Als Nachkomme einer Porzellan-Dynastie landete Winterling über das Sportmarketing-Unternehmen UFA und Adidas 2012 bei der AS Roma. Zwei Jahre später wechselte er zum FC Bologna, wo er seitdem als Vorstand für Vertrieb und Marketing den steilen Aufstieg des Traditionsklubs von der Serie B in die Champions League begleitet. Auf dem Weg traf er Marko Arnautovic und Joshua Zirkzee - und lehnte ein Angebot des FC Liverpool ab. Am Mittwoch gastiert Winterling mit Bologna an der Anfield Road.
Herr Winterling, der FC Bologna ist nach 60 Jahren zurück in der Königsklasse. Wie erleben Sie die Stimmung in der Stadt?
Christoph Winterling: Es herrscht eine irre Begeisterung. Die Balkone sind mit Fahnen geschmückt, die Geschäfte sind komplett rot und blau ausgestattet, das Stadion ist immer voll und zudem kommen immer mehr ausländische Touristen zu unseren Spielen. Als wir im Frühling die Champions-League-Qualifikation fixiert haben, wurde tagelang gefeiert. Beim Autokorso durch die Stadt waren 100.000 Menschen auf den Straßen.
Wie überraschend kam der Erfolgslauf?
Winterling: Vor zehn Jahren ist ein kanadischer Investor eingestiegen, er hat auch mich nach Bologna geholt. Damals ist der Klub gerade aus der Serie A abgestiegen. Unser Ziel war es, innerhalb von zehn Jahren europäisch zu spielen. Das haben wir exakt geschafft. Dass es die Champions League wurde, kam völlig unerwartet. Die Einnahmen investieren wir nun vernünftig in junge Spieler mit Perspektive und in die Infrastruktur. Künftig wollen wir konstant um die Europapokalplätze mitspielen. Es ist uns aber bewusst, dass die Champions League nicht immer möglich sein wird. Deshalb genießen wir das Momentum umso mehr.
Sie sind Vorstand für Vertrieb und Marketing. Was sind Ihre konkreten Aufgabengebiete?
Winterling: Ich kümmere mich um alle Einnahmebereiche außerhalb des Sports: Ticketing, Hospitality, Sponsoring, Merchandising und Stadionmanagement.
Was zeichnet den FC Bologna aus?
Winterling: Bologna gilt in Italien als sympathischer, wirtschaftlich solide arbeitender Verein ohne Neider. Wir haben zwar "nur" rund 450.000 Fans, dafür aber nach Juventus Turin die zweitmeisten Sympathisanten. Juve wird entweder gehasst oder geliebt. Wir sind der Zweitlieblingsverein vieler Fans. Das ist bei den Gesprächen mit möglichen Sponsoren ein großer Pluspunkt. Denn sie versuchen Vereine auszuwählen, die nicht polarisieren.
Sie sind für das altehrwürdige Stadio Renato Dall'Ara mit dem markanten Marathon-Turm verantwortlich. Inwiefern wurde es während Ihrer Zeit im Klub verändert?
Winterling: Das Stadion gehört zwar der Stadt, wir verwalten es aber auch außerhalb der Heimspiele selbst. Seit ich dabei bin haben wir einerseits den Trakt für die Profis und die Umkleidekabinen verbessert und andererseits den Hospitality-Bereich komplett umgebaut. Die Anzahl an Businessseats ist im Zuge dessen von 400 auf 1400 angestiegen und soll in Zukunft weiter erhöht werden. Demnächst bauen wir das Stadion großräumig um. Aktuell haben in Italien nur vier Klubs Stadien mit modernen Standards, das neueste ist das von Atalanta Bergamo. Diese vier Klubs haben einen Wettbewerbsvorteil. Da wollen wir auch hinkommen.
Was ist geplant?
Winterling: Die Kapazität soll bei 30.000 Plätzen gleich bleiben. Wir wollen aber alle Plätze überdachen und außerdem die Laufbahn verschwinden lassen. Die Arbeiten sollen 2026 beginnen. Während des Umbaus werden wir zwei Jahre lang in ein temporäres Stadion mit 18.000 Plätzen an einem anderen Ort in Bologna umziehen. Das soll anschließend auf etwa 4000 Plätze zurückgebaut werden und unsere Damenmannschaft und Jugend als Heimstätte dienen.
Ein Schwenk von der Zukunft in die Vergangenheit: Sie kommen aus Franken, Ihre Familie ist in der Porzellanherstellung tätig. Wie sind Sie eigentlich im Profifußball gelandet?
Winterling: Natürlich gab es früher die Überlegung, ins Familienunternehmen einzusteigen. Ich habe mich aber immer schon mehr für Sport interessiert und auch selbst Fußball gespielt. Im Rahmen meines Wirtschaftsstudiums in München habe ich mehrere Praktika im Sportumfeld gemacht und eine Diplomarbeit zum Thema Börsengänge im Profifußball geschrieben anhand des Beispiels Borussia Dortmund. So bin ich mit UFA Sports (ein international tätiges Sportmarketing-Unternehmen, heute unter dem Namen Sportfive, Anm. d. Red.) in Kontakt gekommen. Nach meinem Studium habe ich dort angefangen und war in Italien tätig. Über Adidas und Diadora bin ich 2012 bei der AS Roma gelandet. Der Wechsel zu einem Verein war eine große Umstellung für mich. Die Ergebnisse vom Wochenende haben großen Einfluss auf die Stimmung und die Möglichkeiten bei der alltäglichen Arbeit. Das macht es schwieriger, aber auch spannend.
Damals hat noch Francesco Totti für die Roma gespielt, eine der größten Ikonen des italienischen Fußballs.
Winterling: Nicht nur das, er ist eine globale Ikone. Wir waren mit der Roma zweimal in den USA. Dort kannten mehr Leute den Spieler Totti als den Verein Roma. Daheim in Rom wurde er wie ein Gott verehrt. Eine Geschichte, die mir Francesco mal erzählt hat, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ein paar Wochen nach dem Meistertitel 2001 war er in einem Restaurant essen. Das hat sich rumgesprochen und innerhalb kürzester Zeit waren 5000 Fans vor Ort. Um das Restaurant zu verlassen, musste er auf der Hinterseite über eine Mauer klettern.
Warum sind Sie nach nur zwei Jahren von der Roma nach Bologna gewechselt? Der Klub ist damals gerade aus der Serie A abgestiegen.
Winterling: Ich kannte den neuen kanadischen Eigentümer schon vorher. Der FC Bologna ist einer der geschichtsträchtigsten und erfolgreichsten Vereine Italiens. Er wollte ihn wieder nach oben führen. Wir hatten gute Gespräche. Seine Visionen haben mich überzeugt. Die Arbeit hier ist sehr professionell und angenehm. Der Eigentümer will zwar über alles informiert werden, lässt uns aber eigenständig arbeiten.
Wer ist der Totti von Bologna?
Winterling: Am nächsten ran kommt aktuell Riccardo Orsolini, ein italienischer Außenstürmer. Er ist schon lange bei uns und liefert konstant ab. Die Fans lieben ihn. Für einen großen Hype haben in jüngerer Vergangenheit aber auch unsere Stürmer Marko Arnautovic und Joshua Zirkzee gesorgt.
Wie haben Sie Arnautovic kennengelernt? In Deutschland hat er den Ruf als Bad Boy.
Winterling: Auch aufgrund unserer sprachlichen Gemeinsamkeiten hatte ich einen sehr guten Draht zu Marko. Ich habe ihn als einen sehr angenehmen Menschen kennengelernt. Gar nicht so, wie er in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Über die Jahre ist er sicherlich gereift. Was mich außerdem gefreut hat: Marko stand für wirtschaftliche Aktivitäten immer zur Verfügung.
Ist das die Ausnahme?
Winterling: Hier in Bologna kommt man mit den Spielern für etwaige Sponsoren-Verpflichtungen glücklicherweise schnell und problemlos in Kontakt. Es ist wichtig, den Spielern genau zu erklären, was sie warum und für wen machen. Wenn sie es verstehen, sind sie meistens auch bereit dazu.
Sie haben auch Joshua Zirkzee angesprochen: Er hat in Bologna den Durchbruch geschafft und ist im Sommer für 42,5 Millionen Euro zu Manchester United gewechselt.
Winterling: Am Anfang hat Joshua unter Markos Präsenz gelitten und nicht so viel Spielzeit bekommen. Nach Markos Abgang hat er seine Chance genutzt und ist explodiert. Joshua war nicht nur wegen seiner Tore wichtig für uns. Sondern auch, weil er Räume für seine Mitspieler geschaffen hat. Er ist bei uns zu einem echten Leader geworden.
Während Ihrer Zeit in Bologna standen noch zwei weitere Spieler mit Deutschland-Bezug unter Vertrag: Nicola Sansone und Roberto Soriano. Beide stammen aus dem Nachwuchs des FC Bayern, beide wechselten im Januar 2019 vom FC Villarreal nach Bologna, beide verließen den Klub im Sommer 2023. Wie kam es?
Winterling: Nicola und Roberto haben den Großteil ihrer Karrieren gemeinsam verbracht. Sie sind enge Freunde, ihre Familien verstehen sich gut und sie haben den gleichen Berater. In der Saison 2018/19 waren wir im Abstiegskampf und haben im Winter Verstärkungen gebraucht. Ihr Berater hat uns beide im Paket vorgeschlagen. Das war eine Top-Lösung für uns. Sie haben uns geholfen, die Klasse zu halten. Beide haben sich hier in Bologna sehr wohlgefühlt. Nicola hat sich sogar eine Wohnung gekauft. Viele ehemalige Spieler kommen nach ihren Karrieren zurück nach Bologna, weil die Stadt so lebenswert ist.
Sie arbeiten mittlerweile seit zehn Jahren für den FC Bologna. Was waren die größten Meilensteine?
Winterling: Da gibt es zwei. Erstens der unmittelbare Wiederaufstieg 2015 mit dem spektakulären Playoff-Finale gegen Delfino Pescara. In Überzahl haben sie in der Schlussphase zweimal die Latte getroffen. Bei einem weiteren Gegentor wären wir raus gewesen. Der zweite große Meilenstein war jetzt die Champions-League-Qualifikation.
Zum Auftakt gab es ein 0:0 gegen Shakhtar Donezk. Am Mittwoch geht es auswärts gegen den FC Liverpool. Stimmt es, dass Liverpool Sie 2020 verpflichten wollte?
Winterling: Ja, es gab damals Interesse vom FC Liverpool. Ich habe gute Gespräche mit dem Vorstand geführt, mich aber letztlich für einen Verbleib in Italien entschieden. Im Nachhinein bin ich sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. Jetzt freue ich mich, dass ich mit Bologna an der Anfield Road zu Gast sein darf.
Ist es Ihr Ziel, irgendwann in der Bundesliga zu arbeiten?
Winterling: Es gab und gibt immer wieder Interesse von Bundesligisten. Aktuell fühle ich mich in Italien aber sehr wohl. Generell verfolge ich die Bundesliga intensiv und tausche mich auch regelmäßig mit Verantwortlichen verschiedener Vereine aus - gerade jetzt mit den deutschen Champions-League-Teilnehmern bei Themen wie Spieltags-Organisation.
Haben Sie eigentlich einen Herzensverein in Deutschland?
Winterling: Als gebürtiger Franke bin ich mit dem 1. FC Nürnberg groß geworden.