Im Kopf des Riesen

Von Interview: Haruka Gruber
Walujew, Nikolai
© Getty

München - Wer ihn sieht, mag nicht recht glauben, dass in Nikolai Walujew mehr steckt als der riesenhafte, fest zuschlagende Schwergewichts-Boxer.

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Einst als Zirkus-Attraktion verspottet, schickte sich Walujew an, zum Superstar der Boxszene aufzusteigen. Bis zum 14. April 2007 und der Niederlage gegen Ruslan Chagayev. Weg war der WBA-Gürtel.

Mit dem Erfolg gegen Sergej Ljachowitsch am Samstag in Nürnberg hat er sich jedoch das Recht erkämpft, Weltmeister Chagayev zum Revanchekampf herauszufordern.

Im Interview mit SPOX.com spricht Walujew über seine Vorliebe für Philosophie, pöbelnde Wachmänner und die Metamorphose eines 34-Jährigen.

SPOX: Herr Walujew, wie viele Steaks haben Sie heute schon gegessen?

Nikolai Walujew: Warum?

SPOX: Weil es heißt, Sie würden jeden Tag drei Kilo Fleisch essen.

Walujew: Die Geschichte stimmt natürlich nicht. Über mich wurde schon unglaublich viel geschrieben, das komplett erfunden war oder stark übertrieben dargestellt wurde.

SPOX: Zum Beispiel?

Walujew: Ich fand sehr lustig, dass mal geschrieben wurde, ich sei ein enger Freund von Präsident Wladimir Putin. Auch wenn es um meine Frau und mich geht, wird einiges durcheinandergewirbelt. Dann bin ich meist 2,25 Meter groß und sie 1,50...

SPOX: Auf Ihrer Website steht, dass neben Jeep fahren, Jagen und Fischen auch Lesen zu Ihren Hobbys zählt. Wundert es Sie, wenn Leute überrascht reagieren, dass Sie Philosophie und anspruchsvolle Literatur mögen?

Walujew: Überhaupt nicht. Ich habe auch eine Erklärung dafür: Im Boxen gibt es genügend Leute, die sich zur Schau stellen und eine große Klappe haben. Da steckt nichts dahinter - weder boxerisch noch geistig. Boxer, die gebildet sind, schieben sich wiederum nicht so sehr in den Vordergrund und fallen daher nicht besonders auf.

SPOX: Sie studierten wie die Klitschkos Sport. Gibt es einen Grund dafür, dass Boxer aus der früheren UDSSR einen akademischen Background haben?

Walujew: In Russland braucht man die Bildung zum Leben. Auch im Boxen. Es ist essentiell, seinen Kopf zu benutzen. Und dass im Kopf auch was drin ist...

SPOX: Würde es einigen Boxern gut tun, sich auch geistig - und nicht nur sportlich - fortzubilden?

Walujew: Sie müssen ja nicht unbedingt studieren, aber sie sollten schon ein gewisses Verständnis dafür haben, was um sie herum passiert und wie die Welt so funktioniert. Ein bisschen Allgemeinbildung schadet auch Boxern nicht.

SPOX: Sie wirken wie jemand, der vieles im Leben reflektiert. Ihr - pardon - platter Ausspruch "Ich habe vor nichts Angst" will so gar nicht dazu passen.

Walujew: Es ist nun mal so. Ich kenne keine Angst.

SPOX: Nicht einmal nach der bitteren Niederlage gegen Chagayev?

Walujew: Der Kampf ist abgehakt. Es war im Endeffekt eine gute Erfahrung. Ich habe alles genauestens mit meinem Trainer Alexander Zimin analysiert und die richtigen Lehren gezogen.

SPOX: Die Vorbereitung auf ihren Kampf gegen Lijachowitsch wurde gestört durch Berichte, wonach Sie womöglich für 18 Monate in Lagerhaft gehen müssten, weil Sie einen Wachmann tätlich angegriffen hätten.

Walujew: Obwohl die ganze Sache schon zwei Jahre her ist, haben die russischen Medien den Vorfall immer wieder hochgespielt. Ich bin froh, dass die Sache endgültig geklärt ist.

SPOX: Sie wurden schlussendlich zu einer Zahlung von 2.800 Euro Schmerzensgeld und einer Strafe von 800 Euro verurteilt. Was ist vorgefallen?

Walujew: Meine Frau und unser Sohn waren beim Eislaufen. Als sie nach Hause wollten, kam ein Wachmann und hat behauptet, sie hätte falsch geparkt. Daraufhin wurde meine Frau, im Beisein unseres Sohnes, vom Wachmann auf das Übelste beschimpft. Es ging soweit, dass meine Frau in Tränen ausbrach.

SPOX: Woraufhin Sie einschritten.

Walujew: Ja, aber geschlagen habe ich nicht. Ich habe den Wachmann am Kragen gepackt und ihn gefragt, wie er sich erdreisten kann, eine Frau derart zu beleidigen. Jeder Ehemann hat die Pflicht, seine Familie zu verteidigen. Mehr war es nicht, dennoch haben der Parkplatzwächter und seine Anwälte mit ihrer Klage Profit aus meiner steigenden Popularität gezogen. Bitter.

SPOX: Sie arbeiten seit der Chagayev-Niederlage mit Zimin zusammen, der angekündigt hat, Ihren "Stil komplett umzustellen". Wie weit ist Ihre Metamorphose vorangeschritten?

Walujew: Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Viele Sachen sind neu, und ich merke, dass es mir gut tut. Um aber den Kampfstil komplett umzustellen, war noch nicht genügend Zeit.

SPOX: Sie haben erst mit 20 Jahren das Boxen für sich entdeckt. Sind Sie daher - obwohl Sie 34 Jahre alt sind - noch ein Talent? Ist es eigentlich möglich, gewisse Aspekte des Boxens noch zu erlernen, auch wenn man etwas älter ist?

Walujew: Der Mensch kann bis zum Tode lernen - auch ich. Je älter man ist, über desto mehr Erfahrung verfügt man, und das ist immer eine Hilfe. Andererseits hinterlässt das Alter natürlich seine Spuren. Aber wenn die nötige Motivation vorhanden ist, kann man alles schaffen.

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