Wenn über den portugiesischen Fußball gesprochen wird, geht es schnell um "Os Tres Grandes", die drei Großen namens Sporting CP, FC Porto und Benfica. Seit der Jahrhundertwende waren es in Wirklichkeit aber nur noch die "Großen Zwei". Sporting gewann lange keinen Ligatitel mehr, Benfica und Porto teilte zwischenzeitlich 19 Jahre lang den Titel zwischen sich auf.
Die fehlenden Titel waren bei Sporting jedoch bei Weitem nicht das größte Problem. 2018 drang ein Mob von 50 maskierten Fans in die Umkleidekabinen des Trainingsgeländes ein, griff die Spieler an und rief: "Wir werden euch umbringen." Die Attacke führte dazu, dass sieben Spieler ihre Verträge auflösten, darunter die Nationalspieler Rui Patricio und William Carvalho sowie Top-Talent Rafael Leão. Präsident Bruno de Carvalho wurde von den Mitgliedern abgewählt.
Nur drei Jahre nach dem dunkelsten Tag in der Vereinsgeschichte beendete Sporting die fast zwei Jahrzehnte währende Vorherrschaft von Porto und Benfica und holte 2021 den Titel. Der Architekt dieses historischen Umschwungs war Trainer Rúben Amorim, der nun bei Manchester United auf Erik ten Hag folgen wird.
Amorims Erfolge endeten nicht mit dem Titelgewinn. Er führte die Mannschaft zum ersten Mal seit elf Jahren ins Achtelfinale der Champions League und anschließend ins Viertelfinale der Europa League. In der vergangenen Saison holte sich Sporting den Titel erneut und machte zwei Spiele vor Schluss seine 20. Meisterschaft perfekt. In der laufenden Saison hat Sporting alle neun Ligaspiele gewonnen und in der Champions League sieben Punkte aus drei Partien geholt.
Amorim hat den Begriff der "Großen Drei" wieder aktuell gemacht, Sporting ist nach einer langen Durststrecke wieder dort, wo man aus Sicht des Klubs hingehört. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich United nach dem miserablen Saisonstart für den 39-Jährigen interessierte. Aber kann Amorim im Old Trafford das schaffen, woran so viele seiner Vorgänger gescheitert sind?
Bei Sporting direkt erfolgreich
Nach der Niederlage gegen West Ham forderte Manchester Uniteds Trainer ten Hag Geduld - das war eine Woche vor seiner Entlassung. Klub-Miteigentümer Sir Jim Ratcliffe und die United-Verantwortlichen hatten dem Niederländer rückblickend betrachtet sogar zu viel Zeit gegeben.
Amorim weiß, dass er bei den Red Devils sofort liefern muss. In der Premier League und der Europa League stehen die Red Devils schlecht da. Der Rückstand auf den Tabellenvierten Aston Villa beträgt bereits sieben Punkte, aus den drei Europa-League-Spielen holte man nur drei Zähler.
Aber das sollte Amorim nicht beunruhigen, denn er hat noch nie lange gebraucht, um einen Umschwung herbeizuführen. Man denke nur an seine Arbeit bei Braga. In lediglich 13 Spielen holte er dort zehn Siege, darunter den Überraschungserfolg gegen Porto im Ligapokalfinale und den ersten Auswärtssieg von Braga bei Benfica seit 65 Jahren. Auch deshalb verpflichtete Sporting ihn im März 2020 für zehn Millionen Euro.
Die Ablösesumme verblüffte viele Fans, da der Trainer damit teurer war als die meisten Spieler des Vereins. Doch Amorim erwies sich als die klügste Verpflichtung, die Sporting seit vielen Jahren getätigt hatte. In seiner ersten kompletten Saison führte er Sporting zum langersehnten ersten Titel seit 19 Jahren und zum Gewinn des Ligapokals.
Amorims Erfolgssystem
Einer der häufigsten Kritikpunkte an ten Hags turbulenten letzten beiden Spielzeiten bei United war das Fehlen einer klaren Spielphilosophie. Der Niederländer wurde geholt, weil er bei Ajax Amsterdam einen tollen, offensiven Spielstil implementiert hatte. Doch bei United gab er dieses Prinzip auf und behauptete, dass man dort "nie wie Ajax" spielen könne. Eine seltsame Aussage, zumal er so viele seiner ehemaligen Ajax-Spieler verpflichtet hatte.
Amorim hat einen klaren Spielstil. Er hat während seiner gesamten Trainer-Karriere mit einer 3-4-3-Formation spielen lassen, angefangen beim kleinen Casa Pia, das er in der dritten portugiesischen Liga trainierte, über die B-Mannschaft von Braga und die erste Mannschaft bis hin zu Sporting. Doch obwohl er an diesem System festhält, hat er im Laufe seiner Amtszeit taktische Flexibilität bewiesen.
In der ersten Saison unter Amorim hat Sporting auf dem Weg zum Titel mit einem effektiven Konterspiel gepunktet und sich dabei auf eine hervorragende Defensive gestützt, die von Kapitän Sebastian Coates angeführt und vom brillanten Mittelfeldspieler João Palhinha abgesichert wurde. Die Außenverteidiger Nuno Mendes und Pedro Porro (jetzt bei Paris Saint-Germain bzw. Tottenham) spielten ebenfalls eine zentrale Rolle in der Offensive und unterstützten die Abwehr, die in 34 Spielen nur 20 Gegentore kassierte. Der offensive Mittelfeldspieler Pedro Gonçalves wurde mit 23 Treffern Torschützenkönig der Liga. Sporting sicherte sich den Titel zwei Spieltage vor Schluss, als man noch ungeschlagen war, auch wenn man dann noch gegen Benfica verlor.
Amorim formt zahlreiche Talente zu Top-Stars
Der Erfolg von Sporting sorgte natürlich dafür, dass zahlreiche Spieler von finanzstärkeren Vereinen abgeworben wurden - besonders im Sommer 2022: Mendes wechselte nach einer Leihe dauerhaft zu PSG, Palhinha schloss sich Fulham an, Matheus Nunes ging nach Wolverhampton und Porro wechselte im darauffolgenden Januar zu Tottenham.
Amorim hatte mit den Abgängen zunächst leichte Probleme und belegte in der Liga nur den vierten Platz. International beeindruckte man dafür: In der Champions League nahm Sporting den Spurs vier Punkte ab und warf anschließend Arsenal aus der Europa League.
In der vergangenen Saison begann Sporting unter Amorim wieder zu glänzen, erzielte 96 Tore, kassierte nur 29 Gegentreffer und gewann die Liga mit zehn Punkten Vorsprung. Auch in dieser Saison setzt das Team seine Offensivstärke fort und hat in den ersten neun Ligaspielen 30 Treffer erzielt.
Die Innenverteidiger Coates und Gonçalo Inácio bauen das Spiel nicht nur geschickt auf, sondern schalten sich auch in die Offensive ein. Gonçalves ist nach wie vor eine ständige Gefahr, und Paulinho hat sich als zuverlässiger Torschütze erwiesen, seit er 2021 aus Braga weggeholt wurde.
Der Schlüssel zum Erfolg ist jedoch Viktor Gyökeres, der ehemalige Stürmer des FC St. Pauli, der aufgrund seiner Abschlussstärke auf den Zetteln der Top-Klubs steht. In der vergangenen Saison traf er in 39 Spielen 36-mal - und in dieser Saison hat er auch schon wieder zwölf Tore auf dem Konto.
Bruno Fernandes warb indirekt um Rúben Amorim
Es ist nicht verwunderlich, dass Amorim schon seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der europäischen Spitzenklubs auf sich zog. Im vergangenen Sommer galt er als Hauptkonkurrent von Arne Slot um den Job beim FC Liverpool - als Nachfolger von Jürgen Klopp.
Danach sagte er West Ham United ab - das zeigt, dass er sich zu Höherem berufen fühlt. Er hat auf eine größere Aufgabe gewartet, die nun bei Manchester United auf ihn wartet. Die Engländer zahlen eine hohe Ausstiegsklausel für ihn.
"Wenn er den nächsten Schritt macht, denke ich, dass er alle Qualitäten hat, um im englischen, französischen oder spanischen Fußball erfolgreich zu sein", sagte Uniteds Bruno Fernandes im März. "Natürlich wissen wir, dass die Premier League wahrscheinlich am begehrtesten ist. Die Qualität ist bei ihm vorhanden. Und er hat meiner Meinung nach alles, um den nächsten Schritt zu machen. Aber es wird von den Vereinen, den Klub-Bossen abhängen, ob sie die Ausstiegsklausel von Sporting zahlen wollen oder nicht. Es gibt viele Komponenten. Aber ich denke, dass der Trainer Rúben Amorim für den nächsten Schritt bereit ist."
Amorim lernte bei Mourinho und erhielt Lob von CR7
Amorim mag sich aus den Tiefen des portugiesischen Fußballs hochgearbeitet haben, aber er hatte auch eine privilegierte Trainerausbildung. Er lernte beispielsweise eine Woche lang von seinem Landsmann José Mourinho, als dieser bei Manchester United war.
Mit Cristiano Ronaldo, der in Portugal sein Nationalmannschaftskollege war und der ihn wegen seiner Wortgewandtheit als "Poet" bezeichnete, hat er auch den Respekt eines anderen großen Ex-United-Spielers. Die Art und Weise, wie der Trainer sich ausdrückt, hat ihm Bewunderung in den Medien eingebracht. Ein ehemaliger Journalist beschrieb ihn als "transparent und geradlinig". Er unterscheidet sich von Mourinho, wenn es um den Umgang mit den Medien geht. Er gibt außerhalb seiner vertraglichen Pflichten nur selten Interviews. Und im Gegensatz zu "The Special One" lobt er seine Spieler, anstatt seine eigenen Erfolge hervorzuheben.
Beim Weltklub United wird Amorim bald so kritisch wie nie zuvor unter die Lupe genommen. Amorim hatte den Status als einer der begehrtesten Trainer der Welt, die Hoffnungen und Erwartungen sind groß. Bei Sporting hat er bereits ein sinkendes Schiff zum Schnellboot gemacht. Auch Manchester United könnte er bald wieder von Großem träumen lassen.