Wer den Siegtreffer gegen Real Madrid erzielt, Atlético Madrid zwei Tore einschenkt und auch gegen Juventus dafür sorgt, dass man als Underdog wichtige Punkte in der Champions League sammelt, der steht automatisch im Rampenlicht. Jonathan David ist nicht erst seit dieser Saison ein Erfolgsgarant für den OSC Lille.
Der Kanadier stand bereits vor etwas mehr als zwei Jahren auf dem Wunschzettel des FC Bayern München, wenn man den Gerüchten von damals glauben kann. Nun soll er es wieder auf die vielzitierte Liste des Rekordmeisters geschafft haben. Das berichtet Sky.
Demnach beobachte vor allem Max Eberl schon länger die Entwicklung des Stürmers. Wie umfangreich diese Liste ist und wie weit oben Davids Name tatsächlich darauf auftaucht, bleibt unerwähnt. Dass sich der FC Bayern aber mit einem Spieler wie ihm befassen muss, steht außer Frage.
Denn auch wenn die Münchner mit Harry Kane gerade einen Weltklassestürmer haben, lässt die Vertragskonstellation Davids gar nichts anderes zu, als zumindest darüber nachzudenken. 2025 läuft sein Arbeitspapier in Lille aus, dann wäre er ablösefrei zu haben. Anders als vor zwei Jahren, als über eine Ablösesumme jenseits der 40 Millionen Euro spekuliert wurde.
Und anders als vor zwei Jahren hat David nun auch Konstanz nachweisen können. Eigentlich gibt es auf dem Weg nach oben nur eine große Frage. Doch dazu später mehr.
Jonathan David: Von Jahr zu Jahr besser?
Zunächst ein Blick auf die wichtigsten Zahlen: Erstmals richtig auf sich aufmerksam machte David in der Saison 2020/21. In 48 Einsätzen gelangen dem damals 20-Jährigen 13 Tore und fünf Vorlagen. Vor allem in der Schlussphase der Saison trug er mit zahlreichen Torbeteiligungen dazu bei, dass Lille Meister wurde.
Auch in der Saison danach zeigte der Angreifer mit 19 Toren in 48 Partien sein Talent. Das führte zu Gerüchten um einen Wechsel. Dazu kam es jedoch nicht. David blieb bei Lille und stellte sich dort zunächst der Herausforderung, sein Niveau zu halten und noch weiter zu verbessern.
Das gelang ihm. In der Saison 2022/23 traf er 26-mal in 40 Einsätzen und legte noch vier Assists obendrauf. Auch in der vergangenen Spielzeit bestätigte er seine Qualität mit erneut 26 Toren und neun Assists in 47 Partien.
In seinem letzten Vertragsjahr scheint er nun den Turbo endgültig zünden zu wollen. In bisher 19 Einsätzen traf er schon 13-mal und bereitete zwei Tore vor. Gerade weil Lille nicht zu den absoluten Spitzenvereinen zählt und seit der Meisterschaft 2021 auch nicht mehr in den Top-3 der Ligue 1 landete, ist es bemerkenswert, dass der 24-Jährige im Schnitt alle 130 Minuten direkt an einem Tor seiner Mannschaft beteiligt ist.
Auch für Kanada kommt er in mittlerweile 58 Länderspielen auf bereits 30 Tore. Damit hat er schon jetzt den kanadischen Rekordtorjäger Cyle Larin eingeholt - zumindest bei den Männern. Christine Sinclaire bleibt mit ihren 190 Toren wohl eher unerreicht.
Jonathan David: Keine typische Neun
Erreichbar ist für David aber nun der Sprung zu einem absoluten Top-Klub. Die Frage wird sein, wo er seine Stärken am besten einbringen kann. David ist keine klassische Nummer neun, die als Zielspieler im Zentrum auf Zuspiele der Mitspieler wartet.
Er ist ein mitspielender Stürmer, der sehr dynamisch agiert. Häufig lässt er sich ins Mittelfeld fallen, um dort im Kombinationsspiel zu helfen. Generell weicht er auch gern in die Halbräume aus, um von dort in die Schnittstellen der Abwehr zu starten.
Das Paradebeispiel dafür ist sein Tor gegen Juventus, als er in einem Tempogegenstoß von Lille die Neunerposition verließ, um sich in den Rücken seines Gegenspielers fallen zu lassen. Anschließend startete David hinter die Kette. Diese Art von Laufweg hat er für sich perfektioniert.
"Ich denke, es war eine einfache Bewegung", sagte er im Gespräch mit The Athletic über dieses Tor: "Der Flügelspieler kam nach innen, also ging ich den gegenläufigen Weg. Es war ein großartiger Pass und mein erster Gedanke war, wie schnell ich den Ball zum Tor bringen kann." Der Nationalspieler ist nicht nur in der Endgeschwindigkeit sehr schnell, sondern auch im Antritt explosiv. Kombiniert mit seinem guten Spielverständnis kann er dieses Tempo durch kluge Laufwege effizient ausspielen.
"Ich kann mich an viele Systeme anpassen", analysiert der Angreifer sich selbst: "Ich habe mit zwei Stürmern gespielt, als alleiniger Stürmer. Aber die Freiheit zu haben, mich zu bewegen, um ein bisschen überall zu sein, das würde ich bevorzugen. In diesem Sinne kann ich die Aufmerksamkeit von mir ablenken und den Raum finden, um den Unterschied zu machen."
Sollte der FC Bayern also Jonathan David tatsächlich bekommen, würde es nicht auf die Frage Kane oder David hinauslaufen. Sondern womöglich würde zumindest ein Element zurückkommen, was es in München, wo seit Jahren mit Flügelzangen in allen Pärgungen experimentiert wird, schon lange nicht mehr gab: Die echte Doppelspitze. David könnte den Münchner Angriff revolutionieren - wäre aber geeignet, um die Nachfolge von Thomas Müller als Raumdeuter mit anderen Mitteln antzutreten.
Jonathan David auf dem Weg zu einem Top-Stürmer?
Auch gegen den Ball ist David sehr aktiv und aggressiv, versteckt sich nicht vor der notwendigen Laufarbeit, um die Defensive zu stabilisieren. In allen Phasen eines Spiels kommt ihm dabei seine Physis zugute.
David ist ein sehr wuchtiger, aber gleichzeitig auch technisch starker und damit eleganter Fußballer. Diese Mischung macht ihn auf dem Transfermarkt vielleicht nicht einzigartig, aber durchaus besonders. Im Jahr 2022 war noch unklar, ob er seine Qualitäten konstant auf den Platz bringen kann.
Zwei Jahre später ist das eher kein Thema mehr. Zumal David eine für einen Stürmer sehr wichtige Qualität nachgewiesen hat: Er kommt konstant zu guten Chancen. Bei der Bewertung von Expected Goals, also den anhand der Chancenqualität zu erwartenden Toren, gibt es oft ein Missverständnis.
Natürlich ist es gut, wenn Stürmer es schaffen, ihren xG-Wert bei den tatsächlich erzielten Toren zu übertreffen. Das bedeutet schließlich, dass sie über eine sehr gute Chancenverwertung verfügen. Aber die viel größere Qualität von Weltklassestürmern ist es, sich überhaupt erst große Chancen zu erarbeiten - und zwar viele davon.
Der Blog Miasanrot hat 30 Top-Angreifer der jüngeren Vergangenheit miteinander verglichen und dabei festgestellt: Selbst bei Top-Stürmern wie Cristiano Ronaldo oder Robert Lewandowski entspricht die Anzahl der Tore nahezu dem xG-Wert. CR7 hat eine Überperformance von nur zwei Prozent, Lewandowski gar eine leichte Unterperformance von -1 Prozent. Die stärkste Überperformance liegt bei 15 Prozent (Harry Kane und Lionel Messi).
Jonathan David liefert beeindruckende Zahlen
Doch zurück zu David: FBref hat insgesamt 105,3 xG bei ihm in der Datenbank, aus denen er 121 Tore gemacht hat. Ausgeklammert sind Tore aus Wettbewerben, in denen es keine xG-Daten gibt. Damit ist er bei einer Überperformance von knapp unter 15 Prozent – ein Topwert, der seinen starken Abschluss unterstreicht. Außerdem hat der Mittelstürmer seinen xG-Wert pro 90 Minuten seit seiner ersten Lille-Saison nahezu kontinuierlich gesteigert. Damals waren es 0,35 xG pro 90 Minuten, in dieser Saison sind es 0,65. Seit nun drei Spielzeiten bewegt er sich ungefähr bei diesem Wert.
In der Datenanalyse könnte man daraus mehrere Schlüsse ziehen. Beispielsweise, dass er stagniert und es nicht schafft, in Regionen von 0,8 oder mehr zu kommen, wo sich Weltklasse-Stürmer normalerweise bewegen. Doch Fußball ist ein Teamsport und David würde bei einem Top-Klub wohl enorm davon profitieren, dass die Qualität um ihn herum steigt.
Die wohlwollende, aber wahrscheinlich auch realistischere Bewertung wäre, dass 0,65 bereits ein sehr hoher Wert dafür sind, dass er beim OSC Lille spielt. Und dass er sich regelmäßig gute Abschlüsse herausarbeitet, ist ein Qualitätsmerkmal, das ihn für höhere Aufgaben qualifiziert.
Jonathan David: Der Traum vom FC Barcelona
Abschließend aber zur bereits angekündigten großen Frage, die bei ihm offen bleibt: Kann er es auch in einem System zeigen, in dem er deutlich weniger Raum für seine Aktionen bekommt? Diese Frage ist unter anderem entscheidend für einen Klub wie den FC Bayern.
Der Druck auf einen Neuner ist gegen tiefstehende Mannschaften automatisch höher. Entscheidungen müssen schneller und vor allem sauberer getroffen werden, kleine Räume gilt es mühsam zu erarbeiten. Tore wie das von David gegen Juventus sind eher selten.
In den letzten Jahren hat sich der 24-Jährige aber auch in anderen Bereichen des Spiels weiterentwickelt. Bereiche, in denen er 2022 vielleicht noch nicht so gut war. Womöglich wäre ein Wechsel damals zu früh gekommen. Doch jetzt steht er kurz vor dem großen Sprung und scheint bereit zu sein.
Interessenten gibt es laut verschiedener Gerüchte viele. Er selbst hat aber einen Traum: FC Barcelona. Mit diesem Klub sei er aufgewachsen, wie er The Athletic verriet: "Wenn du mit einem Team, das du unterstützt, aufwächst, ist es dein Traum, für es zu spielen." Zumindest mit seinem Elfmetertor gegen Real Madrid vor einigen Wochen dürfte er bereits reichlich Pluspunkte bei Barça gesammelt haben.