"Zwei Schritte zurück, um vier nach vorne zu machen": Wie Kölns Rekorddebütant Yann Aurel Bisseck zum Leistungsträger bei Inter Mailand wurde

Von Christian Guinin
Yann Aurel Bisseck
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Yann Aurel Bisseck macht derzeit bei Inter Mailand mit guten Leistungen von sich reden. Bald könnte ein Debüt für die DFB-Elf bevorstehen.

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Dass es Spieler aus ausländischen Ligen oftmals ein wenig schwerer haben, für die deutsche Nationalmannschaft berufen zu werden, ist kein Geheimnis. Oftmals liegt der Fokus des Bundestrainers sowie seiner Assistenten auf dem heimischen Ligabetrieb - aus dem einfachen Grund, dass dort im Normalfall der größte zur Verfügung stehende Pool an Spielermaterial unter Vertrag steht.

Aus dem aktuellen Kader des jüngsten DFB-Lehrgangs ist Robin Gosens wohl das prominenteste "Opfer" dieser Tatsache. Der 30-jährige Linksverteidiger debütierte erstmals im Jahr 2020 für die deutsche Nationalmannschaft und das obwohl er bereits in den Jahren zuvor für Atalanta Bergamo außergewöhnlich gute Leistungen an den Tag gelegt hatte, für die man eine Berufung ins DFB-Team schon einmal erwarten hätte können.

Ohne Frage gibt es natürlich Spieler, die außerhalb Deutschlands ihre Groschen verdienen und trotzdem fester Bestandteil der Nationalmannschaft sind - etwa Antonio Rüdiger (Real Madrid), Kai Havertz (FC Arsenal) oder der derzeit verletzte Marc-André ter Stegen (FC Barcelona). Sie alle vereint allerdings die Tatsache, dass sie erst nach ihrem Durchbruch den Sprung ins Ausland wagten. Rüdiger reifte beispielsweise damals beim VfB Stuttgart zum Stammspieler, Havertz erlangte mit guten Leistungen bei Bayer 04 Leverkusen landesweite Bekanntheit und bei ter Stegen stand schon fest, dass er möglicherweise mal in die Fußstapfen von Manuel Neuer treten könnte, als dieser sich noch das Trikot von Borussia Mönchengladbach überstreifte.

Ein weiterer Spieler, der eher der "Gattung Gosens" als der "Gattung Rüdiger" zuzuordnen ist, ist Yann Aurel Bisseck. Der 24-jährige Innenverteidiger gehört in dieser Saison bei seinem Klub Inter Mailand zu den Shootingstars, einen Anruf von Bundestrainer Julian Nagelsmann bekam er bislang allerdings noch nicht.

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Yann Aurel Bisseck gehört bei Inter Mailand zum Stammpersonal

Dabei können sich die Statistiken Bissecks durchaus sehen lassen. 13-mal stand er für die Nerazzurri in der laufenden Spielzeit auf dem Rasen. Dass Inter nicht nur in der Serie A nach der SSC Neapel, Juventus Turin und der Fiorentina die viertbeste Defensive der Liga stellt, sondern in der Champions League, wo der 24-Jährige in allen fünf Spielen eingesetzt wurde (dreimal in der Startelf), noch überhaupt gar kein Gegentor kassierte, ist in weiten Teilen also auch ihm zu verdanken.

Noch beeindruckender lassen diese Zahlen die Namen wirken, mit denen sich Bisseck bei den Mailändern um einen der drei Plätze in der Innenverteidigung streiten muss. Mit Stefan de Vrij, Alessandro Bastoni und Ex-Bayern-Star Benjamin Pavard hat Inter drei Spieler von internationalem Format auf dieser Position unter Vertrag, selbst der bereits 36-jährige Routinier Francesco Acerbi gehört unter Trainer Simone Inzaghi nach wie vor zum Stammpersonal.

"Bisseck ist ein Spieler, der sich seinen Platz und alles, was er erreicht hat, mit seiner Arbeit verdient hat", lobte ihn sein Coach erst kürzlich. "Er kam aus einer anderen Liga und er hat unsere Spielweise gut verstanden. Er muss so weitermachen, er wird immer besser und ich freue mich für ihn."

Auch der 24-Jährige selbst zeigte sich jüngst äußerst zufrieden mit seiner Form sowie den Leistungen der gesamten Mannschaft. "Der gesamte Defensivverbund macht es einfach richtig gut. Wir sind gut gedrillt, trainieren das viel - wie wir zu stehen haben, wie wir in welchen Spielsituationen zu agieren haben", erläuterte der Abwehrspieler und gab zu, dass "schon auch ein bisschen Glück dazu gehört", wenn nach fünf Spielen in der Königsklasse immer noch die Null steht.

So auch beim jüngsten Champions-League-Triumph gegen Bundesligist RB Leipzig, bei dem Bisseck zwar nicht in der Startelf stand, aber noch vor dem Pausenpfiff aber für den angeschlagenen Pavard eingewechselt wurde. Dank einer konzentrierten Leistung in den zweiten 45 Minuten sorgte er dafür, dass Inter hinten raus nichts mehr anbrennen ließ und die Führung über die Zeit brachte. "Wir haben uns auf unsere Stärken verlassen und sehr stark verteidigt", blickte Bisseck zurück und gab zu, dass "es nicht immer schön aussieht, aber am Ende ist es Ergebnisfußball. Wir haben unsere Sache wie immer gut gemacht und verdient gewonnen."

Dazu glänzt er mittlerweile auch als Torjäger und erzielte am vergangenen Wochenende beim 5:0-Sieg gegen Hellas Verona einen sehenswerten Treffer.

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Yann Aurel Bisseck: Steiniger Karriereweg zu Beginn

Dabei verlief der bisherige Karriereweg Bissecks alles andere als geradlinig. Ausgebildet in der Jugend des 1. FC Köln feierte er dort am 26. November 2017 im zarten Alter von 16 Jahren sein Profidebüt. Nie zuvor war ein Effzeh-Spieler bei seinem ersten Einsatz für die erste Mannschaft so jung - diese "Bestmarke" hat auch heute, etwas mehr als sieben Jahre später, noch Bestand.

Beim Klub aus seiner Geburtsstadt sollte es mit dem Durchbruch aber nicht klappen. Nachdem er nach dem Abstieg in die 2. Bundesliga unter Trainer Markus Anfang keinerlei Perspektive geboten bekam, wechselte er auf Leihbasis zu Holstein Kiel, wo er sich allerdings auch zumeist mit einem Platz auf der Ersatzbank zurechtfinden musste. Für die Profis der Störche lief er dreimal auf, ansonsten kam er bei der viertklassigen Reserve zu einigen Spielen.

Ähnlich Erfahrungen sammelte Bisseck auch bei seiner nächsten Leihstation, dem portugiesischen Erstligisten Vitória Guimarães, wo er im Sommer 2020 für zwei Jahre unterschrieb, aber ebenfalls keine nennenswerten Entwicklungssprünge erzielte. Von der im Vertrag verankerten Kaufoption sah Guimarães dementsprechend ab. Er verließ den Klub ohne auch nur ein einziges Pflichtspiel für die Profis absolviert zu haben.

Erst beim dänischen Klub Aarhus, wo bis heute mit Uwe Rösler ein deutscher Trainer unter Vertrag steht, ging es für den Verteidiger aufwärts. Nachdem er in seiner ersten Spielzeit dort noch zwischen Startelf und Ersatzbank hin und her rotiert hatte, wurde er spätestens in seinem zweiten Jahr unverzichtbar. "Er ist zwei Schritte zurückgegangen, um drei oder vier nach vorne zu machen", erklärte Rösler später in einem Gespräch mit dem kicker. "Für mich persönlich war es kein einfacher Weg, mich im Elitefußball zu etablieren", blickte Bisseck gegenüber DAZN auf diese äußerst turbulente Zeit zurück.

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"Dottore Bisseck" verzaubert Inter Mailand

Im Sommer 2023 wurde Inter auf den Defensivspezialisten aufmerksam. Für eine beinahe schon lächerliche Ablösesumme von 7,2 Millionen Euro wurde er aus seinem Vertrag bei Aarhus hinausgekauft und trägt seitdem das Trikot der Nerazzurri. Bei den Norditalienern brauchte er - trotz des deutlich größeren und erwartungsvolleren Umfeldes - dann aber überraschend wenig Eingewöhnungszeit. 2023/24 wurde er behutsam an die erste Mannschaft herangeführt, wobei er vor allem gegen Ende des Jahres immer häufiger zum Einsatz kam.

Trainer Inzaghi lobte diesbezüglich vor allem seine schnelle Adaption an den italienischen Fußball sowie die unbedingt Lernbereitschaft des 24-Jährigen. "Er ist einer derjenigen Spieler in meiner Karriere als Trainer, die am meisten weiter lernen und verstehen möchten. Zudem hat er sich auch physisch verbessert. Ich bin einfach zufrieden mit ihm."

Denn auch abseits des Fußballplatzes macht Bisseck einen äußerst aufgeweckten und intelligenten Eindruck. Bereits mit 16 machte er sein Abitur, studierte parallel zum Fußball Volkswirtschaftslehre sowie Media- und Marketingmanagement. Eigentlich war sein Berufswunsch Arzt, doch er entschied sich für Profifußball. In Italien verfing sich die witzige Geschichte dennoch, die Gazzetta dello Sport stattete ihn deshalb mit dem Spitznamen "Dottore Bisseck" aus.

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Deutschland oder Kamerun? Bisseck hat die Wahl

Sollte er seine gute Form weiterhin bestätigen, wird dann irgendwann auch Nagelsmann nicht mehr am 24-Jährigen vorbeikommen. "Bei ihm ist es so, dass er letztes Jahr zu wenig gespielt hat für einen Innenverteidiger, um wirklich Rhythmus zu sammeln", erklärte Nagelsmann, als er am Rande der Nations-League-Spiele gegen Bosnien-Herzegowina und Ungarn auf Bisseck angesprochen wurde. Grundsätzlich sei er aber in der Wahrnehmung Nagelsmanns angekommen: "Jetzt spielt er deutlich mehr und er macht es auch gut."

Zu viel Zeit darf sich der DFB aber wiederum auch nicht nehmen, schließlich klopft mit Kamerun, das Land aus dem seine Eltern stammen, noch ein anderer Verband an Bissecks Tür und signalisiert großes Interesse. Laut eines Berichts der Bild-Zeitung ging im September beim DFB sogar ein gefälschtes Schreiben ein, in welchem es hieß, dass Bisseck künftig für das zentralafrikanische Land und nicht die deutsche Nationalmannschaft auflaufen möchte.

Nach einem klärenden Gespräch stellte sich der Brief zwar als Fälschung heraus, ein Warnschuss sollte es für den DFB aber allemal gewesen sein, selbst wenn Bisseck betont: "Ich habe mich noch nicht entschieden, aber der DFB ist meine absolute Priorität."