deshalb auch seinen Beitrag zum rapiden Aufstieg seines Filius. Nachdem er erst sechs Jahre zuvor überhaupt mit dem Basketball begonnen hatte, gab der mit gerade 16 Jahren bei Benetton Treviso sein Profidebüt. Mit 17 machte er im Eurocup gegen Dynamo Moskau 16 Punkte und half seinem Team, das Top16 zu erreichen.

Schnell offenbarte sich Gentiles Liebe zur großen Bühne. So auch, als ihm ein Jahr später im Eurocup-Viertelfinale die BG Göttingen zum Opfer fiel. Im Hinspiel legte Gentile - inzwischen bereits 18 Jahre alt - 22 Punkte auf und verhalf seinem Team so zu einem Platz im Final Four in eigener Halle.

Fast hätte man Gentiles Jugend vergessen können - bis zum Halbfinale. Dort, gegen Cajasol Sevilla, traf er lediglich zwei seiner zwölf Würfe aus dem Feld. Treviso, dieses junge Team, zu dessen Leistungsträgern damals auch Donatas Motiejunas zählte, verlor und musste sich am Ende mit einem etwas enttäuschenden vierten Platz zufrieden geben.

Während der Saison 2011/12 wechselte Gentile schließlich nach Mailand, damals die Nummer zwei im italienischen Basketball hinter Montepaschi Siena. Dort entwickelte er sich schnell zum Rotationsspieler, zeigte sein Potenzial in einigen Euroleague- und Ligaspielen - und nicht zuletzt bei der EuroBasket 2013.

Der Durchbruch

Gentiles Leistungen in Slowenien hatten Eindruck hinterlassen. Auch bei seinem neuen Coach Luca Banchi, der Milan vor der Saison übernahm und Sergio Scariolo ersetzte. Banchi machte Gentile kurz nach seinem Amtsantritt umgehend zum jüngsten Kapitän in der Geschichte des Klubs. Neben der Rückennummer teilte Alessandro nun eine weitere Eigenschaft mit seinem Vater bei Milan. Ein 20-Jähriger sollte eine ambitionierte Euroleague-Mannschaft anführen? Ein Risiko, das aufging.

Trotz einiger Probleme schlitterte die neuformierte Mannschaft ins Top16. Doch in der Zwischenrunde lief der Motor, man erreichte als Gruppenzweiter hinter Barcelona das Viertelfinale. Gentile machte in 21 Spielen 11,4 Punkte, sammelte 2,4 Rebounds und verteilte ebenso viele Assists.

Leider war sein Sahneauftritt gegen Barcelona sein letzter in diesem Jahr in der Euroleague. Eine Knieverletzung hinderte ihn an seinen ersten Playoffs. So musste Gentile vom Spielfeldrand aus zusehen, wie Mailand trotz Heimvorteils am späteren Champion Maccabi Tel Aviv scheiterte.

Immerhin zu den Finals der italienischen Liga war Gentile jedoch wieder fit - und ließ seinem Ärger freien Lauf. 14 Punkte legte er in der Best-of-Seven-Serie gegen Dauerrivale Siena im Schnitt auf. Genug, um zum Finals-MVP gekürt zu werden, gleichzeitig Sienas sieben Jahre andauernde Siegesserie zu beenden und Milans erste Meisterschaft seit 1996 zu sichern.

Timberwolves picken Gentile

Gentile hat seinen Status als eines der größten Talente Europas zementiert. Das hat man auch in den USA mitbekommen. Beim NBA-Draft 2014 wurde der Italiener an 53. Stelle von den Timberwolves gezogen.

Minnesota gab die Rechte Gentiles allerdings umgehend an die Houston Rockets weiter. Klappt der Wechsel nach Texas, wäre Ale nach Motiejunas bereits der zweite Spieler aus der Treviso-Schule in Diensten der Rockets.

Allerdings interessieren derartige Gedankenspiele Gentile nicht im Geringsten. Mehr noch: Momentan macht er keinerlei Anstalten, in die NBA zu wechseln. "NBA? Das interessiert mich momentan nicht. Ich bin glücklich in Mailand. Vielleicht werde ich irgendwann dort landen", sagt Gentile. Stattdessen verlängerte er seinen Vertrag in Mailand bis 2017 und wird nach eigener Aussage noch zwei Jahre in Europa bleiben.

Bereit für die NBA?

Dabei würde sein Spielstil einen Wechsel in die Staaten sicherlich zulassen. "Ich versuche, den Korb zu attackieren, beim Gegner ein wenig Unruhe zu schaffen", beschreibt Gentile sein Spiel. "Das ist mein Stil. Ich spiele sehr aggressiv und will ständig attackieren."

Mit knapp zwei Metern und einer guten Physis hat er zudem die körperlichen Voraussetzungen für die beste Liga der Welt. Dazu bringt er gerade in der Offensive ein komplettes Paket mit. Distanzwurf? Nicht schlafwandlerisch, aber mehr als solide. Midrange? Check. Zug zum Korb? Check. Post-up? Ebenfalls im Repertoire.

Auch in der Defensive muss sich Gentile nicht verstecken. Er ist hungrig nach Steals und besitzt ein gutes Positionsverständnis. Seine Größe und Reichweite helfen ihm in der Verteidigung ebenfalls.

Probleme mit der Einstellung?

Natürlich finden sich im Spiel eines 21-Jährigen auch Defizite. Sein Ballhandling ist nicht das Beste, am Wurf aus dem Dribbling kann man immer etwas verbessern. Im Hinblick auf die NBA fehlt ihm im Vergleich zu Altersgenossen vom College sicher auch die Athletik. Mit mehr Geschwindigkeit könnte aus ihm ein noch besserer Verteidiger werden.

Die größten Fragezeichen sehen Scouts allerdings hinter seiner Einstellung. Ihm fehle die Attitüde eines echten "Siegertypen", heißt es. Er verschwinde, wenn es mal nicht so gut läuft, verstricke sich in Reklamationen mit Schiedsrichtern und Gegenspielern.

Gerade diese Heißblütigkeit hat sich in der vergangenen Saison allerdings bereits verbessert und beschränkte sich mehr auf die positiven Seiten seines Temperaments. Mit etwas mehr Abgeklärtheit besitzt Gentile die Fähigkeiten, zu einem der dominanten Flügelspieler in Europa zu werden - und vielleicht gelingt auch der Sprung in die NBA. Damit würde er sogar seinen Vater überflügeln.

Alessandro Gentile im Porträt

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