Es ist noch gar nicht lange her, da galt Ajax Amsterdam als absoluter Vorzeige-Klub. Kluge Transfers, herausragende Nachwuchsarbeit, eine eingespielte Führung bestehend aus Klub-Ikonen wie Edwin van der Sar, Erfolgstrainer Erik ten Hag, Champions-League-Halbfinale 2019. Mittlerweile herrscht beim niederländischen Rekordmeister aber nachhaltiges Chaos.
Nach einer titellosen Saison 2022/23 gilt die vergangene Spielzeit als Tiefpunkt der Klubgeschichte. Ajax rangiert zwischenzeitlich auf einem Abstiegsplatz, Blamagen und Fan-Krawalle wechselten sich ab, drei verschiedene Trainer durften sich probieren, Sportdirektor Sven Mislintat verlor nach wenigen Wochen seinen Job. Letztlich rettete sich Ajax trotz irrsinnigen 61 Gegentoren immerhin noch auf Rang fünf und somit in den internationalen Wettbewerb. Es war dennoch die schlechteste Endplatzierung seit 24 Jahren.
Ruhe ist seitdem nicht eingekehrt in Amsterdam - außer vielleicht auf dem Transfermarkt. Abgesehen von Rechtsaußen Bertrand Traoré, ablösefrei vom FC Villarreal verpflichtet, holte Ajax noch keine Verstärkung. Dafür verließen die beiden zuvor verliehenen EM-Shootingstars Georges Mikautadze und Francisco Conceicao den Klub fest. Ehe Neuzugänge verpflichtet werden, müssen Spieler verkauft werden, betonte der technische Direktor Alex Kroes vergangene Woche.
Spektakulärer Werdegang: Ajax' neuer Trainer Francesco Farioli
Kroes hatte Mitte März als Geschäftsführer übernommen, wurde aber nach nur 19 Tagen aufgrund des Verdachts auf Insiderhandel suspendiert, eigentlich sollte eine vollständige Trennung folgen. Der Hintergrund: Kurz vor seiner offiziellen Bestellung zum Geschäftsführer hatte Kroes 17.500 Ajax-Aktien erworben. Wenige Tage nach seiner Suspendierung folgte die überraschende Kehrtwende: Kroes kehrte zurück, jedoch nicht als Geschäftsführer, sondern als Technischer Direktor verantwortlich für Transfers.
Spieler verpflichtete der 49-Jährige bisher, abgesehen vom ablösefreien Traoré, zwar noch keine, dafür fand er mit Francesco Farioli einen neuen Trainer. Der erst 35-jährige Italiener, aufgrund seiner steilen Karriere bereits als "Italiens Julian Nagelsmann" bezeichnet, kam für eine Ablösesumme von 1,25 Millionen Euro von OGC Nizza. Farioli führte seine Mannschaft in der vergangenen Ligue-1-Saison auf Platz fünf, ließ sie dabei aber nicht unbedingt Ajax-artigen Offensivfußball spielen. Beste Defensive mit nur 29 Gegentoren, sechstschlechteste Offensive mit nur 40 Toren.
Spektakulärer als seine Spielweise ist sein bisheriger Werdegang: Farioli begann schon im Alter von 20 Jahren im italienischen Unterhaus als Torwart-Trainer. Nach Stationen bei Katars U17-Nationalmannschaft und als Berater des italienischen Verbands nahm ihn Roberto de Zerbi - neulich beim FC Bayern gehandelt, mittlerweile bei Olympique Marseille - in seinen Trainerstab auf. In Benevento und Sassuolo arbeiteten die beiden zusammen. In der türkischen Süper Lig bei Alanyaspor und Karagümrük sammelte Farioli später erste Erfahrungen als Cheftrainer, ehe er über Nizza in Amsterdam landete. In seinen ersten Tagen bei Ajax sorgte er schon für allerhand Wirbel.
Ajax Amsterdam: 40-Jähriger neuer Stammkeeper, Borna Sosa & Co. aussortiert
Kurz nach seiner Ankunft ließ Farioli dem 40-jährigen Ex-Ersatztorwart Remko Pasveer, der den Klub nach Vertragsende im Juni schon verlassen hatte, einen neuen Kontrakt geben und machte ihn kurzerhand zum Stammkeeper. Sehr zur Empörung von Diant Ramaj. Der 22-jährige Deutsche kam 2023 für fünf Millionen Euro von Eintracht Frankfurt und war über weite Strecken der vergangenen Saison gesetzt. Nun will er Ajax verlassen. Angeblich zeigen Topklubs wie der FC Chelsea, Manchester City und Paris Saint-Germain Interesse.
Vier Spieler hat Farioli zudem aus dem Profikader verbannt und zur Reserve geschickt: Darunter mit dem 19-jährigen Silvano Vos ein eigentlich vielversprechendes Eigengewächs und mit Borna Sosa sowie Benjamin Tahirovic zwei kostspielige Mislintat-Neuzugänge des vergangenen Sommers. Drei weitere könnten folgen: Berichten zufolge will Farioli auch Chuba Akpom, Gaston Avila und Jakov Medic aus dem Kader streichen. Der 26-jährige kroatische Nationalspieler Sosa wurde zuletzt mit einem möglichen Wechsel zu Borussia Dortmund in Verbindung gebracht. Kaderplaner dort bekanntlich: Sven Mislintat.
Kurios wirken Fariolis drastische Maßnahmen auch mit Blick auf Aussagen des Technischen Direktors Kroes. Erst vergangene Woche betonte er: "Man kann nicht einfach sagen: Wir schmeißen diese drei oder vier Großverdiener raus. Das geht auf Kosten des sportlichen Erfolgs." Sein Trainer sah das offenbar anders.
Ajax Amsterdam: Christian Eriksen und Wout Weghorst als Neuzugänge gehandelt
Schon beim 1:0-Sieg vergangenen Donnerstag in der Europa-League-Qualifikation gegen Vojvodina Novi Sad war von besagten Streichkandidaten einzig Akpom zum Einsatz gekommen. Die Kapitänsbinde trug Winter-Neuzugang Jordan Henderson. Angeblich überlegt Farioli, dem 34-jährigen Engländer fix die Binde zu geben und somit den bisherigen Amtsinhabers Steven Bergwijn, aktuell noch im verlängerten EM-Urlaub, zu entmachten.
Große Namen sucht man bei Ajax, abgesehen von Henderson und Bergwijn, vergeblich. Von ihren Stationen in Deutschland bekannt sind hierzulande noch die Stürmer Brian Brobbey, einst unglücklich bei RB Leipzig, und Julian Rijkhoff. Nach drei Jahren in der Jugend von Borussia Dortmund kehrte er im Winter für 1,4 Millionen Euro zu seinem Ex-Klub zurück. In der Rückrunde sammelte der 19-Jährige einige Kurzeinsätze, auch gegen Novi Sad wurde er eingewechselt.
Als mögliche Neuzugänge - sobald Verkäufe getätigt sind - gelten die Routiniers Christian Eriksen (32, Manchester United) und Wout Weghorst (31, FC Burnley). "In den vergangenen Jahren sind wir als Familie viel unterwegs gewesen. Ich suche einen festen Ort für uns, deswegen ist die Heimat sicher eine Option", sagte Weghorst dem kicker, auf einen möglichen Wechsel angesprochen. "Ajax ist der größte Verein der Niederlande, mehr muss ich nicht sagen."
Der größte sicherlich, längst aber nicht mehr der strukturierteste oder gar beste Klub der Niederlande. "Intern haben wir uns darauf geeinigt, dass wir mindestens Dritter werden wollen", gab Kroes das Ziel für die neue Saison aus. "Aber als echter Ajax-Fan kann man das kaum über die Lippen bringen. Ajax sollte besser sein als Platz drei."
Ajax Amsterdam auf Platz fünf: Die Tabelle der Eredivisie 2023/24
Platz | Mannschaft | Sp. | Tore | Dif. | Pk. |
1 | PSV Eindhoven (P) | 34 | 111:21 | 90 | 91 |
2 | Feyenoord (M) | 34 | 92:26 | 66 | 84 |
3 | FC Twente | 34 | 69:36 | 33 | 69 |
4 | AZ Alkmaar | 34 | 70:39 | 31 | 65 |
5 | AFC Ajax | 34 | 74:61 | 13 | 56 |
6 | NEC Nijmegen | 34 | 68:51 | 17 | 53 |
7 | FC Utrecht | 34 | 49:47 | 2 | 50 |
8 | Sparta Rotterdam | 34 | 51:48 | 3 | 49 |
9 | Go Ahead Eagles | 34 | 47:46 | 1 | 46 |
10 | Fortuna Sittard | 34 | 37:56 | -19 | 38 |
11 | sc Heerenveen | 34 | 53:70 | -17 | 37 |
12 | PEC Zwolle (N) | 34 | 45:67 | -22 | 36 |
13 | Almere City FC (N) | 34 | 33:59 | -26 | 34 |
14 | Heracles Almelo (N) | 34 | 41:74 | -33 | 33 |
15 | RKC Waalwijk | 34 | 38:56 | -18 | 29 |
16 | SBV Excelsior | 34 | 50:73 | -23 | 29 |
17 | FC Volendam | 34 | 34:88 | -54 | 19 |
18 | Vitesse | 34 | 30:74 | -44 | 6 |