Hat Nico Hülkenberg auf das falsche Pferd gesetzt? Das Formel-1-Projekt von Audi ist schon vor dem Einstieg zum Scheitern verurteilt

Von Christian Guinin
Carlos Sainz
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CEO weg, Projektleiter weg, Wunschfahrer weg. Anderthalb Jahre vor dem offiziellen Einstieg in die Formel 1 kracht es bei Audi gehörig. Der Druck ist groß, der Berg an Problemen gewaltig. Ist das Projekt schon vor der Premiere zum Scheitern verurteilt?

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"Williams ist der richtige Ort für mich, um meine Reise in der Formel 1 fortzusetzen. Davon bin ich vollkommen überzeugt." Im Grunde bedarf es lediglich dieser zwei Sätze von Carlos Sainz vom vergangenen Montag, um den Zustand zusammenzufassen, in dem sich Audi und sein F1-Projekt derzeit befinden. Innerhalb kürzester Zeit haben es die für 2026 von nicht wenigen Experten als Dark Horse gehandelten Ingolstädter geschafft, sich in äußerst unruhige Fahrwasser zu manövrieren.

Angefangen hatte alles vor einigen Wochen mit einem Medienbericht aus England, wonach zwischen den beiden führenden Verantwortlichen der Audi-Übernahme, Projektleiter Oliver Hoffmann und CEO Andreas Seidl, ein immer stärker ausufernder Machtkampf stattgefunden habe. Hoffmann soll versucht haben, an Seidls Stuhl zu sägen und hatte dabei die fehlende Entwicklung des Teams seit der Übernahme des ehemaligen McLaren-Teamchefs bemängelt.

Bei einem Blick auf die nackten Zahlen eine durchaus nachvollziehbare Argumentation, schließlich belegt der in diesem Jahr noch unter dem etwas wirren Namen Stake F1 Team KICK Sauber antretende Rennstall nach 14 von 24 absolvierten Rennen den letzten Platz in der Konstrukteurswertung. Als einziges der zehn Teams hat man gar das Kunststück vollbracht, noch nicht einen WM-Punkt zu sammeln. Vergleicht man diesen Wert mit dem Vorjahr, ist sogar ein sportlicher Rückschritt zu bilanzieren, hatte man zum selben Zeitpunkt 2023 immerhin schon zehn Zähler auf dem Konto.

Anstatt die Angelegenheit intern zu regeln oder sich klar einer Seite zuzuwenden, beschloss Audi dann vergangenen Woche, die Reißleine zu ziehen und die beiden Streithähne fristlos ihrer Ämter zu entheben. Wie überraschend die Entscheidung der Ingolstädter kam, konnte man an der Reaktion von Nico Hülkenberg, seines Zeichen für das kommende Jahr bestätigter Stammpilot, ablesen, der den versammelten Journalisten am Rande des Belgien-GPs in Spa etwas überfordert erklären musste, von den Vorkommnissen kalt erwischt worden zu sein: "Das war offensichtlich eine kleine Welle, ein kleiner Schock", so der Emmericher, der von Audi erst am selben Tag informiert worden war.

Carlos Sainz
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Trotz lukrativem Audi-Angebot: Carlos Sainz wechselt zu Williams

Mit Sainz' Vorstellung bei Williams folge zum Wochenbeginn die nächste Hiobsbotschaft. Der Spanier war zuvor heftig umgarnt und öffentlich als Wunschkandidat für das zweite Cockpit neben Hülkenberg deklariert worden, dennoch ließ er sich von Audis Projekt offensichtlich nicht überzeugen. Und das, obwohl er von den Ingolstädtern einen finanziell angeblich äußerst attraktiven Vertrag vorgelegt bekommen hatte, mit dem selbst diverse Spitzenteams nicht mithalten konnten. "Wir sprechen mit ihm [Sainz], aber er hat ein sehr lukratives Angebot von Audi, das wir nicht matchen oder überbieten können", hatte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko noch im April gesagt.

Die große Frage, die sich dabei stellt: Wenn Top-Teams wie Red Bull oder Mercedes, bei denen Sainz wohl bis zuletzt auf ein freies Cockpit spekuliert hatte, aus finanzieller Sicht keine Stiche gegen Audi gehabt haben, wie ist es dann dem seit Jahren hinterherfahrenden und chronisch erfolglosen Traditionsteam Williams gelungen, einen derart begehrten Piloten wie Sainz für die eigene Sache zu gewinnen?

Fest steht: An der sportlichen Perspektive, welche ihm die Briten bieten können, wird es nicht gelegen haben. Zwar darf man die Vertragsunterschrift bei Williams durchaus als Herausforderung für Sainz verstehen, Aussicht auf tatsächlichen Erfolg, welche der Spanier eigentlich als Anforderung für ein Engagement gestellt hatte, wird er dort allerdings kaum haben. Nicht nur ist Williams als Mercedes-Kunde von einem externen Motor abhängig, welchen man nicht nach den eigenen Vorstellungen entwickeln kann. Auch von der reinen Manpower her wird man nicht in der Lage sein, in den kommenden Jahren um Siege und Podestplätze oder gar WM-Titel mitzufahren.

Alles in allem ist die Entscheidung Sainz' somit weniger als Entscheidung pro Williams sondern vielmehr contra Audi zu verstehen. Wäre der Spanier von der sportlichen Version des deutschen Herstellers überzeugt gewesen, hätte er sich wohl kaum mit dem britischen Traditionsrennstall eingelassen. Denn zumindest mittelfristig scheint Sainz den Briten mehr zuzutrauen: "Es geht um die beste Option für die nächsten drei, vier Jahre. Um die Option, von der ich das Gefühl habe, dass ich mein absolut Bestes geben werde, um gemeinsam ein siegreiches Formel-1-Projekt auf die Beine zu stellen", betonte er.

Mattia Binotto
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Audi 2026 chancenlos? "Kommt einem Neuanfang gleich"

Wie schlimm es nun wirklich um Audi bestellt ist, lässt sich nur vage einschätzen. Die jüngsten Ereignisse lassen aber wenig Zuversicht aufkommen. Die von Hoffmann thematisierten Verzögerungen bei der Entwicklung des Teams sind Tatsache, auch wenn Seidl diesbezüglich wenig anzulasten war. Erst zu Beginn der aktuellen Saison erfolgte die vollständige Übernahme des Sauber-Teams durch Audi, bis dahin waren dem ehemaligen CEO in vielen Belangen die Hände gebunden. Hinzu kamen Investment-Verzögerungen, welche die Rekrutierung von Mitarbeitern sowie die Besetzung wichtiger Posten erschwerte.

Eine schlagkräftige Truppe rechtzeitig für das neue Motorenreglement 2026 aufzustellen, gleicht deshalb schon jetzt einem hoffnungslosen Unterfangen. Der personelle Kahlschlag war diesbezüglich das erste Eingeständnis, doch auch viele Experten gehen davon aus, dass es das deutsche Team schwer haben wird, in den kommenden Jahren ein konkurrenzfähiges Paket an den Start zu bringen.

"Es dauert fünf Jahre für ein Team, ganz nach vorne zu kommen. Ein Wechsel zu Audi kommt einem Neuanfang gleich", meinte der ehemalige Weltmeister und heutige Sky-Experte Nico Rosberg. Sein Kollege Karun Chandhok sprach sogar eine deutliche Warnung an alle Fahrer aus. Man solle seine besten F1-Jahre nicht "verschwenden", um am Ende des Feldes umherzufahren, so der indische Ex-Pilot: "Audi wird 2026, 2027 und wahrscheinlich 2028 nicht die Meisterschaft gewinnen."

Ob der neue starke Mann Mattia Binotto, der ab dem 1. August die Geschicke als neuer Hauptverantwortlicher übernimmt, all diese Probleme in den Griff bekommen kann, wird man sehen. Fachlich stehen die Kompetenzen des 2022 geschassten Ex-Ferrari-Teamchefs außer Frage, ungewiss ist allerdings, ob er von der obersten Führungsebene die nötigen Mittel erhält, den Rennstall innerhalb kürzester Zeit auf links zu drehen.

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Profitiert Mick Schumacher vom Chaos bei Audi?

Hülkenberg will sich von all dem Trubel nicht beeindrucken lassen und machte klar, nach wie vor hinter seinem Wechsel zu Audi zu stehen: "Ich freue mich immer noch, zu diesem Projekt zu stoßen und meinen Teil zu leisten, damit das Formel-1-Engagement von Audi eine Erfolgsstory wird. Trotz der Unruhen glaubt er an einen erfolgreichen Wandel, an "positive Anstöße". Es sei schließlich bloß "ein schmaler Grat zwischen Hero und Zero".

Und aus deutscher Sicht könnte das Chaos bei Audi am Ende sogar etwas Gutes haben. Durch Sainz' Wechsel zu Williams sehen sich die Ingolstädter nämlich notgedrungen dazu gezwungen, Fahrer in Erwägung zu ziehen, die bislang noch keine Verträge für das kommende Jahr ergattert haben. Einer davon wäre zum Beispiel Mick Schumacher, der bereits bei der Bekanntmachung von Audis F1-Engagement vor zwei Jahren als möglicher Pilot gehandelt wurde, dann aber durch die Hülkenberg-Verpflichtung schnell wieder aus dem Fokus rückte.

Mit Binotto am Ruder - der Italiener nahm den Sohn von Rekordweltmeister Michael Schumacher einst in den Ferrari-Fahrerkader auf - könnte sich das schnell wieder ändern. Mit dem 25-Jährigen würde Audi nicht nur einen immer noch relativ jungen sondern gleichzeitig schon recht rennerfahrenen Piloten bekommen, der als Deutscher bei einem deutschen Team auch aus Marketingsicht nicht unattraktiv wäre.

Formel 1: Der Rennkalender 2024

NummerDatumStreckeOrt
102.03.2024Großer Preis von BahrainSachir
209.03.2024Großer Preis von Saudi-ArabienDschidda
324.03.2024Großer Preis von AustralienMelbourne
407.04.2024Großer Preis von JapanSuzuka
521.04.2024Großer Preis von ChinaSchanghai
605.05.2024Großer Preis von MiamiMiami
719.05.2024Großer Preis der Emilia-RomagnaImola
826.05.2024Großer Preis von MonacoMonte Carlo
909.06.2024Großer Preis von KanadaMontreal
1023.06.2024Großer Preis von SpanienBarcelona
1130.06.2024Großer Preis von ÖsterreichSpielberg
1207.07.2024Großer Preis von GroßbritannienSilverstone
1321.07.2024Großer Preis von UngarnBudapest
1428.07.2024Großer Preis von BelgienSpa
1525.08.2024Großer Preis der NiederlandeZandvoort
1601.09.2024Großer Preis von ItalienMonza
1715.09.2024Großer Preis von AserbaidschanBaku
1822.09.2024Großer Preis von SingapurSingapur
1920.10.2024Großer Preis der USAAustin
2027.10.2024Großer Preis MexikoMexiko-Stadt
2103.11.2024Großer Preis von BrasilienSao Paulo
2223.11.2024Großer Preis von Las VegasLas Vegas
2301.12.2024Großer Preis von KatarLosail
2408.12.2024Großer Preis der VAEAbu Dhabi
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