FC Bayern vor nächstem Neustart: Finden Hoeneß und Rummenigge jetzt endlich genehme Nachfolger?

Von Justin Kraft
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Der FC Bayern München hat die Deutsche Meisterschaft gewonnen - und anschließend verkündet, dass man sich von Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic trennt. Das könnte Folgen haben. Den Rekordmeister erwartet womöglich ein turbulenter Sommer.

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"Mia san mia, wir sind wir - und ich bin ich", sagte Louis van Gaal 2009 bei seiner Vorstellung als Trainer des FC Bayern München. Damals mit einem Schmunzeln begleitet, muss man 2023 feststellen, dass sich das Vereinsmotto in den vergangenen Jahren tatsächlich zunehmend in diese Richtung verändert hat.

Zuletzt habe es "nur noch Egoismen" gegeben, sagte Jan-Christian Dreesen. Der 55-Jährige beerbt Oliver Kahn als Vorstandsvorsitzender beziehungsweise CEO des FCB. Wer auf Hasan Salihamidzic in der sportlichen Leitung folgt, ist derzeit unklar.

Der Rekordmeister befindet sich nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft im Chaos. Machtstrukturen und Hierarchien müssen neu geklärt werden, laufende Planungen für die neue Saison werden womöglich auf Eis gelegt und auch die Spieler und deren Umfeld registrieren die Unruhe an der Säbener Straße. Doch was genau wird den FC Bayern in den kommenden Wochen beschäftigen und welche Entscheidungen müssen getroffen werden?

FC Bayern München, Hasan Salihamidzic
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FC Bayern München: Wer übernimmt die sportliche Planung?

Die größte Baustelle befindet sich nun in der sportlichen Leitung. Hasan Salihamidzic und Marco Neppe hatten hier zuletzt die Verantwortung. Beide werden spätestens im Frühjahr die Planungen für die neue Saison begleitend angefangen haben. Wer kommt, wer geht? Und wie können Probleme behoben werden, die man in dieser Saison hatte?

Es ist von Vorteil für die Münchner, dass Salihamidzic den Klub im Guten verlassen wird. Der 46-Jährige hat die Entscheidung akzeptiert, feierte noch ausgelassen den Titel. Er kann also für eine etwaige Übergabe der Pläne konsultiert werden. Außerdem ist Neppe noch Teil des Klubs. Den technischen Direktor bezeichnete Salihamidzic als seinen "Zwilling", weil die Zusammenarbeit sehr eng ablief.

Und doch wird zunächst ein Vakuum entstehen. Wie viel Wert hat das Wort von Neppe überhaupt noch? Durch die Rückkehr von Karl-Heinz Rummenigge und den wieder verstärkt in den Vordergrund tretenden Uli Hoeneß könnte er an Macht verlieren. Seine Zukunft ist ohnehin noch ungeklärt. "Einen Sportvorstand hatte der FC Bayern schon einmal nicht gehabt", erklärte Dreesen jüngst. Doch man werde das als "Team" auffangen.

Die Aufgabenverteilung zu klären und über teilweise laufende Verhandlungen zu entscheiden, könnte Zeit kosten, die der FC Bayern eigentlich nicht hat. "Es ist eine chaotische Zeit aktuell beim FC Bayern", sagte Nedal Huoseh von der Agentur ATG Sports, die Alphonso Davies berät, der Bild: "Ich bin mir nicht sicher, was los ist und mit wem wir es zu tun haben werden. Es scheint zu viel Instabilität und Unsicherheit hinsichtlich der Richtung des Vereins zu geben."

Mit Davies hatte es bereits Gespräche über eine Verlängerung gegeben. Diese sind nun auf Eis gelegt. "Vielleicht ist es besser, wenn wir bis 2024 warten", so Huoseh. Je länger die Übergabe und die Übergangszeit dauern, desto schwieriger wird es, die Unsicherheit bei den Agenturen und Beratern der Spieler zu beseitigen.

FC Bayern München, Alphonso Davies
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FC Bayern München: Alphonso Davies, Lucas Hernández und Co. - wer geht jetzt?

Auch eine persönliche Komponente kommt dazu. Salihamidzic hat über die Jahre viel Kritik für seine Außendarstellung bekommen, wurde in einigen Beraterkreisen aber stets für sein Engagement und seine große Wertschätzung für die Spieler gelobt. Zu Davies und seinem Umfeld hatte er beispielsweise eine gute Beziehung. Desto weniger verwundert es, dass Huoseh nun seinen Unmut äußert.

Doch auch andere Spieler im Kader betrifft die Abberufung von Salihamidzic. Lucas Hernández, so berichteten französische Medien, soll auf dem Zettel von Paris Saint-Germain stehen. Mit dem Innenverteidiger hatte der ehemalige Sportvorstand bereits gute Gespräche geführt, eine Verlängerung schien im April noch wahrscheinlich zu sein. Ist nun wieder alles offen?

Benjamin Pavard hat der Vereinsführung laut Sport1 bereits mitgeteilt, dass er die Bayern verlassen möchte. Das steht zwar nicht in direktem Zusammenhang mit dem Austausch der Verantwortlichen, aber auch damit hängen Planungen zusammen, die zuvor andere federführend übernahmen.

2024 laufen beim FC Bayern sieben Verträge aus. Immerhin: Größtenteils betrifft das Spieler, mit denen wahrscheinlich noch nicht gesprochen wurde. Denn bei Manuel Neuer, Thomas Müller, Eric Maxim Choupo-Moting und Sven Ulreich wird man erstmal die kommende Saison abwarten. Bouna Sarr ist wiederum ein klarer Verkaufskandidat. Lediglich bei Hernández und Pavard wird es dahingehend spannend.

Allerdings lohnt auch ein Blick auf die 2025 auslaufenden Arbeitspapiere. Neben Davies findet man dort Namen wie Joshua Kimmich, Leroy Sané oder Mathys Tel. Hier sollten Vertragsgespräche frühestmöglich beginnen, um nicht in eine Drucksituation zu geraten.

Harry Kane, Declan Rice
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FC Bayern München: Was wird aus den geplanten Neuzugängen?

Eng verbunden mit den Abgängen sind natürlich auch die Planungen hinsichtlich der Neuzugänge. Ein neuer Stürmer und ein neuer Sechser standen bisher auf dem Wunschzettel der alten Kaderplaner. Darunter Transfers, die viel Geld kosten würden. Declan Rice von West Ham United soll ein Kandidat sein, Randal Kolo Muani von Eintracht Frankfurt ein anderer für die Offensive. Harry Kane wiederum war kein großes Thema mehr. Ändert sich das mit anderen Verantwortlichen?

Transfers dieser Größenordnung erfordern viele Gespräche und Verhandlungen, die womöglich im Hintergrund bereits geführt wurden. Eine Übergabe stellt dementsprechend ein Risiko dar. Wie bei der Davies-Agentur kann es bei den Wunschspielern und deren Umfeld zu Unsicherheit und Verwirrung kommen. Vorstellbar, dass der eine oder andere Spieler lieber zu einem Verein wechseln möchte, der nach außen hin mehr Stabilität ausstrahlt.

Und dann gibt es da mit Konrad Laimer noch einen ganz besonderen Fall. Der Transfer des Leipzigers soll bereits seit vielen Wochen feststehen. Eine offizielle Bestätigung gibt es noch nicht. Als mit dem Spieler verhandelt wurde, waren Julian Nagelsmann, Salihamidzic und Kahn noch im Amt. Nun ist Thomas Tuchel der Trainer und die sportliche Leitung wird sich verändern. Es ist unklar, wie die Pläne mit Laimer aussehen und ob diese beibehalten werden.

Thomas Tuchel, FC Bayern München
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FC Bayern München: Wird Thomas Tuchel jetzt der starke Mann?

All die Unsicherheiten könnten auch zu einem Novum in der Geschichte des FC Bayern München führen: Wird Tuchel jetzt der starke Mann an der Seitenlinie und in der Kaderplanung? "Wir setzen auf das Team. Karl-Heinz Rummenigge kommt in den Aufsichtsrat, wir haben im Team Uli Hoeneß und wir haben Thomas Tuchel", erklärte CEO Dreesen: "Ich werde mich in angemessener Form einbringen."

In der Zusammenarbeit mit Hoeneß und Rummenigge eine machtvolle Position einzunehmen, ist für einen Trainer nicht leicht. Das durften mit Pep Guardiola, Jupp Heynckes, Carlo Ancelotti und auch Louis van Gaal einige der besten Trainer der Welt bereits feststellen. Doch Tuchel hat einen entscheidenden Vorteil: Er kennt den Markt und den Weltfußball im Moment sehr wahrscheinlich besser als alle anderen in der Führungsetage. In der Vergangenheit fiel Uli Hoeneß immer wieder mit Aussagen auf, mit denen er seine Unkenntnis zur Schau stellte. "Ich kenne den Spieler gar nicht", sagte er beispielsweise 2019 der Sport Bild in Bezug auf Rodri, der vor seinem Wechsel zu Manchester City auch bei den Bayern Thema war.

Teilweise tat Hoeneß das auch, um die Position von Salihamidzic zu stärken, der einst in der Kritik stand. Doch dass er und Rummenigge im Tagesgeschäft des Transfermarkts nicht mehr so involviert sind wie ein aktiver Trainer, dürfte auf der Hand liegen.

Das wird Tuchel keine unbegrenzte Freiheit ermöglichen. Schließlich müssen vor allem teure Transfers immer noch vom Aufsichtsrat genehmigt werden. Einen Alleingang wird es bei den Bayern also nicht geben. Aber der 49-Jährige könnte deutlich mehr Einfluss auf die Planungen haben als seine Vorgänger - zumindest in diesem Sommer.

Die Zukunft wird dann deutlich spannender. Salihamidzic arbeitete in der Transferplanung deutlich enger mit den Trainern zusammen als Hoeneß und Rummenigge es in der Vergangenheit taten. Mittel- und langfristig wird es also spannend zu beobachten, wie sich die Aufgabenbereiche verteilen und welche Hierarchien sich bilden.

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FC Bayern München: Ist die Rückkehr von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ein Rückschritt?

Für Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ist die jetzige Situation auch als Rückschlag zu bewerten. Beide müssen sich nun eingestehen, dass sie den Übergang zu einer Zeit nach ihnen nicht geregelt bekommen haben. Nun übernehmen sie erneut - wobei im Fall Hoeneß ohnehin nicht von einer Rückkehr die Rede sein kann, war er doch stets ein einflussreiches Mitglied des Aufsichstrats; zudem wurde er vor allem von Salihamidzic bei regelmäßigen gemeinsam Schafkopf-Runden bei Hoeneß daheim am Tegernsee auf dem Laufenden gehalten.

Klar ist, dass beide keine langfristige Lösung darstellen. Und so beginnen sie fast wieder bei Null. Denn selbst wenn mit Dreesen jetzt ein bei den Fans beliebter und sehr kompetenter Mann die Rolle des Vorstandsvorsitzenden übernimmt, ist auch da unklar, wie lange er das tun wird. Sollte er erfolgreicher als sein Vorgänger sein, ist es zumindest vorstellbar, dass der 55-Jährige noch eine Weile tätig ist.

Bleibt das entstandene Vakuum in der sportlichen Leitung, das nach eigenen Angaben bis spätestens Weihnachten geschlossen werden soll. Und dann? Gelingt diesmal ein Übergang in eine neue Zeitrechnung? Wohl nur, wenn einerseits die richtigen Leute dafür gefunden werden und andererseits vor allem Hoeneß in der Lage ist, loszulassen. Aktuell aber muss es sich für den FC Bayern wie ein gewaltiger Rückschritt anfühlen.

FC Bayern München, Katar, Fans
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FC Bayern München: Was wird eigentlich aus Katar?

In den letzten Tagen und Wochen gab es so viele verschiedene Themen rund um den FC Bayern, dass die Causa Katar komplett in den Hintergrund geraten ist. Der Vertrag mit Qatar Airways läuft diesen Sommer aus. Bisher hielten sich die Münchner bedeckt, wenn es um eine mögliche Verlängerung ging.

Geht es nach den aktiven Fans des Rekordmeisters, dann kommt eine solche nicht infrage. Seit vielen Jahren steht der FC Bayern im Zwiespalt: Schmutziges Geld auf der einen und Faninteressen sowie die eigenen Werte auf der anderen Seite. Begründet hat man das Vorgehen meist damit, dass man nicht wegschauen und vor Ort wichtige Debatten anstoßen wolle. Warum dafür ein Sponsoring notwendig ist, konnte man hingegen nie glaubhaft erklären.

Der unangenehme Spagat, der für den Klub entstand, könnte sich durch das Vertragsende in Luft auflösen. Doch auf der anderen Seite hat sich an der grundsätzlich positiven Einstellung zu Katar wenig getan. Mit Rummenigge kehrt sogar ein weiterer Befürworter des Sponsorings zurück. Und hätte der FC Bayern vorgehabt, den Vertrag auslaufen zu lassen, hätte er zahlreiche Möglichkeiten verpasst, damit positive Stimmung im Saisonfinale zu verbreiten.

Dreesen hingegen ist auch deshalb bei den Fans so beliebt, weil er ihnen sehr nahe ist. Auch er kann eiskalt sein, wenn es um wirtschaftliche Themen geht, doch die Fannähe ist ein Punkt, an den sich die katarkritischen Anhängerinnen und Anhänger derzeit klammern können.

Das Thema wird also erst mal noch ungeklärt bleiben. Eine mögliche Entscheidung für Katar würde weitere Unruhe bringen. Die Sommerpause könnte sich dafür aber gut eignen, um den stärksten Gegenwind bis zum Saisonstart auszusitzen. Doch womöglich würde man damit unterschätzen, was das in der Fanszene auslösen könnte. Ein nach wie vor vielschichtiges Thema, das dem FC Bayern in einer bereits unruhigen Zeit weitere Sorgenfalten bereiten kann und wird.

FC Bayern
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FC Bayern München: Was wird aus dem Mia san mia?

Und dann gibt es da noch einen übergreifenden Aspekt: Fast schon religiös wurde es in der Vergangenheit, wenn über das Mia san mia des FC Bayern gesprochen wurde. Die Magie des Vereinsmottos hat in den letzten Jahren stark abgebaut. Uli Hoeneß sieht dafür Oliver Kahn und seine Berater in der Verantwortung. Die hätten "die katastrophal schlechte Stimmung" herbeigeführt, sagte er dem kicker.

Hainer sprach auf der Pressekonferenz von einer gewissen "Verunsicherung innerhalb der Mitarbeiterschaft" und Dreesen stellte die Kommunikation in den Mittelpunkt: "Ich möchte wieder mehr zu einem Füreinander kommen."

Neben der internen Unruhe wird es aber auch darum gehen, den Klub nach außen hin wieder souveräner zu vertreten. In der nun abgelaufenen Saison gab es zu viele Themen, die man nicht beruhigen konnte, teilweise sogar noch selbst befeuert hat. Statt sich in sportlich schwierigen Zeiten vor die Mannschaft zu stellen, wurde diese mitunter scharf kritisiert. Statt vermeintliche Fehltritte wie den Gnabry-Ausflug intern zu klären, wurde das in die Öffentlichkeit verlagert.

Hier müssen die Bayern ansetzen, um das Mia san mia des Rekordmeisters wieder vorzuleben. Gerade in Dreesen sieht die aktive Fanszene eine große Chance, dass das gelingt. Es wäre ein erster Schritt, um aus dem Chaos heraus wieder etwas mehr Ordnung herzustellen. Vielleicht ist es sogar der wichtigste Schritt.

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