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NBA - Mehr als nur "Team der Zukunft"? Wieso die OKC Thunder schon jetzt für Furore sorgen

Von Robert Arndt
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© imago images

Die Oklahoma City Thunder schnuppern völlig überraschend an den Playoffs, obwohl vor der Saison niemand mit ihnen gerechnet hatte. Das liegt nicht nur am überragenden Shai Gilgeous-Alexander, sondern auch an einer äußerst interessanten Kaderplanung. Diese Spielzeit ist zudem noch lange nicht das Ende der Fahnenstange.

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So wirklich glauben tut man es im Umfeld der Thunder selbst noch nicht. Der Blog "Daily Thunder" hat noch immer zwei große Features ganz oben stehen, die folgende Überschriften beinhalten: "Win-Wem Season" und "2023 Draft - My Guys".

Mit anderen Worten: Nach dem Saisonaus von Nr.2-Pick Chet Holmgren in der Offseason gingen die meisten davon aus, dass OKC noch ein weiteres Jahr tief in der Lottery verbringen würde. Las Vegas etwa setzte die Linie bei 23,5 Siegen.

Diese Hürde wurde schon Ende Januar übersprungen - und sechs Partien vor dem Ende der Regular Season sind die Thunder immer noch voll im Rennen um die Playoffs und könnten erstmals seit der Bubble-Saison wieder eine positive Bilanz erreichen. Eine kleine Chance auf Supertalent Victor Wembanyama besteht zwar noch, diese beträgt Stand jetzt aber gerade einmal 1 Prozent anstatt der maximalen 14, von denen viele ausgingen.

Die Thunder haben sich zu einer Art Favoritenschreck gemausert und werden von vielen - wie bereits vor knapp 15 Jahren - als das mögliches Team der Zukunft gesehen. Damals sorgten Kevin Durant, Russell Westbrook und James Harden für Furore, ganz so viel Star-Power haben die heutigen Thunder natürlich nicht.

Das macht ihre Zukunft aber nicht weniger vielversprechend.

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© getty

OKC Thunder: Da kann selbst Kevin Durant noch was lernen

OKC macht nämlich genau das, was man vom zweitjüngsten Team der NBA - nur zwei Spieler sind älter als 25 (Dario Saric, Kenrich Williams) - erwarten kann. Sie spielen unglaublich schnell und attackieren den Korb bei jeder Gelegenheit. Zu nennen ist hier natürlich "SGA", Shai Gilgeous-Alexander, der die Liga mal wieder deutlich mit gleich 24 Attacken pro Partie anführt. Der Kanadier ist ein Meister darin, das Tempo zu wechseln, sich mit Finten Platz zu verschaffen und dann auch noch hochprozentig abzuschließen.

Zwar spielen die Thunder eigentlich fast immer ohne einen traditionellen Center, dennoch mangelt es weiterhin an echten Schützen. Umso beeindruckender sind die fast 63 Prozent True Shooting für SGA, der nach Joel Embiid auch die meisten Freiwürfe über die Saison versenkt hat. Überhaupt: Derzeit steht Gilgeous-Alexander bei 10,7 versuchten Freebies pro Partie, das ist fast schon Harden-bei-den-Rockets-Niveau und auch einer der Gründe, warum SGA zu den effizientesten Superstars der NBA zählt.

"Egal was du machst, du kannst ihn einfach nicht stoppen", zeigte sich auch Durant vor einigen Monaten beeindruckt. "Er ist so groß, schlaksig und spielt immer mit seinem eigenen Tempo. (...) Es ist wirklich beeindruckend und auch ich kann noch Dinge von ihm lernen. Spieler wie er bringen unseren Sport noch einmal auf ein ganz neues Level."

Es sollte daher nicht verwundern, wenn SGA auf dem ein oder anderen MVP-Stimmzettel landen wird. 31,3 Punkte (ligaweit Rang vier) sowie rund 5 Rebounds und 5 Assists im Schnitt sind zumindest eine aussagekräftige Bewerbung. Dass der Kanadier aber auf sich allein gestellt ist, ist eine Mär: Die Thunder haben es abseits des Rampenlichts geschafft, eine sehr interessante Mannschaft zusammenzustellen, die vom üblichen Roster Building deutlich abweicht.

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© getty

OKC Thunder: Positionsloser Basketball vorgelebt

Lob gebührt an dieser Stelle mal wieder Sam Presti, der in OKC weiter alle Fäden in der Hand hält und seit den Trades von Russell Westbrook und Paul George vieles richtig gemacht hat. Im Fokus stehen dabei meist die unzähligen Draft-Picks, die OKC dabei und auch durch andere kleinere Deals erwarb. Hier die Übersicht, was in den kommenden Jahren noch so reinkommt:

OKC Thunder: Alle Erstrundenpicks bis 2029

JahrPicks
2023Eigener Pick, Tauschrecht mit den Clippers
2024Eigener Pick, Clippers-Pick, Rockets-Pick (Top-4-geschützt), Jazz-Pick (Top-10-geschützt)
2025Eigener Pick, Tauschrecht mit Clippers- oder Rockets-Pick, Sixers-Pick (Top-6-geschützt), Heat-Pick (Top-14-geschützt)
2026Eigener Pick, Rockets-Pick (Top-4-geschützt), Clippers-Pick
2027Eigener Pick, Nuggets-Pick (Top-5-geschützt)
2028Eigener Pick
2029Eigener Pick

Das sind mal eben bis zu 15 Erstrundenpicks in sechs Jahren.

Und die ersten Früchte wurden auch bereits geerntet. Mit dem elften Pick schnappten die Thunder sich im Sommer 2022 Jalen Williams. Der Flügelspieler spielte bei Santa Clara auf einer kleinen Uni und blieb lange unter dem Radar. Erst eine überragende Draft Combine katapultierte den 22-Jährigen in die Lottery. Er passt zum Stil der Thunder wie die Faust aufs Auge.

In den Zeiten von Durant verfiel Presti oft langen, athletischen Forwards, die noch sehr roh waren. Inzwischen hat der Präsident seine Philosophie etwas angepasst. OKC draftet zwar weiter vornehmlich nach Länge, allerdings wird nun vermehrt auf den Skills-Aspekt geachtet. Williams fällt in dieses Muster, ähnlich sieht es bei Josh Giddey, Holmgren oder auch Ousmane Dieng aus.

OKC hat sich ein Team aus zahlreichen Ballhandlern zusammengestellt, die mehrere Positionen einnehmen und von allen Seiten des Feldes attackieren können. Das Trio SGA/Williams/Giddey strotzt nur so vor Spielwitz und findet Lösungen auf engstem Raum. Die Länge hilft gleichzeitig defensiv im Switching Scheme der Thunder, auch wenn sie individuell alle bestenfalls Durchschnitt sind. So stellt OKC ohne echten Center und mit nur einem echten Spezialisten (Lu Dort) die elftbeste Defense der Liga.

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© getty

OKC Thunder: Wird Chet Holmgren der Co-Star?

Hierbei ist darüber hinaus jede Menge weiteres Potenzial vorhanden, wenn 2,16-Meter-Riese Holmgren im kommenden Jahr endlich ins Geschehen eingreifen kann. Der 20-Jährige war auf dem College ähnlich dominant am Korb wie Walker Kessler, der in Utah auf dem Weg ist, ein würdiger Gobert-Nachfolger zu werden. Holmgren ist eine weitere Zutat dieses schmackhaften Thunder-Mix, womöglich sogar der zweite Unterschiedsspieler.

Das unterscheidet OKC auch ein wenig von den Toronto Raptors, die ebenfalls ein Team mit vielen langen Forwards aufgebaut haben. OKC hat schon jetzt in SGA einen elitären Scorer sowie zahlreiche Waffen auf dem Flügel. Giddey steht für sein Transition-Spiel und teils wahnwitzige Pässe im Halfcourt, Williams eher für kluge Cuts und die Fähigkeit, sich abseits von Shai auch mal im Eins-gegen-Eins aus dem Nichts Punkte zu erarbeiten (mehr zu ihm in der Rookie Watch).

In Dort haben sie außerdem einen Kettenhund für die Crunchtime. Kaum ein Spieler kann gegen die großen Namen so gut verteidigen wie er, die Liste von forcierten Fehlwürfen, die OKC den Sieg retteten, ist bereits sehr lang - zuletzt gesehen gegen Kawhi Leonard, als dieser trotz 15 Sekunden auf der Uhr keinen Wurf gegen Dort los bekam. Das ist wertvoll, allerdings muss sich Dort offensiv extrem steigern. 43 Prozent aus dem Zweier- und 34 Prozent aus dem Dreierbereich sind für einen Spieler mit seinen athletischen Voraussetzungen besorgniserregend. Das könnte in der Zukunft in großen Spielen ein Problem werden.

Vermutlich wird aber auch er zum Kern des Teams gehören. Einige andere kämpfen noch darum. Die große Überraschung im Kader ist Isaiah Joe, der in Philadelphia kaum Minuten sah und nun bei den Thunder ein wichtiger Bestandteil der Rotation ist. Joe ist der einzige waschechte Shooter im Team (42 Prozent Dreier bei 5 Versuchen pro Spiel) und hat tatsächlich die besten On/Off-Werte im Team (+9,7 bei min. 500 Minuten). Es ist der Skill, welcher OKC am meisten abgeht.

Zwar ballern die Thunder nicht ständig von draußen, etwas mehr Gefahr von Downtown wäre dann aber doch wünschenswert. Früher oder später werden die Thunder dies aber adressieren, Flexibilität besitzen sie genug. Alleine für das kommende Jahr stehen bis zu 40 Millionen Dollar Cap Space zur Verfügung, wenn sie ihn denn nutzen wollen. Durch die vielen kommenden Picks kann OKC auch nicht beliebig Spieler aufnehmen.

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OKC Thunder: Beginnt die Zukunft schon in den Playoffs?

Dafür wird man Lösungen finden, gleich acht Spieler kassieren kommendes Jahr unter 5 Millionen Dollar jährlich. Letztlich kommt es sowieso darauf an, dass die großen Namen miteinander funktionieren. Der Kern aus SGA/Dort/Williams/Giddey/Holmgren verspricht zumindest einiges. "Ich glaube, wir können ähnlich viel erreichen wie die drei damals", sagte Holmgren unlängst, als er nach einem Vergleich zur KD/Harden/Russ-Ära gefragt wurde.

"Es wird darauf ankommen, ob wir als Gruppe zusammenfinden und ein gemeinsames Ziel verfolgen wollen", betonte Holmgren, der seine komplette-Rookie-Saison aufgrund einer Fußverletzung verpassen wird, weiter. "Es gibt keine Garantie, dass wir in den kommenden zehn Jahren Erfolg haben werden. Wir haben aber tolle Jungs in der Kabine und ich freue mich jetzt schon darauf, mit ihnen zu arbeiten."

Bis dahin werden die Thunder aber weiter bis zum Schluss ein hartnäckiger Gegner bleiben, der womöglich dafür sorgt, dass ein Schwergewicht (Dallas? Die Lakers?) schon vor dem Play-In-Tournament die Koffer packen wird. Und selbst dann sollte OKC nicht als Fallobst angesehen werden. Dieses Team steht zurecht da, wo es ist und hat absolut nichts zu verlieren. Früher oder später werden sie eine gewichtige Rolle im Westen spielen - auch ohne Wembanyama.

Die OKC-Blogger sollten sich langsam um Analysen zu potenziellen Playoff-Serien kümmern.

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