"Fußball ist vom Doping verseucht"

Von Interview: Jannik Schneider
Doping ist auch im Fußball ein Thema
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SPOX: Im Moment sieht es nicht danach aus, als würde zeitnah etwas geschehen. Glauben Sie, dass nur dann etwas wirklich verändert wird, wenn das Thema Doping im Fußball auf die Tagesordnung gehoben wird?

Kistner: Da stimme ich Ihnen zu. Der Fußball ist sicherlich sehr vom Doping verseucht. Das wissen wir ja aus der Nachbetrachtung über Jahrzehnte. So läuft das im Fußball, dass es immer erst später erkennbar wird, was so alles getrieben wurde.

SPOX: Gibt es ein Beispiel?

Kistner: Wir haben sowohl bei großen Klub- als auch bei Nationalmannschaften in deren Hoch-Zeiten erst im Nachhinein immer wieder feststellen müssen, dass Doping praktiziert wurde. Dies hat sich aber nie - bis auf den Fall von Juventus Turin in den 90ern - so abgespielt, dass man es hätte direkt abstellen können.

Anmerkung der Redaktion: Der ehemalige Trainer Zdenek Zeman hatte damals öffentlich "unnatürliche Muskelzuwächse" bei Spielern wie Alessandro Del Piero von Juventus angeprangert. Es entstand eine Dopingaffäre, in deren Folge die Turiner Staatsanwaltschaft den Vereinsarzt Riccardo Agricola und Geschäftsführer Antonio Giraudo vor Gericht brachte. Im Zuge der Ermittlungen gilt es als erwiesen, dass im Team von Juventus systematisch EPO-Blutdoping betrieben wurde. Die Vorwürfe richteten sich damals unter anderem auch gegen Antonio Conte. Agricola wurde später zu einem Jahr und zehn Monaten Haft verurteilt.

SPOX: Warum nicht?

Kistner: Fußballtypisch ist, dass Pharmasünden im Nachgang ans Licht kommen. Sei es durch unvorsichtige oder beabsichtigte Äußerungen nach der Spielerkarriere oder Fußballerbiografien. Doping wird im Fußball aber bis heute Tür und Tor geöffnet - auch bei der WM 2018 in Russland. Denn bis heute darf die WADA bei einer Fußball-WM gar nicht zugreifen. Das ist das Lächerlichste. Nicht unabhängige Wissenschaftler und Juristen, die FIFA-Präsidenten sind es, bei denen die Ergebnisse landen. Und was das heißt, kann sich jeder denken. Gleiches gilt im Klubfußball: Ein Dopingfall bei einem Messi, Neymar oder Cristiano Ronaldo würde über Nacht einen Marktwert von rund einer viertel Milliarde Euro vernichten. Peng - einfach so. Und die ganze Branche in ein irre schiefes Licht bringen. Ein Gedankenspiel.

SPOX: Nur zu.

Kistner: Können Sie sich vorstellen, so eine Positivprobe, wenn es sie gäbe, käme je ans Licht? Das tut ja nicht das Labor, zuständig wären dafür Liga und Verbände. Wer glaubt, dass ausgerechnet der Fußball mit all seinen Tricks und Finten, seinen Steueroasen, Agenten-Deals und taktischen Fouls, die sogar ins Training einfließen, im wichtigen Pharma-Bereich so hochanständig ist, dass er sich selbst so einen Skandal bescheren würde, der darf getrost auch an den Weihnachtsmann glauben.

SPOX: Die FIFA wurde von der WADA aufgefordert, die Erkenntnisse des zweiten McLaren-Reports zu prüfen und hat mitgeteilt, dem nachkommen zu wollen. Geht das überhaupt, so lange im russischen Sport Vitali Mutko mitmischt?

Kistner: Nein. Die FIFA zeigt ja mit dem WADA-Ausschluss bei ihrer größten Veranstaltung exklusiv, dass sie kein Interesse hat an einer annähernd unabhängigen Dopingbekämpfung. Es ist absolut lächerlich zu sagen: Wir mit unserem Vorstand Vitali Mutko aus Russland schauen uns jetzt mal die Fußballvorwürfe an, die ja genau in sein Tätigkeitsfeld als Minister gefallen sind und fallen. Und das ohne das Beisein der WADA.

SPOX: Sport Inside hat vergangene Woche auf Mails aus dem McLaren-Report hingewiesen, die der damalige Chef des Moskauer Dopinglabors 2014 unterzeichnet hat. Demnach sind mehrere Spieler der russischen U17 vor wichtigen Qualifikationsspielen positiv auf das Testosteronmittel Arimistan getestet worden - die Proben wurden aber manipuliert und vertuscht. Einige der betroffenen Spieler klopfen mittlerweile bei der A-Nationalmannschaft an. Da muss die FIFA jetzt doch etwas unternehmen!

Kistner: Es ist utopisch. Denn der Wille etwas aufdecken zu wollen, ist bei den maßgeblichen Sportfunktionären nicht da. Es ist im Gegenteil der starke Wille da, den Skandal zu vermeiden. Da kann die Außenwelt nur auf den Kommissar Zufall hoffen, oder darauf, dass es mal wieder jemandem reicht und er richtig auspackt - wie im Fall Stepanova. Aber wenn man sieht, wie der Sport mit ihr und anderen Whistleblowern umgeht, erkennt man, dass es ein klares Interesse im System Spitzensport gibt. Whistleblowern wird signalisiert: "Leute, wenn ihr auspackt, werdet ihr es ganz schwer haben mit uns. Dann führt euer Weg nie wieder in den Sport zurück." Diese Leute werden, wie damals Jörg Jaksche oder Patrik Sinkewitz im Radsport, fertiggemacht. Von daher wird da nichts passieren.

SPOX: Wenn Sie von den Funktionären sprechen: Meinen Sie dann konkret FIFA-Präsident Gianni Infantino und Wladimir Putin?

Kistner: Ich meine eigentlich alle, die von der Industrie Profifußball im Spitzenbereich profitieren. Alle müssen da ein natürliches Interesse daran haben. Auch die Hardcore-Fans können sich nicht wirklich freuen, wenn plötzlich die Gastgebermannschaft gedopt ist. Das würde ja unweigerlich die naheliegende Frage aufwerfen, ob denn auch andere Teams manipulieren. Und das hätte Auswirkungen auf das Kerngeschäft. Deshalb versucht die Branche zu regieren und alles zu kontrollieren. Sie verbreitet sogar den unsäglichen Quatsch, Doping bringe nichts im Fußball.

SPOX: Diesen Satz hört man in schöner Regelmäßigkeit.

Kistner: Noch im Frühjahr dieses Jahres haben wichtige Leute im deutschen Fußball diesen Satz wiederholt, nachdem hoch kam, dass die Uni Freiburg in den 80er und 90er Jahren unter dem Arzt Armin Klümper nicht nur Radsportler, sondern auch die Fußballmannschaften des VfB Stuttgart und des SC Freiburg mit Dopingpräparaten versorgt hat.

SPOX: Inwiefern berührt das die Fanszene?

Kistner: Die Fans sind bei diesem Thema aufmerksam. Wenn es so weit kommt, dass der Fan dem Spektakel nicht mehr glauben kann, das auf dem Rasen präsentiert wird, dann wird's für die Branche eng. Denn niemand aus dieser Branche profitiert langfristig von einer Dopingenthüllung im Profifußball.

SPOX: Das heißt, um auf das Ausgangsbeispiel von Sport Inside zurückzukommen: Die russischen Nachwuchsfußballer bei der WM 2018 könnten gedopt haben oder sogar gedopt sein und niemand kann etwas unternehmen?

Kistner: Wir werden dieses neue Wunderteam Russlands, das die bisherige Altherrenmannschaft ersetzen wird, extrem genau beobachten müssen. Russlands Team wurde bei den vergangenen beiden Großereignissen vorgeführt in den Vorrundenspielen, es hat erst vor einem Monat 1:2 gegen die Fußballgroßmacht Katar verloren. Beobachten müssen wir, wie Russland nun in allerkürzester Zeit eine Wundermannschaft aus dem Boden stampfen will. Denn die Ansprüche von Putin und Genossen sind hoch. Die möchten unter den ersten vier landen, sonst wird es eine unangenehme WM. Um also eine solche Wundermannschaft mit Final-Chancen bis 2018 erblühen zu lassen - da, das können wir uns alle, die sich ein bisschen mit Fußball auskennen, vorstellen, muss an allen Stellschrauben gedreht werden. Und an welchen das auf jeden Fall geht, die können wir uns, auch dank des McLaren-Reports, gut vorstellen.

SPOX: Aufgrund der russischen Dopingerkenntnisse auch im Fußball: Gibt es aktuelle Erkenntnisse, dass Doping auch in anderen Ländern und allgemein in der Mitte des europäischen Fußballs angekommen ist?

Kistner: Alleine schon die Absenz jeglicher ernsthafter Kontrollen im Fußball zeigt, dass wirklich alles gemacht werden kann, natürlich länderübergreifend. Im Zuge meiner Recherchen für die überarbeitete Version von "Schuss: Die geheime Dopinggeschichte des Fußballs" habe ich auch festgestellt, dass bei den ganz wenigen Kontrollen außerhalb der Spieltage auch gern mal sogenannte "Noshows" vorkommen - also, dass der ein oder andere Spieler einfach nicht angetroffen wurde und wird.