Das handballerische Problem

SID
Heiner Brand bewies bei seiner Aufstellung gegen Polen kein allzu glückliches Händchen
© Getty

Nach der ernüchternden 25:27-Niederlage gegen Polen steht die deutsche Nationalmannschaft nach nur einem Spiel schon mit dem Rücken zur Wand. Kann sich das Team von Bundestrainer Heiner Brand gegen Slowenien (18.15 Uhr im LIVE-TICKER) steigern, oder ist einfach nicht mehr drin?

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Es waren noch 45 Minuten bis zum Anwurf in der Olympiahalle von Innsbruck, da war die polnische Mannschaft bereits komplett auf dem Spielfeld. Kreis bilden, noch mal heiß machen - man kennt das ja.

Von der deutschen Mannschaft war zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu sehen. Das wäre auch nicht weiter schlimm gewesen, wenn man sich über zwei Stunden später nicht immer noch verwundert die Augen gerieben und sich gefragt hätte, wo eigentlich die deutsche Mannschaft abgeblieben ist.

Wer war das, der da in den deutschen Trikots steckte und auf sonderbare Weise einen extremen Drang zum völlig planlosen Torabschluss verspürte, als wolle er die Leichtigkeit des Ballerns erforschen?

Deutschland - Polen in der SPOX-Analyse

Ellenlange Mängelliste

Bundestrainer Heiner Brand hätte nur zu gerne eine Erklärung gefunden. Die relativ ausgeprägte Jugendlichkeit seines Teams wollte er nicht als Entschuldigung gelten lassen, wie er gegenüber SPOX klarmachte: "Solche Spiele hat es auch mit einer älteren Mannschaft schon gegeben, auch wenn es vielleicht nicht ganz so krass war. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir gegen den WM-Dritten gespielt und nicht gegen irgendjemanden verloren haben. Man muss auch Respekt vor dem Gegner haben."

Bei allem Respekt vor den ohne Zweifel starken Polen, bleibt dennoch in erster Linie festzuhalten, dass die Art und Weise der Niederlage erschreckend war. Die Mängelliste: Das Gegenteil von dem machen, was angesagt wurde. In Unterzahl wild nach vorne rennen, als stünde man unter Zeitdruck. Tempowechsel komplett verweigern. Ohne Vorbereitung nach nur einem Pass aufs Tor hämmern. Gerne auch mitten aufs Tor.

Bielecki erteilt Anschauungsunterricht

Manch einer möchte nun vielleicht mangelndes Selbstvertrauen in Folge einer schwierigen Vorbereitungsphase für die deutsche Planlosigkeit im Angriff geltend machen, aber auch Brand kann bei diesem Ansatz nur mit dem Kopf schütteln. Wer kein Selbstvertrauen hat, der müsse ja theoretisch erst Recht mit mehr Ruhe und Geduld spielen. Klingt logisch.

Es war viel mehr eine fehlende Bereitschaft, für ein Tor zu arbeiten, die der DHB-Auswahl das Genick brach. Die Polen auf der anderen Seite standen häufig kurz vor dem Zeitspiel, bis sie einen Angriff doch noch erfolgreich abschlossen. Vor allem durch Bielecki.

Der Star der Rhein-Neckar Löwen nützte kurz vor der Pause eine Tiefschlafphase der deutschen Abwehr mit drei typischen Bielecki-Raketen gnadenlos aus und brachte sein Team so auf die Siegerstraße.

Fragwürdige Personalentscheidungen

Wenn es überhaupt etwas Positives an der deutschen Pleite gab, war es die bewundernswerte kämpferische Leistung, die das Team fast noch zum Ausgleich getrieben hätte. "Andere Mannschaften wären sicherlich eingebrochen, aber die Jungs haben gefightet. Sie wollten sehr viel, das hat man gemerkt. Wir hatten einfach ein handballerisches Problem", sagte Brand.

Der Erfolgscoach muss sich die Frage gefallen lassen, ob er sich mit seinen überraschenden Personalentscheidungen einen Gefallen getan und nicht vielleicht zum Problem beigetragen hat. Weil Brand den im Vergleich zu Manuel Späth beweglicheren Mann im Mittelblock haben und außerdem nicht mehr als einmal zwischen Angriff und Abwehr (Theuerkauf/Roggisch) wechseln wollte, erhielt Michael Haaß den Vorzug vor Kapitän Michael Kraus.

Fast genauso fragwürdig war die Entscheidung, Stefan Schröder an Stelle von Christian Sprenger auf der Rechtsaußen-Position spielen zu lassen. Brand begründete sie mit seiner bemerkenswerten Einschätzung, dass "beide leistungstechnisch auf einem Niveau" seien. Kann man so sehen, tun viele aber nicht.

Da die EM für Schröder nach einem Trommelfellriss im linken Ohr vorzeitig zu Ende ist, wird es nun an Sprenger liegen, zu zeigen, was er drauf hat. Für Schröder wurde inzwischen der Göppinger Christian Schöne nachnominiert. Kurios: Schon im letzten Jahr bei der WM in Kroatien rückte Schöne nach nur einem Spiel ins Team. Damals hatte sich Sprenger verletzt.

Nicht gut genug fürs Halbfinale

Für die deutsche Mannschaft gilt es nun, alle Konzentration auf das Spiel gegen Slowenien zu richten. "Wir müssen den Kopf oben behalten. Es gehört dazu, dass man mit so einer Situation, wie wir sie jetzt haben, umgehen kann. Slowenien ist für uns ein weiteres Endspiel, das wir unbedingt gewinnen wollen", meinte Kraus im Gespräch mit SPOX.

Dass ein Sieg im zweiten Vorrundenspiel alles andere als leicht wird, zeigte die Pleite der hoch eingeschätzten Schweden gegen die von Star-Coach Noka Serdarusic gecoachten Slowenen. Überhaupt zeigte der erste Spieltag bereits die Unberechenbarkeit des Handballs. Slowenien gewinnt nach großem Rückstand gegen Schweden, Frankreich verliert fast gegen Ungarn - Handball ist und bleibt verrückt.

So verrückt, dass Deutschland trotz Auftaktniederlage noch ins Halbfinale kommen kann aber wohl kaum. Dafür scheint das aktuelle Team einfach nicht gut genug.

Ein letzter Strohhalm

"Wir müssen zusehen, dass wir jetzt mal ein Spiel gewinnen. Ans Halbfinale denke ich nicht. Ich habe vor dem Turnier gesagt, dass es angesichts unserer Gruppe nicht seriös ist, vom Halbfinale zu sprechen. Das hat das Spiel ja wohl eindeutig bewiesen", befand Brand.

Einen ganz kleinen Hoffnungsschimmer gibt es aber noch. 2004 verlor Deutschland bei der EM in Slowenien auch das Eröffnungsspiel. Gegen Serbien und Montenegro setzte es eine 26:28-Niederlage. Im Anschluss wurde Deutschland Europameister. An irgendetwas muss sich ja geklammert werden...

Die deutsche Gruppe C im Überblick