In der 32. Minute kommt es im Dortmunder Westfalenstadion am Freitagabend zu einem Schlüsselmoment. Der VfL Bochum schlägt den Ball lang nach vorn, wo Myron Boadu auf Philipp Hofmann ablegen kann.
Der reagiert schnell und schickt Boadu in die Tiefe. Wenige Sekunden reichen, um die komplette Defensive des BVB zu entblößen. Der 23-Jährige läuft von der Mittellinie aus im Vollsprint auf Gregor Kobel zu.
Vermutlich ist der Weg einen Tick zu weit, einen Tick zu kräftezehrend. Der Stürmer kommt ganz offensichtlich ins Nachdenken und schließt fast schon zu überhastet ab. Kein Tor. Der Ball fliegt knapp am linken Pfosten vorbei.
Es wäre das 3:0 gewesen. Sicher keine Vorentscheidung, aber die Möglichkeit, einen erschreckend anfälligen BVB so zu brechen, dass er eventuell nicht mehr zurückkommt. Am Ende steht ein 4:2-Sieg für die Borussia.
BVB gegen VfL Bochum: Defensiv überfordert
Für Borussia Dortmund bestand das Drama in der ersten Halbzeit nicht mal darin, dass die Mannschaft schlecht in dieses Spiel gekommen wäre. In der Anfangsphase hatte der BVB alles im Griff, erspielte sich vorne erste Torraumszenen und kontrollierte das Geschehen.
Selbst im Spielaufbau wirkte es zu Beginn der Partie so, als würde man den hoch pressenden VfL Bochum ins Messer laufen lassen. Immer wieder kam man vielversprechend durch die vordersten Pressinglinien der Gäste. Dann aber kam die 16. Minute, in der sich Bochum beinahe mühelos durch das Mittelfeldzentrum kombinieren konnte - am Ende schloss Matus Bero zielsicher zum 1:0 ab. Fünf Minuten später verzockte sich der BVB im Spielaufbau, lud Dani de Wit so zum 2:0 ein.
Für jemanden, der die ersten 15 Minuten gesehen hat, war das kaum zu verstehen. Edin Terzic, der das Spiel auf der Tribüne verfolgte, hat solche Situationen beinahe zweiwöchentlich erlebt - und selbst er dürfte immer noch keine Lösung haben.
Dortmund agiert unter Nuri Sahin offensiver, nicht aber weniger anfällig für Ballverluste. In den defensiven Umschaltsituationen waren die BVB-Verteidiger oftmals überfordert mit dem Tempo und der Dynamik der Bochumer.
Auch wenn der VfL besser ist als der eine Punkt, den man bisher erringen konnte, kann es nicht der Anspruch der Schwarzgelben sein, dass sich ein Abstiegskandidat so durch das komplette Mittelfeld kombinieren kann. Der BVB hat keine Balance im Spiel, geht vorn ins Risiko, kann dieses defensiv aber nicht absichern.
Sahin muss evaluieren, ob das an der individuellen Qualität liegt oder an seinen Vorgaben. In beiden Fällen wird er Anpassungen vornehmen müssen.
BVB: Offensiv oft nur Serhou Guirassy
Es wäre einfach, das Problem nur daran festzumachen, dass die Außenverteidiger defensiv schnell in Probleme kommen. Oder dass Emre Can in Ballbesitz oft falsche Entscheidungen trifft oder zu langsam reagiert. Oder dass die Innenverteidiger im Spielaufbau zu viele Fehler machen. All das trägt sicher zur Instabilität bei.
Aber ein Problem ist auch, dass die Offensive unberechenbar ist. Und das nicht in einer positiven Deutung. Bekommt Karim Adeyemi den Ball, kann alles passieren. Das schließt ein sensationelles Tor ebenso ein wie einen Ballverlust, der direkt zu einem Gegentor führt. Adeyemis Inkonstanz ist schon länger Thema und längst nicht neu. Dass er sich gern mal zu spät vom Ball trennt, sich festdribbelt oder einen Fehlpass spielt, bleibt ein Problem. Denn die Abhängigkeit von Spielern wie ihm ist enorm. Es wundert daher kaum, dass viele gute Auftritte des BVB mit guten Leistungen von Adeyemi zusammenhängen.
Ist man aber von Spielern abhängig, die innerhalb einer Saison zu oft zwischen Genie und Wahnsinn schwanken, ist das problematisch. Neben Adeyemi trifft das eben auch auf Donyell Malen oder Jamie Gittens zu.
Die einzige Konstante ist Serhou Guirassy. Sein Kopfball, das Foul an ihm im Strafraum und sein zweiter Treffer haben das Spiel gedreht. Doch gerade auf höchstem Niveau wird es zu wenig sein, sich nur auf einen Mittelstürmer verlassen zu können.
BVB: Ein ewiger Kreis
Nach der Partie zeigte sich Sahin bei DAZN durchaus selbstkritisch, versuchte aber auch, das Positive herauszuheben. Sein Team sei klar geblieben nach den Gegentoren, habe weiter versucht, das eigene Spiel durchzuziehen. Tatsächlich gab es zu keinem Zeitpunkt einen nennenswerten Einbruch, was in der Vergangenheit schon mal anders war.
Trotzdem erinnern die Aussagen an die seiner Vorgänger. Sie alle versuchten sich nach Abenden wie diesem an Zweckoptimismus. Sie alle scheiterten früher oder später daran, dass ihr Team unerklärliche Fehler machte. Was nicht bedeuten soll, dass die Trainer machtlos waren. Nur fühlt sich dieser BVB an, als wäre er in einem ewigen Kreis gefangen.
"Gehen Sie davon aus, dass wir alles ganz klar ansprechen", analysierte der 36-Jährige. Gegen Bochums Raute sei es der Plan gewesen, eigentlich immer mit einem Spieler mehr hinten abzusichern. Daran hielt sich die Mannschaft nicht, wodurch es zu oft zu Gleichzahlsituationen kam, wenn Bochum umschalten konnte.
In der Halbzeit wies Sahin Emre Can dazu an, konsequenter hinten zu bleiben. Das stabilisierte die Defensive. Dass der BVB-Trainer schnell reagiert, Dinge anpasst und ausprobiert, spricht für ihn. Aber die technischen Defizite, die dieses Team immer wieder offenbart, sind mit taktischen Mitteln nur schwer zu verstecken.
"Manchmal muss man leiden, um zu lernen", sagte Sahin in Bezug auf die 32. Minute, in der der VfL Bochum das Spiel in seine Richtung hätte kippen können. Schaut man sich an, wie oft der BVB in den letzten Jahren gelitten hat und wie wenig er daraus gelernt hat, ist das eine sehr optimistische Aussage.