Zum Einstieg mal ganz locker ein paar Zahlen? Bei der 5:0-Gala gegen Werder Bremen vergangenes Wochenende ließ der FC Bayern keine einzige Chance zu. Keine einzige! Torschussverhältnis 25:0.
Nun beim Topspiel gegen Bayer Leverkusen (1:1) gewährten die Münchner ihren unterlegenen Gegnern - immerhin ungeschlagene deutsche Meister - nur drei Abschlüsse. Das war ihre schlechteste Ausbeute in 98 Pflichtspielen unter Trainer Xabi Alonso. Leverkusens xG-Wert der zu erwartenden Tore lag bei lediglich 0,07. Das Gegentor resultierte aus einer Mischung von Robert Andrichs individueller Klasse und unglücklichen Umständen.
Die Abwehr des FC Bayern gleicht aktuell einer beeindruckenden Festung. Ähnlich unüberwindbar bewacht wie das Tor von Manuel Neuer sind in München derzeit wohl nur die Eingänge der Oktoberfestzelte am Samstag um 19 Uhr. Die Securities des FC Bayern heißen Dayot Upamecano und Min-Jae Kim.
"Es ist brutal, was die beiden in den letzten Wochen gespielt haben und was sie wegbügeln", lobte Joshua Kimmich. Sportdirektor Christoph Freund befand: "Die zwei waren herausragend." Lange als Fehlerteufel verschrien und in der vergangenen Rückrunde meist nur mehr Ersatz, vollzogen Upamecano und Kim unter dem neuen Trainer Vincent Kompany beeindruckende Wandlungen.
FC Bayern: Max Eberl verkaufte Matthijs de Ligt gegen den Willen der Fans
Upamecano wechselte 2021 für 42,5 Millionen Euro als womöglich spannendster junger Innenverteidiger Europas von RB Leipzig nach München. Kim folgte 2023 für 50 Millionen als Spieler des Jahres der Serie A von der SSC Neapel. Die hohen Erwartungen erfüllten sie aber zunächst beide nicht, waren stattdessen stets für haarsträubende Fehler gut.
Ein paar Beispiele aus der Vorsaison: Upamecano sah im Februar in zwei Spielen hintereinander Rot, Kim patzte beim Aus im DFB-Pokal gegen den 1. FC Saarbrücken und in der Champions League gegen Real Madrid folgenschwer. Insgesamt kassierte der FC Bayern in der vergangenen Bundesligasaison 45 Gegentore. Mehr waren es letztmals in der Saison 1995/96. Trainer: Franz Beckenbauer. Verteidiger: Thomas Helmer, Lothar Matthäus, Oliver Kreuzer, Markus Babbel.
Fragte man vor der Saison Bayern-Fans, wen von Upamecano und Kim sie verkaufen würden, war die Antwort klar: beide. Abgegeben wurde dafür derjenige, den praktisch alle Fans behalten wollten: Matthijs de Ligt. Als erste Gerüchte über einen möglichen Transfer zu Manchester United kursierten, unterschrieben rund 100.000 Fans eine Petition für einen Verbleib. Es nutzte nichts, de Ligt wechselte für 45 Millionen Euro Ablöse nach England. Ein gewaltiges Verlustgeschäft mit Blick auf die zwei Jahre zuvor für ihn investierten 67 Millionen.
Sportvorstand Max Eberl wurde für diese Entscheidung massiv kritisiert. Insofern huschte am Samstagabend ein kleines süffisant-zufriedenes Lächeln über seine Lippen. Wie er denn die Leistung von Upamecano und Kim im Topspiel gegen Leverkusen gesehen habe? "Wenn ich jetzt 'herausragend' sage, dann sagen alle: 'Er verteidigt seine Entscheidung!'"
FC Bayern: Kompanys Spielweise passt perfekt zu Upamecano und Kim
Tatsächlich erwies sich seine Entscheidung - zumindest Stand jetzt - als goldrichtig. Das hat vor allem mit der Spielweise des neuen Trainers zu tun. Anders als Vorgänger Thomas Tuchel lässt Kompany extrem mutig verteidigen. Die Münchner stehen hoch, pressen mit allen Spielern tief in der gegnerischen Hälfte und sichern hinten Mann-gegen-Mann ab.
"Unsere Innenverteidiger müssen unfassbare Räume verteidigen", erklärt Kimmich. "Natürlich sieht man das von oben ein bisschen. Aber als Spieler fühlt man das nochmal anders, wenn man 50, 60 Meter vor dem eigenen Tor verteidigt und so einen riesigen Raum im Rücken hat. Dafür muss man schon eine sehr, sehr große Qualität haben."
Eine sehr große Qualität und vor allem auch sehr großes Tempo, um durchgebrochene Angreifer abzufangen. Ein Blick auf die Höchstgeschwindigkeiten aus der vergangenen Saison sagt: Upamecano 35 km/h, Kim 34,8 km/h, de Ligt 32,8 km/h. Das aktuelle Pärchen hat grundsätzlich bessere Voraussetzungen für Kompanys Spielweise als de Ligt. "Es kommt ihnen entgegen, wie wir Fußball spielen mit der aktiven, aggressiven Vorwärtsverteidigung", erklärt Freund. Dass die beiden ihre Fähigkeiten auch gewinnbringend und fehlerfrei einbringen können, ist dem Umgang des Trainers zu verdanken.
Kompany war selbst mal Innenverteidiger. Okay, das war Tuchel auch. Aber nicht bei Manchester City, sondern bei den Stuttgarter Kickers und dem SSV Ulm. Der ehemalige Weltklasse-Innenverteidiger Kompany scheint Upamecano und Kim mit seinen Anweisungen zu erreichen. "Er erklärt konkreter, was er sich vorstellt", lobt Kim. Und, vielleicht noch wichtiger: Er vertraut ihnen und redet sie stark. Tuchel dagegen hatte die Neigung, seine Spieler öffentlich zu kritisieren.
Eric Dier ist der große Verlierer - was passiert mit den Verletzten und Tah?
Es erscheint mittlerweile schon wieder lange her, aber die Bundesliga-Saison begann tatsächlich mit Patzern der beiden Innenverteidiger beim mühsamen 3:2-Auftaktsieg gegen den VfL Wolfsburg. "Die beiden standen ein bisschen in der Kritik", erinnert sich Kimmich. "Aber der Trainer hat sie stark gemacht, innerhalb der Mannschaft und nach außen. Jetzt zahlen sie das komplett zurück." Weitere Fehler blieben seitdem aus.
Während Kompany auf anderen Positionen teils munter rotiert, vertraute er in der Innenverteidigung in allen bisherigen sieben Pflichtspielen stets auf Upamecano und Kim. Großer Verlierer dieser Maßnahme ist Eric Dier, in der vergangenen Rückrunde neben de Ligt noch meist gesetzt und im Sommer nach Ablauf seiner Leihe fest bis 2025 verpflichtet.
Von den übrigen Innenverteidiger-Kandidaten fehlen mit Josip Stanisic und Hiroki Ito aktuell zwei verletzt, der andere spielt bei Leverkusen. Unbedingt wollte der FC Bayern im Sommer Jonathan Tah verpflichten, ein Transfer scheiterte letztlich an Leverkusens Ablöseforderungen. Kommenden Sommer läuft sein Vertrag aus, womöglich wechselt er dann ablösefrei nach München. Nach den Eindrücken der bisherigen Saison erscheint es aber fraglich, ob der FC Bayern Tah überhaupt braucht.