Juventus Turin auf dem Weg zurück an die Spitze? Thiago Motta und Cristiano Giuntoli krempeln die Alte Dame um

Von Justin Kraft
motta-juventus-1600
© getty

Juventus Turin durchlebt gerade einen großen Umbruch. Gelingt der Alten Dame der Schritt zurück an die Spitze des italienischen Fußballs?

Cookie-Einstellungen

Neunmal in Serie wurde Juventus Turin in der Serie A Meister. Zwischen 2011 und 2020 gelang der Alten Dame eine im italienischen Fußball bisher einmalige Dominanz. Es folgten zwei vierte Plätze, ein siebter Platz und in der vergangenen Saison immerhin ein dritter Rang - allerdings 23 Punkte hinter Meister Inter Mailand.

Die Gründe für den sportlichen Absturz der Bianconeri sind vielfältig. Eine Gegenentwicklung hat aber stattgefunden. Schon in den letzten Jahren musste Juve sein Verhalten auf dem Transfermarkt anpassen, in dieser Saison will man mit Thiago Motta an der Seitenlinie neu angreifen.

Der ehemalige italienische Nationalspieler genießt in Turin offenbar ein hohes Ansehen. Denn auch wenn seine Trainerkarriere noch jung ist, so scheint er von seinem neuen Arbeitgeber viele Freiheiten bei der Mitgestaltung des Umbruchs zu bekommen.

Wohin aber geht die Reise für Juventus Turin? Und gelingt es, endlich wieder ein Spitzenklub in Italien zu werden?

Juventus Turin: Wie die Alte Dame abstürzte

Im September 2022 sorgte eine Aussage des damaligen Geschäftsführers Maurizio Arrivabene für Aufsehen: "Die finanzielle Situation ist bedrohlicher als der Tabellenstand", erklärte er damals. Mehr als 200 Millionen Euro Verlust bilanzierte Juventus jeweils in den beiden Spielzeiten zuvor.

Man selbst erklärte sich dieses Abschneiden mit der Corona-Pandemie, hohen Spielergehältern und geringeren Einnahmen im Marketingbereich. Auch der Misserfolg in der Champions League spielte eine Rolle: In der Saison 2018/19 stand man letztmals im Viertelfinale der Königsklasse, seitdem war dreimal im Achtelfinale Schluss und einmal gar in der Gruppenphase. In der vergangenen Saison spielte Juve gar nicht international, nach dem CL-Gruppen-Aus 2022/23 ging es immerhin noch bis ins Halbfinale der Europa League.

Gleichzeitig war diese Saison verbunden mit einem weiteren Tiefpunkt der Vereinsgeschichte: Wegen Bilanzfälschung verurteilte der italienische Verband FIGC Juve zu einem Abzug von 15 Punkten in der Liga. Durch dieses strafbare Vorgehen soll der Rekordmeister mehr Geld für Transfers ausgegeben haben können.

Die Folge: Im November 2022 trat der gesamte Vorstand inklusive Präsident Andrea Agnelli und dessen Stellvertreter Pavel Nedved zurück. Ein großer Bruch. Vielleicht aber einer, der für eine erfolgreiche Neuausrichtung entscheidend war.

Cristiano Giuntoli
© getty

Neuaufstellung bei Juventus Turin: Sportlicher Umbruch soll folgen

Gianluca Ferrero übernahm als Präsident, Maurizio Scanavino als neuer CEO und Generalsekretär. Fioranna Negri, Laura Cappiello und Diego Pistone ergänzten das neue Board. "Den wichtigsten Neuzugang", wie es John Elkann (CEO des Hauptanteilseigners Exor) der Tuttosport erklärte, holte Juve aber erst 2023: Cristiano Giuntoli (zum Portrait).

Der 52-Jährige hatte in seinem ersten Amtsjahr mit einer großen Hypothek zu kämpfen: Nicht nur war die finanzielle Situation der eines Top-Klubs unwürdig, sondern darüber hinaus standen auch schon einige Transfers fest, die vor seiner Anstellung perfekt gemacht worden waren. Das verringerte sein Budget.

Nun aber will er Juventus wieder zu alten Erfolgen führen - und gibt dafür Vollgas. Mit Thiago Motta hat Giuntoli, der 16 Semester Architektur studiert hat, seinen Baumeister längst gefunden. Es ist bemerkenswert, wie groß sein Vertrauen in den neuen Trainer ist. "Giuntoli weiß sehr gut, wie er seine Ideen kommuniziert. Es war nicht schwer für die beiden, sich zu verstehen", erklärte Alessandro Canovi im Interview mit Rai 2. "Du kannst es schon daran sehen, wie die beiden all die Vorhaben zusammen planen", so der Motta-Berater weiter.

Nur typische Phrasen nach eine frisch entstandenen Zusammenarbeit? Vielleicht. Doch auch die bisherigen Transferaktivitäten zeigen eine klare Handschrift. Der Kader wird derzeit umstrukturiert, 91 Millionen Euro wurden durch Verkäufe bereits eingenommen, weitere Spieler sollen gehen.

Nach Informationen der Gazzetta dello Sport wurden acht Profis auf eine Streichliste gepackt. "Wir haben uns intern klar ausgedrückt", erklärte Motta am Rande eines Testspiels gegen Stade Brest: "Wir haben mit jedem von ihnen gesprochen. Es sind starke Spieler, die es gewohnt sind, ständig zu spielen, und der Verein versucht, Lösungen für sie zu finden."

Federico Chiesa, Wojciech Szczesny, Weston McKennie, Mattia De Sciglio, Arthur Melo, Filip Kostic, Hans Nicolussi-Caviglia und Daniele Rugani werden von der italienischen Zeitung genannt. In der Tat befinden sich also namhafte Spieler auf dem vermeintlichen Abstellgleis.

thiago-motta-juventus-main-img_1200x675

Juventus Turin: Thiago Motta will das Mittelfeld umbauen

Auf der Zugangsseite stand bisher das Mittelfeld im Fokus. Douglas Luiz kam für 51,5 Millionen Euro von Aston Villa und ist der bisher teuerste Transfer der Alten Dame. Der Brasilianer könnte in Mottas Planungen eine wichtige Rolle auf der Sechs einnehmen. Er ist sehr zweikampfstark, gleichzeitig aber auch aktiv in der Spielgestaltung, wenngleich seine Fähigkeiten klar in der Arbeit gegen den Ball liegen.

Auch der Transfer von Khéphren Thuram unterstreicht, dass Motta und die sportliche Leitung eine klare Vorstellung vom neuen Juve-Mittelfeld haben: dynamisch, zweikampfstark, aber auch technisch gut genug, um in Ballbesitzphasen Struktur ins Spiel zu bekommen. Der 23-jährige Franzose ist jung, entwicklungsfähig und bringt in all diesen Bereichen Qualitäten mit.

Der absolute Königstransfer könnte aber Teun Koopmeiners von Atalanta werden. Der 26-Jährige ist ebenfalls ein sehr dynamischer Spieler, der im zentralen Mittelfeld für nahezu alle taktischen Rollen das richtige Werkzeug mitbringt. "Mit Koopmeiners lief es bis letzte Woche sehr gut, dann hat der Spieler aber beschlossen, zu Juventus zu gehen", erklärte Bergamo-Trainer Gian Piero Gasperini jüngst in einem Interview mit L'Eco di Bergamo.

Motta legt viel Wert auf einen dynamischen, aber ballsicheren Vortrag. Aus dem Ballbesitz heraus soll die Balance aus Offensivdruck und Dominanz beziehungsweise Kontrolle stimmen. Kein Wunder also, dass das Mittelfeld die größte Baustelle für ihn ist. Mit gezielten Verpflichtungen und Verkäufen ist es gelungen, diese nun nahezu zu schließen.

Juventus Turin will schlauer einkaufen

Die finanziellen Beschränkungen einerseits, die bessere Strukturierung der eigenen Ziele und Vorstellungen andererseits führen dazu, dass Juve klüger auf dem Transfermarkt zu agieren scheint - oder zumindest sinnvoller. Zwischen 2018 und 2022 holte man vier Spieler für mindestens 80 Millionen Euro: Cristiano Ronaldo, Matthijs de Ligt, Arthur Melo und Dusan Vlahovic. Mit insgesamt überschaubarem Erfolg.

Dem Shopping nach Namen soll mit Motta und Giuntoli nun ein Ende bereitet werden. Zugänge und Abgänge halten sich finanziell bisher nahezu die Waage. Um aber wirklich durchstarten zu können, braucht es noch den einen oder anderen Neuzugang. Selbst wenn das Mittelfeld am Ende auch sportlich das auf den Platz bringt, was man sich in Turin erhofft, bleiben große Fragezeichen in der Defensive und im Sturm.

Auch diese Problematik hat man allerdings schon erkannt. Mit Jean-Clair Todibo sollte ein extrovertierter, aber hochtalentierter Innenverteidiger kommen. Vor allem aber einer, der ein klares Problem adressiert hätte: Juventus ist zu behäbig im Spielaufbau. Todibo ist spielstark, kann unterschiedliche Arten von Pressing souverän überspielen. Der Haken: Medienberichten nach wird der 24-Jährige zu West Ham wechseln.

Die Richtung aber stimmt auch hier und offensiv zeigen sich die Verantwortlichen ebenfalls bemüht darum, den Kader zu verstärken. Sind Chiesa und Kostic weg, ist Platz für Spieler, die für die Behebung eines der größten Probleme sorgen sollen: Vlahovic durch eine gute Einbindung endlich in Form bringen.

Gerüchte gibt es auch hier einige. Galeno vom FC Porto stand lange auf dem Wunschzettel, nun aber soll man sich für Nico González von der AC Florenz entschieden haben. Schnell, dribbel- und kombinationsstark - das ist hier offenbar das Profil, nach dem gesucht wird.

motta-16006
© getty

Juventus Turin: Der Weg nach oben ist noch weit

Motta wird mit vielen neuen Puzzleteilen in seine erste Saison starten. Das stellt schon deshalb ein Risiko dar, weil es wertvolle Zeit kosten kann, bis er diese richtig zusammengesetzt bekommt. Eine wirkliche Alternative dazu gab es aber nicht.

Juventus hat seinen Kader in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Ansammlung von Spielertypen verkommen lassen, die sich kaum mit dem berühmten roten Faden miteinander verbinden ließen. Ein Konzept war nicht zu erkennen. Das scheint sich nun zu ändern.

Ob mit Erfolg und wie man Erfolg bei Juve letztendlich definiert, sind andere Fragen. Gut möglich, dass man sich im Umfeld des einstigen Serienmeisters in Geduld üben muss. Nach den letzten Jahren geht man gewiss nicht als Top-Favorit auf die Meisterschaft in die Saison. Doch der frische Wind tut Juventus Turin schon jetzt gut. Und so ist die Alte Dame zumindest mal wieder ein spannendes Projekt, bei dem es sich lohnt, die weitere Entwicklung zu verfolgen.

Artikel und Videos zum Thema