Studie: Forschung "sportpolitisch gewollt"

SID
Die Doping-Studie der Humboldt-Universität in Berlin wurde am Montag veröffentlicht
© getty

Die lang erwartete Studie der Humboldt-Universität Berlin wurde veröffentlicht. Das Fazit: Anwendungsorientierte Dopingforschung war in Westdeutschland "sportpolitisch gewollt".

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Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) hat am Montag wie angekündigt den Abschlussbericht der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" veröffentlicht. Die Studie der Humboldt-Universität Berlin kommt zu dem Schluss, anwendungsorientierte Dopingforschung an der Universität Freiburg unter Leitung des Sportmediziners und früheren Olympia-Arztes Joseph Keul sei "von allen entscheidenden Instanzen entweder toleriert oder sogar befeuert" worden.

DOSB lässt Studie von Kommission analysieren

"Kurzum" habe Keul "aufgrund der Zustimmung (...) von allen maßgeblichen Organisationen und staatlichen Stellen" davon ausgehen müssen, "dass seine anwendungsorientierte Dopingforschung sportpolitisch gewollt war".

Schon seit 1960 Olympia-Arzt

Keul war ab 1980 Chefarzt der deutschen Olympiamannschaften und zuvor seit 1960 schon betreuender Olympia-Arzt. Er starb im Jahr 2000. Sein Institut, heißt es in der Studie, sei als "Zentrum der westdeutschen Dopingforschung" anzusehen gewesen.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wertet die Veröffentlichung positiv. "Wir begrüßen die Veröffentlichung der Studienergebnisse sehr. Wir werden die Ergebnisse analysieren und Konsequenzen erörtern", sagte Pressesprecher Christian Klaue dem SID. Das Bundesinnenministerium kündigte eine Stellungnahme für die kommenden Tage an.

Im Abschlussbericht der HU Berlin heißt es, BISp-geförderte Studien über Anabolika und Testosteron seien von den beauftragten Wissenschaftlern auch zum Zwecke der Leistungssteigerung bei deutschen Athleten durchgeführt worden. Ergebnisse, die gesundheitliche Gefahren von Doping nachwiesen, seien nicht veröffentlicht worden.

Verschiedene Maßnahmen gefördert

Darüber hinaus seien vom BISp Maßnahmen gefördert worden, "die den Anabolikagebrauch im Sport flankierten: so z.B. mit einer Studie zur Festigkeitserhöhung von Sehnengewebe. Der Bedarf danach erklärte sich aus der Anabolika-Anwendung im Sport, die bei vielen Leistungssportlern zu Sehnenverletzungen geführt hatte."

Der Einsatz von Anabolika im Leistungssport sei "bis weit in die 1970er Jahre hinein mit einer intensiven sportmedizinischen Forschung" einhergegangen. Generell seien dem Staat und Sportverbänden Versäumnisse im Kampf gegen Doping bis zur Wendezeit vorzuwerfen.

Es habe auch Blutdopingforschungen gegeben. Das BISp habe das erste Projekt zum Mittel Actovegin 1981 vergeben, zwei weitere 1983 und 1984: "Laut handschriftlicher Notizen testeten die Kölner Sportmediziner dieses Medikament an Radsportlern und Spielern der Hockey-Nationalmannschaft." Konkreter beschrieben werden Zweck und Rahmen der Versuche nicht.

Beginn bereits 1949

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss: "Die vielfach formulierte These, das Dopingproblem sei in der Bundesrepublik erst mit dem Konsum von Anabolika in den 1960er Jahren offen zutage getreten, lässt sich jedenfalls eindrucksvoll widerlegen. Die Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik beginnt demnach nicht erst 1970, als das erste formelle Dopingverbot vom Deutschen Sportbund (DSB) beschlossen wurde. Sie beginnt bereits 1949."

Amphetamine seien bis 1960 im deutschen Sport "teils systematisch" zum Einsatz gekommen. Dabei erhärte eine erstmals ausgewertete Dissertation des Göttinger Mediziners (und Oberliga-Fußballers) Heinz-Adolf Heper aus dem Jahr 1949 "die These, dass der Missbrauch von Substanzen aus der Amphetamin-Gruppe bereits gegen Ende der 1940er Jahre im deutschen Leistungsfußball zur Normalität gehörte" - womöglich noch ohne Unrechtsbewusstsein.

Valide Zahlen zum Amphetamin-Problem im deutschen Fußball existierten allerdings nach bisheriger Kenntnis nicht.

DOSB begrüßt Veröffentlichung

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat positiv auf die Veröffentlichung der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" reagiert. "Wir begrüßen die Veröffentlichung der Studienergebnisse sehr. Wir werden die Ergebnisse analysieren und Konsequenzen erörtern", sagte DOSB-Pressesprecher Christian Klaue auf "SID"-Anfrage.

Einen Zeitpunkt für eine Bewertung der umfangreichen Studie stellte der DOSB, der die Erforschung der Doping-Vergangenheit in der Bundesrepublik 2008 initiiert hatte, nicht in Aussicht.

"Der Sport alleine ist damit überfordert"

Angesichts der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" fordert Präsident Clemens Prokop vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) ein Anti-Doping-Gesetz. "Es ist erschreckend, was da bekannt geworden ist", sagte Prokop in einem Interview mit dem "Bayerischen Rundfunk".

Ohne ein entsprechendes Gesetz sei die wirksame Doping-Bekämpfung nicht zu bewerkstelligen. "Der Sport allein ist damit überfordert", sagte der Direktor des Regensburger Amtsgerichtes: "Der Staat muss mit dem Sport partnerschaftlich zusammenarbeiten." Dazu gehöre auch, "dass wir die Möglichkeit haben müssen, Vorgänge, die im Dopingbereich weiter zurückliegen, länger zu verfolgen." Die derzeit geltende Verjährungsfrist von acht Jahren sei zu kurz.

NADA weist Vorwürfe von sich

Die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) hat Vorwürfe wegen mangelnder Unterstützung für die Forscher der Studie "Doping in Deutschland 1950 bis heute" zurückgewiesen. In dem Abschlussbericht bemängelten die Autoren, dass die NADA keine Kopien von Dokumenten erlaubt und lediglich Einsicht in Akten gewährt hätte.

"Diese Akten konnten jederzeit von beiden Forscherteams, Münster und Berlin, eingesehen werden. Die NADA bot auch die Möglichkeit an, vor Ort Kopien der entsprechenden Akten zu machen, dieses Angebot machte sie den Wissenschaftlern auch in schriftlicher Form (zuletzt 2012). Wahrgenommen hat dies allerdings nur das Forscherteam aus Münster, das vor Ort bei der NADA die Akten durchgesehen und Kopien der Dokumente angefertigt hat.

Nach dem Geschäftsführerwechsel (2010) bot die NADA der HU Berlin nochmals an, die Akten in Bonn einzusehen und sie für die Auswertung vor Ort zu kopieren. Von diesem Angebot hat die HU Berlin, im Gegensatz zu dem Forscherteam aus Münster, keinen Gebrauch gemacht", teilte die NADA am Montagabend in einer Presseerklärung mit: "Falsch ist die Darstellung im Bericht der HU Berlin, die NADA habe die Dokumente aus ihrem Archiv nicht zur Verfügung gestellt."

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