"Die Bayern gehen auf die Nerven"

Hohe Ziele: Andrea Trinchieri will mit Bamberg zurück an die Spitze
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SPOX: Wie geht es weiter mit Anton Gavel, dem Gesicht der Brose Baskets? Stoschek bot ihm sogar ein Mitspracherecht bei der Kaderfindung an, um ihn von der Unterschrift bei den Bayern abzuhalten.

Trinchieri: Ich habe mit ihm gesprochen, als ich in Bamberg zur Vorstellung war. Was ich mochte: Er war geradeheraus und sagte mir, was ihm diese Saison alles missfiel. Diese Ehrlichkeit zeichnet ihn aus. Er stammt nicht aus Chicago oder Los Angeles, sondern aus Kosice, Slowakei. Er musste einen unglaublichen Willen aufbringen, um so erfolgreich zu sein. Das bewundere ich an ihm. Er war das Herz und die Seele des Teams. In unserem Gespräch machte er mir deutlich, wie seine Position lautet. Und ich sagte ihm deutlich, was meine Position ist. Jetzt werden wir sehen, wie er sich entscheidet. Er soll zunächst seinen Kopf freibekommen.

SPOX: Auf die Dienste von Jared Jordan legt Bamberg keinen Wert mehr, so dass die Suche nach einem neuen Point Guard zu den wichtigsten Aufgaben gehört. Ist es ausgeschlossen, dass Sie Eurocup-MVP Andrew Goudelock, früher bei den Los Angeles Lakers, aus Kasan mitbringen?

Trinchieri: Es gibt keine Möglichkeit auf dieser Welt, jemanden wie Goudelock zu verpflichten. Er hat einen Weg eingeschlagen, der nicht nach Bamberg führt. Wir werden uns anderweitig umsehen und es ist klar, dass es nicht einfach wird.

SPOX: Sportdirektor Wolfgang Heyder ist bekannt dafür, extrem früh seinen Arbeitstag zu beginnen. Wie sieht die Zusammenarbeit mit ihm aus, nachdem er im Zuge der Fleming-Trennung aus der Geschäftsführung zurücktrat und seinen Abschied vorbereiten wollte?

Trinchieri: Zuletzt bekam ich von ihm um 4.49 Uhr früh eine Mail. (lacht) Wir telefonieren jeden Tag und die Arbeit mit ihm ist sehr befruchtend. Es entstand von Anfang an eine großartige Chemie zwischen uns. Wolfgang ist ein großartiger Manager und ich wünsche mir von Herzen, dass er an meiner Seite bleibt. Er kennt Bamberg wie kein Zweiter und hat den Klub aufgebaut. Wer sich so lange in so einer schwierigen Position behauptet, dem unterlaufen automatisch Fehler. Aber bei ihm sind es so wenige Fehler, dass es kein Zufall sein kann. Ich habe selten so etwas erlebt.

SPOX: Auf was werden Sie bei der Spielerrekrutierung achten?

Trinchieri: Ich stehe für Team-Basketball. Ich glaube einfach nicht daran, dass der NBA-Stil mit den Isolations in Europa unter FIBA-Regeln erfolgreich sein kann. Das Spielfeld bei uns ist viel kleiner und wenn ein Spieler andauernd alleine zum Korb zieht, kollidiert er immer gegen eine Wand aus Gegnern. Daher möchte ich Spieler, die meine Aufforderung verstehen, dass der Ball und die Spieler ständig in Bewegung sein müssen.

SPOX: Sie sind multikulturell aufgewachsen und können neben italienisch auch serbokroatisch und englisch fließend sprechen. Hilft das?

Trinchieri: In mir fließt das Blut aus vielen Ecken der Welt. Ich hatte das Privileg, mit drei Sprachen aufzuwachsen und von drei Familien erzogen zu werden mit den unterschiedlichsten Kulturen und Gebräuchen. Das kommt mir entsprechend entgegen, wenn ich einen jungen Amerikaner trainiere, der erstmals in Europa spielt. Ich verstehe, wie er tickt, weil ich die US-Sozialisation kenne. So entsteht eine Verbindung. Kyle Hines habe ich beispielsweise in die zweite italienische Liga geholt, danach gelang ihm über Bamberg sogar der Sprung zu ZSKA Moskau, obwohl mir jeder einreden wollte, dass er zu klein wäre. Ich erkannte durch die Gespräche mit ihm, dass die Körpergröße nicht von Belang sein darf, weil sein Herz so riesengroß ist. Ähnlich lief es mit Keith Langford, der ebenfalls bei mir in der zweiten italienischen Liga anfing, bevor er diese Saison für Milano als Euroleague-Topscorer ausgezeichnet wurde.

SPOX: Wie sind genau Ihre familiären Wurzeln?

Trinchieri: Mein Großvater lebte in Boston als italienischer Konsul und heiratete eine Amerikanerin. Dort wurde mein Vater geboren, daher erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er wiederum zog nach London um, wo er meine Mutter, eine Kroatin, kennenlernte. Nach der Hochzeit entschlossen sie sich, nach Italien zu gehen, weil es damals einer der schönsten Orte der Welt war.

SPOX: Sie sagten einmal, als Sie auf die beiden Trainer-Legenden Zeljko Obradovic und Ettore Messina angesprochen wurden: "Obradovic wurde fürs Coaching geboren, er ist ein Genie. Messina hingegen musste sich alles selbst erarbeiten." Sind Sie ein Genie oder ein Arbeiter?

Trinchieri: Ich kam aus dem Nichts und musste Stufe um Stufe erklimmen. Ich war kein guter Spieler und als Coach fing ich in der sechsten italienischen Liga an. Von daher muss ich ein harter Arbeiter sein.

SPOX: Andererseits: Wer sich so schnell hocharbeitet, den könnte man als Genie bezeichnen.

Trinchieri: Ich weiß es nicht. Sagen wir es so: Ich habe etwas Großes geschafft in Cantu. Aber ich spüre, dass noch einiges in mir steckt. Daher habe ich für mich selbst noch gar nicht entschieden, wer ich bin. Ich weiß noch nicht, was alles möglich ist. Und ich will es auch gar nicht wissen. Wer zu viel über sich nachdenkt, dem unterläuft bereits der erste Fehler. Die Bayern landeten wie die Außerirdischen auf der Erde, keiner hatte sie erwartet, und sie übernehmen die Bundesliga und bald Europa. Sie sind die Realität. Doch wir Bamberger sind als Underdogs zur Stelle, um sie herauszufordern. Wenn mir das gelingt, habe ich vielleicht die innere Ruhe, um kurz über mich nachzudenken. Vielleicht bin ich danach schlauer.

Seite 1: Trinchieri über den Telekom-Deal und Brose-Boss Stoschek

Seite 2: Trinchieri über die Erwartungshaltung in Bamberg und die Bayern

Seite 3: Trinchieri über das Tauziehen um Gavel und seine multikulturelle Kindheit

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