Auch wenn es auf den ersten Blick nicht direkt ersichtlich erscheinen mag: Die Formel 1 ist kein Einzelsport. Obwohl die 20 Piloten stets alleine in ihren Cockpits sitzen und mit ausgefahrenen Ellenbogen gegen die Autos links und rechts von sich kämpfen, so wären sie ohne das Team dahinter, also die Ingenieure, Mechaniker und Strategen, die allesamt für einen reibungslosen Ablauf an einem Rennwochenende sorgen, aufgeschmissen. Und dann ist da natürlich noch der Kollege auf der anderen Seite der Garage.
Wie wichtig der richtige Teampartner in der Formel 1 werden kann, hat sich in der Vergangenheit ein ums andere Mal gezeigt. Jüngstes Beispiel ist Sergio Pérez, ohne dessen Hilfe Max Verstappen beim WM-Finale 2021 in Abu Dhabi wohl nicht über Lewis Hamilton triumphiert und seinen ersten Titel gefeiert hätte. Was man allerdings auch festhalten muss: Zumeist ist es von Vorteil, wenn ein Pilot klar schneller ist als der andere.
Bei McLaren ist das in dieser Saison nicht so. Zwar hatte Oscar Piastri zu Beginn des Jahres noch mit seiner Rennpace zu kämpfen, seine Qualifying-Zeiten sahen da aber bereits sehr gut aus. Und mittlerweile hat der junge Australier auch sonntags seinen Rhythmus gefunden, performt immer häufiger auf Augenhöhe mit Lando Norris und ist hier und da sogar schneller als sein anderthalb Jahre älterer Teamkollege - so auch beim Großen Preis von Italien am vergangenen Wochenende.
Aus Sicht des britischen Traditionsteams ist das zunächst einmal eine sehr erfreuliche Nachricht. Schließlich bedeuten zwei starke Fahrer, die regelmäßig gute Ergebnisse einfahren und Punkte sammeln, eine gute Ausgangsposition in der Konstrukteurswertung. Gleichzeitig bringt es aber auch Probleme mit sich. Probleme, die im schlimmsten Fall zu teaminternen Spannungen führen können und den eigentlichen Vorteil in einen Nachteil verwandeln.
McLaren muss Oscar Piastri für Lando Norris opfern
Genau in diesem Dilemma befindet sich McLaren aktuell. Der Fairness zu Liebe verzichtete man bisher auf ein Machtwort im Teamduell zwischen Norris und Piastri. Tatsache ist allerdings, dass dies längst hätte geschehen müssen. Denn macht man weiter wie bisher, droht man eine vielleicht einmalige Chance zu verspielen, die unter Umständen jahrelang nicht wiederkommt.
Seit einiger Zeit schon stellt man den schnellsten Boliden im Feld, wirklich Profit konnte man daraus aber nicht ziehen. Vor allem in der Fahrerwertung ließ man einen Haufen Punkte liegen, da man sich schlichtweg nicht auf eine klare Nummer eins im Team festlegen möchte. Eine bessere Ausgangslage in der WM fiel dem Drang nach teaminterner Harmonie zum Opfer.
Spätestens nach den Ereignissen in Monza muss damit endgültig Schluss sein, will man am Ende der Saison nicht gänzlich ohne Titel dastehen. Norris muss als der in der Fahrerwertung besser platzierte Pilot von nun an priorisiert werden. Piastri hingegen sollte, obgleich seiner guten Leistungen, von nun an seine Unterstützung erklären und dem Teamkollegen wo es geht unter die Arme greifen.
Zum Wohle McLarens kann man nur hoffen, dass es dafür nicht sogar schon zu spät ist. Bereits vor der Sommerpause hatte man in Ungarn wertvolle Punkte liegen lassen, als man rundenlang am Funk auf Norris einredete und ihn aufforderte, seinen durch einen besser getimten Boxenstopp "geerbten" ersten Platz wenige Runden vor Schluss wieder an Piastri abzutreten.
In Monza scheiterte es dann an fehlenden Absprachen vor Rennbeginn. So attackierte der Australier Norris unnötigerweise im Startgetümmel und war mit seinem harten Überholmanöver letztlich dafür verantwortlich, dass nicht nur er selbst, sondern auch noch Ferrari-Pilot Charles Leclerc an Norris vorbeischlüpfen konnte. Die Frage, ob McLaren sonst einen Doppelsieg hätte einfahren können, lässt sich im Nachhinein schwer beantworten. Geholfen hat es aber mit Sicherheit nicht.
Zac Brown verteidigt sich gegen Kritik: "War schon immer McLarens Weg"
Rechnet man das zusammen, so kommt man auf 17 WM-Zähler, die Norris dadurch durch die Lappen gingen - in gerade einmal zwei Rennen. In den vergangenen fünf Rennen holte der Engländer auf WM-Rivale Verstappen somit lediglich 19 Punkte auf - und das, obwohl Red Bull sich derzeit in einer handfesten Performance-Krise befindet und man bei jedem einzelnen dieser Grands Prix den schnelleren Boliden zur Verfügung hatte.
"Zak, ist es nicht an der Zeit, zumindest ein paar Teamordern einzuführen, sagen wir mal innerhalb der Papaya-Regeln?", wandte sich auch Ex-Weltmeister Nico Rosberg nach dem Rennen in Monza direkt an McLaren-CEO Zak Brown. "Die Papaya-Regeln, was sind sie, und hat Oscar sich daran gehalten? Oder ist er da in Kurve vier über sie hinausgeschossen?"
Brown war sichtlich darauf bedacht, die gesamte Causa herunterzuspielen, räumte allerdings ein, dass es vor allem am vergangenen Wochenende nicht optimal gelaufen sei. "Wir werden das nächste Woche diskutieren, denn ja: Leider ist Leclerc zwischen beide gekommen." Wichtig sei es, dass beide Fahrer "sauber" miteinander umgehen würden. "Das war ein bisschen nervenaufreibend am Kommandostand."
Grundsätzlich sei man allerdings weiterhin der Überzeugung, dass beide Piloten gleich behandelt werden müssten. "Wir haben immer daran geglaubt, zwei Nummer-1-Fahrer zu haben. Das war schon immer McLarens Weg. Willst du ein Team mit einem Auto sein, oder ein Team mit zwei Autos? Am einfachsten wäre es für Lando gewesen, wenn er einfach vorneweg gefahren wäre, um den Kommandostand erst gar nicht vor schwierige Entscheidungen zu stellen."
62 Punkte Rückstand: Kann Lando Norris Max Verstappen noch einholen?
Bei acht ausstehenden WM-Läufen inklusive zwei Sprints sind noch 224 Punkte zu vergeben. Genügend Rennen, um Norris' Rückstand von derzeit 62 Zählern noch aufzuholen. Gleichwohl ist es nicht in Stein gemeißelt, dass die Formschwäche von Verstappen und Red Bull bis zum Saisonende anhalten wird. So wird es gewiss auch Wochenenden geben, an denen McLaren nicht das deutlich bessere Paket stellt.
Immerhin: Die anhaltende Kritik scheint einen Denkprozess bei den Verantwortlichen eingeleitet zu haben. Auf die Frage, ob man sich für die Zukunft eine Anpassung des Kurses offen halten möchte, erklärte Brown: "Andrea (Teamchef Andrea Stella; Anm.d.Red.) und ich gehen es Rennen für Rennen an." Heißt: Was noch in Monza galt, muss im Licht der jüngsten Vorkommnisse nicht mehr zwingend auf Baku zutreffen. In anderthalb Wochen wird man sehen, für welchen Weg sich McLaren entscheidet.
Formel 1: Stand in der Fahrerwertung und der Konstrukteurswertung nach 16 von 24 Rennen
Fahrerwertung:
Pos. | Fahrer | Pkt. |
1. | Max Verstappen | 303 |
2. | Lando Norris | 241 |
3. | Charles Leclerc | 217 |
4. | Oscar Piastri | 197 |
5. | Carlos Sainz | 184 |
6. | Lewis Hamilton | 164 |
7. | Sergio Perez | 143 |
8. | George Russell | 128 |
9. | Fernando Alonso | 50 |
10. | Lance Stroll | 24 |
11. | Nico Hülkenberg | 22 |
12. | Yuki Tsunoda | 22 |
13. | Daniel Ricciardo | 12 |
14. | Pierre Gasly | 8 |
15. | Oliver Bearman | 6 |
16. | Kevin Magnussen | 6 |
17. | Alexander Albon | 6 |
18. | Esteban Ocon | 5 |
19. | Guanyu Zhou | - |
20. | Logan Sargeant | - |
21. | Franco Colapinto | - |
22. | Valtteri Bottas | - |
Konstrukteurswertung:
Pos. | Team | Pkt. |
1. | Red Bull Racing | 446 |
2. | McLaren | 438 |
3. | Ferrari | 407 |
4. | Mercedes-Benz | 292 |
5. | Aston Martin | 74 |
6. | Racing Bulls | 34 |
7. | Haas | 28 |
8. | Alpine | 13 |
9. | Williams | 6 |
10. | Sauber | - |