FC Bayern München: Ja, Declan Rice von West Ham United könnte tatsächlich das fehlende Puzzleteil im FCB-Mittelfeld sein

Von Justin Kraft
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Es sieht danach aus, dass der FC Bayern München auch den dritten großen Titel in dieser Saison verspielt. Ein Grund dafür ist die fehlende Balance im Mittelfeld. Laut Gerüchten soll Declan Rice ein Kandidat sein, um das zu ändern. Doch ist der Engländer das fehlende Puzzleteil? Eine Analyse.

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Drei, vier lange, kräftige Schritte, dann geht er zu Boden und setzt zur Grätsche an. Fair trennt Declan Rice seinen Gegenspieler vom Ball und bereinigt so eine für West Ham United gefährliche Situation im Sechserraum. Eine Szene, wie man sie in dieser Saison fast in jedem Spiel der Hammers sehen konnte.

Zweikampfquoten erzählen nur selten die Geschichte eines Spielers. Sie sind für sich betrachtet sogar wertlos. Ein Spieler, der 40 Prozent seiner Defensivduelle gewinnt, kann wichtiger für die Abwehr sein als jemand, der 60 Prozent gewinnt. Bei Rice aber stimmen Zahlen und subjektives Gefühl überein: Mit 62 Prozent gewonnener Zweikämpfe zählt er laut den Daten von Opta zu den drei besten Mittelfeldspielern der Premier League.

Viele dieser Zweikämpfe gewinnt er in wichtigen Zonen vor der eigenen Abwehr oder indem er Umschaltsituationen des Gegners schon im Ansatz verteidigt. Mit einer eindrucksvollen Mischung aus Physis und Geschick hat er diverse Topklubs auf sich aufmerksam gemacht. Darunter ist auch der FC Bayern München, der sich in den letzten Jahren vor allem auf der Sechs ein großes Problem geschaffen hat. Ist Rice die Lösung?

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FC Bayern München: Seit 2020 ohne Sechser

Im Prinzip spielen die Münchner seit dem Champions-League-Triumph 2020 ohne echten Sechser. Damals hat Thiago den Rekordmeister verlassen. Der Spanier wurde oft unterschätzt und vor allem auf seine herausragende Technik beschränkt. Dabei war die vielleicht wichtigste Eigenschaft neben seiner Pressingresistenz, dass er sehr zweikampfstark war.

Thiago hielt anderen Mittelfeldspielern den Rücken frei und war in der Rückwärtsbewegung fast immer zur Stelle. Er stabilisierte das Mittelfeld mit und gegen den Ball. Adäquat ersetzt wurde er bis heute nicht. An der Säbener Straße hatten die Kaderplaner die Hoffnung, dass Joshua Kimmich diese Rolle übernehmen könnte. Doch Hansi Flick, Julian Nagelsmann und nun auch Thomas Tuchel wissen, wie wichtig der 28-Jährige mit seinen Chipbällen für die Offensive ist.

Kimmichs Offensivdrang hat wahrscheinlich wenig damit zu tun, dass er nicht disziplinierter spielen kann. Gegen Borussia Dortmund hielt er seine Position im ersten Spiel unter Tuchel beispielsweise sehr konsequent. Nur litt das Angriffsspiel darunter. Hinzu kommt, dass Kimmich nicht der beste Zweikämpfer ist, sich zu oft von physisch stärkeren Spielern abkochen lässt.

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FC Bayern München: Leon Goretzka und Joshua Kimmich sind kein perfektes Match

Deshalb braucht der Nationalspieler einen Partner, der ihm Freiheiten gewährt. Leon Goretzka wurde bei den Bayern und auch beim DFB als optimale Ergänzung angesehen. Doch gerade in den großen Spielen wird oft deutlich, dass der gebürtige Bochumer das nicht ist. Auch Goretzka hat seine Stärken überwiegend im Spiel nach vorn, wenn er Dynamik erzeugen kann und die Angriffsreihe durch Tiefenläufe unterstützt. Im Sechserraum hat er allerdings Probleme. Defensiv ist sein Stellungsspiel oft nicht gut, am Spielaufbau nimmt er kaum teil.

Es ist daher auch bezeichnend, dass das Duo Kimmich-Goretzka beim größten Erfolg der jüngeren Vergangenheit nicht zusammen im Mittelfeld auflief. Beim Finalturnier der Champions League fiel Benjamin Pavard aus und so rückte Kimmich auf die rechte Defensivseite. Thiago konnte als stabilisierender Faktor im Mittelfeld dafür sorgen, dass Bayerns Spiel an Balance gewann.

Dass Kimmich und Goretzka dennoch als optimales Mittelfeldpaar gesehen wurden, rächte sich in den Folgejahren immer dann, wenn Gegner die Qualität hatten, Kimmich systematisch aus dem Spiel zu nehmen. Auch beim Defensivverhalten ist es zu oft passiert, dass keiner der beiden seine Position auf der Sechs hielt und Gegner so immer wieder Gefahr über das Zentrum erzeugen konnten.

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FC Bayern München: Declan Rice als moderner Javi Martínez?

Hier kann Rice Abhilfe schaffen. Der Engländer ist mit seiner Disziplin und Zweikampfstärke der optimale Mann für die individualtaktischen Probleme im Bayern-Mittelfeld. Das hat er bei West Ham ebenso unter Beweis stellen können wie für das Nationalteam. Vor allem in den letzten zwei Jahren hat er immense Fortschritte als sogenannter "Ankersechser" gemacht.

Also als zentraler Mittelfeldspieler, der den Sechserraum sehr konsequent bearbeitet. In Ballbesitz durch ständiges Freilaufen und Anbieten, um die Innenverteidiger zu unterstützen. Bei der Arbeit gegen den Ball durch viel Disziplin und Positionstreue. Das erfordert nicht nur fußballerische Qualitäten, sondern auch eine sehr gute Entscheidungsfindung sowie das Selbstvertrauen, Verantwortung zu übernehmen und Mitspieler zu coachen.

Mit erst 24 Jahren ist Rice in seinen Teams zu einem Führungsspieler geworden, der Angriff und Defensive miteinander verbinden kann. Für den FC Bayern könnte er damit zum modernen Javi Martínez werden. Der Baske kam 2012 nach München und sorgte dafür, dass Bastian Schweinsteiger neben ihm aufblühte. Er war das Puzzleteil, das den Bayern fehlte, um das erste Triple der Vereinsgeschichte zu gewinnen. Rice könnte einen ähnlichen Effekt auf Kimmich haben.

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FC Bayern München: Declan Rice ist mehr als ein Zweikämpfer

Doch das Spiel hat sich in den letzten Jahren verändert. Ein reiner Zerstörer vor der Abwehr reicht oft nicht mehr. Die Anforderungen an einen Sechser sind ganzheitlicher. Weil das Pressing in den 2010er Jahren taktisch und physisch an Qualität zugenommen hat, brauchen Teams, die auf einen geordneten Spielaufbau mit Kurzpässen setzen, mehr Spieler, die technisch in der Lage sind, dem Druck standzuhalten.

Insofern können sich Klubs, die viel Ballbesitz haben, klassische Abräumer nicht mehr leisten, wenn sie sich im Spielaufbau nicht beteiligen können. Martínez war ein solider Aufbauspieler, aber nicht mehr. Und Rice?

Der ist durchaus unterschätzt, wenn es um technische und spielerische Fähigkeiten geht. Obwohl West Ham mit 41,1 Prozent Ballbesitz den drittniedrigsten Wert der Premier League hat, kommt der Rechtsfuß im Schnitt auf 67,4 Ballkontakte pro 90 Minuten. Würde man das auf die 65 Prozent Ballbesitz von Manchester City hochrechnen, käme er auf einen ähnlichen Wert wie Rodri (101,9 Kontakte pro 90 Minuten).

Rice bewegt sich viel im Sechserraum und sucht immer wieder nach Schnittstellen. Er hat ein gutes Gespür dafür, wann er seine Position verlassen kann und wann es besser ist, sie zu halten. Vor allem aber kann er auch unter Pressingdruck die Kontrolle behalten.

Der Kapitän von West Ham kann ein Spiel beruhigen, aber auch beschleunigen. Auf der halblinken Seite fühlt er sich etwas wohler als im rechten Halbraum, doch in seiner Karriere hat er schon mehrere Rollen erfolgreich gespielt - als offensivere Acht oder etwa als Innenverteidiger. Der Mittelfeldspieler ist kein Sprinter, aber er kann seine physischen Vorteile sehr gut einbringen und so beispielsweise großflächig verteidigen.

Doch auch bei kurzen Dribblings hilft es ihm, dass er sowohl technisch als auch körperlich sehr stark ist. Eine unterschätzte Qualität von Rice ist es, dass er es immer wieder schafft, einen oder zwei Spieler zu überlaufen und so neue Spielsituationen für sein Team zu eröffnen.

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FC Bayern München: Der (P)Rice entscheidet

Auf dem Papier ist Rice somit ein Spieler, der tatsächlich das fehlende Puzzleteil für Bayerns Mittelfeld werden könnte. Er bringt alles mit, um die Probleme auf der Sechs abzustellen und Kimmich dabei zu unterstützen, seine Stärken noch konsequenter einzubringen.

Doch selbst wenn der FC Bayern zum selben Fazit kommt, gibt es eine große Hürde zu bewältigen: Auch andere Topklubs sind interessiert und West Ham soll eine Ablösesumme im dreistelligen Millionenbereich fordern. Entgegen kommt den Bayern zwar, dass der Vertrag des Spielers 2024 ausläuft, doch es ist absehbar, dass die Konkurrenz bereit ist, viel Geld auf den Tisch zu legen.

So soll der FC Arsenal bereits ein erstes Angebot von rund 80 Millionen Euro hinterlegt haben. Für den FC Bayern stellt sich also die Frage, ob Rice diesen Preis wert ist - oder ob es sportlich doch noch andere Alternativen gibt. Zumal bereits der Transfer eines neuen Mittelstürmers viele Ressourcen aufbrauchen wird. Bisher waren die Bayern nicht dafür bekannt, gleich für zwei Spieler Rekordsummen auszugeben. Dass sie es wirtschaftlich können, steht außer Frage. Aber wollen sie das auch?

Wenn sie nicht dazu bereit sind, wird man Prioritäten setzen müssen. Bisher galt die Stürmersuche als heißestes Transferthema in München. Das könnte aber ein schwerwiegender Fehler sein. Auch hier lohnt vielleicht ein Blick ins Jahr 2012, als die Bayern für Martínez eine damalige Rekordsumme ausgegeben haben und sich im Sturm mit einer relativ günstigen Variante verstärkten: Mario Mandzukic.

Die Situation war zwar eine andere, weil der Angriff auch ohne Mandzukic schon gut besetzt war. Doch den größten Unterschied machte in dieser historischen Saison der neue Sechser. In den letzten Jahren hat der FC Bayern an den falschen Stellen gespart. Womöglich ist es an der Zeit, etwas mehr in die Offensive zu gehen. Man könnte es schließlich umso teurer bezahlen, wenn man bei Rice aus den falschen Motiven nicht versucht, ihn nach München zu lotsen - und die Baustelle im Mittelfeld weiterhin bestehen bleibt. Dort werden große Spiele nämlich wirklich entschieden. In der Vergangenheit oft gegen den FC Bayern.

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SpieltagBVBFC Bayern
34Mainz 05 (H)1. FC Köln (A)
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