"Lasst den Mann gesund werden!"

Martin Kaymer genießt bei der BMW International Open eines seiner seltenen Heimspiele
© getty

Martin Kaymer genießt in dieser Woche bei der BMW International Open im Golfclub München Eichenried eines seiner seltenen Heimspiele in Deutschland. SPOX traf den zweimaligen Major-Champion zum Interview. Darin erklärt Kaymer ausführlich, warum er im Fall von Tiger Woods so emotional reagierte und erneuert seine Gesellschaftskritik eindrücklich. Außerdem verrät er, was er in seiner Karriere noch erreichen muss, damit er eigentlich aufhören kann.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Es ist jetzt zehn Jahre her, dass wir uns beim Scandinavian Masters in Schweden zum ersten Mal richtig getroffen haben. Damals hätten Sie fast Ihren ersten Sieg auf der Tour geholt.

Martin Kaymer: Oh ja, aber ich habe dann mit einem Doppel-Bogey aufgehört und bin hinter Mikko Ilonen Zweiter geworden. Bitter. (lacht)

SPOX: Wenn wir uns die zehn Jahre seitdem anschauen: Zwei Major-Titel, eine Players Championship, Nummer eins der Welt, mehrere Ryder-Cup-Triumphe inklusive Siegputt beim größten Comeback aller Zeiten. Eine ganz okaye Bilanz, oder?

Kaymer: Ich würde sagen, meine Karriere war ganz gut bisher, ja. (lacht) Die Major-Titel waren natürlich extrem wichtig. Wenn man auf eine Karriere zurückschaut, dann geht es in erster Linie darum, wie viele große Titel du gewonnen hast bei Majors, der Players oder den World Golf Championship Events. Und wie oft du den Ryder Cup gespielt und gewonnen hast natürlich. So gesehen waren die ersten zehn Jahren ganz gut. Mal schauen, was die nächsten zehn so bringen.

SPOX: Ihr letzter Sieg war der US-Open-Titel 2014. Auch wenn es wohl keinen Sport gibt, in dem es so schwierig ist, konstant zu gewinnen, wenn man damals so dominant eine US Open gewinnt, denkt man wahrscheinlich schon, dass in den nächsten Jahren weitere Siege folgen werden. Auch wenn Sie nicht weit weg scheinen, sind aber keine Siege mehr gekommen. Wie leicht fällt es, dadurch nicht frustriert zu werden?

Kaymer: Der Punkt ist, dass du im Golf keine Siege erzwingen kannst. Egal, wie sehr du es willst, es funktioniert einfach nicht. Du musst wirklich warten, bis die Chancen kommen und dir diese Chancen durchs Training erarbeiten. Da ist deine eigene Geduld gefragt. Ich baue mir keinen Druck auf, unbedingt gewinnen zu müssen. Ich weiß aus Erfahrung, dass ich mich darauf fokussieren muss, weiter durchzuziehen und immer weiter an mir und meinem Spiel zu arbeiten. Und dann musst du auch mal das Glück haben, gerade in der Major-Woche deine beste Leistung abrufen und die Chance nutzen zu können, wenn du am Ende vorne dran bist. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen von anderen Leuten oder von vielen Meinungen, ob ich diese hören möchte oder nicht. Ich muss schauen, was mittel- und langfristig wichtig für meine Karriere ist.

SPOX: Bei der US Open sah es zwei Tage lang richtig gut aus, ehe Sie ein enttäuschender Moving Day zurückwarf. Wie viel Spaß hat es gemacht, an den ersten beiden Tagen mit Dustin Johnson und Jordan Spieth im US-Open-Champion-Flight zu spielen?

Kaymer: Bei DJ und Jordan lief es ja nicht ganz wie gewünscht, aber gerade bei Dustin war es auch schwer. Er war gerade zum zweiten Mal Vater geworden und musste nach Erin Hills hetzen. Da ist es schon nachvollziehbar, dass er mal den Cut verpasst hat. Generell war es cool mit den beiden Jungs, ich habe ja schon einige Male mit ihnen gespielt. Ich spiele immer gerne mit Spielern, bei denen du weißt, dass sie grundsätzlich eine sehr solide Leistung bringen. Das zieht dich dann immer ein bisschen mit, was ich auch zwei Tage lang gut gemacht habe, danach leider nicht mehr so ganz. Die Atmosphäre in Erin Hills war extrem gut, der Platz liegt für mich irgendwo zwischen Whistling Straits und Pinehurst. Das Scoring war natürlich extrem gut. Wenn ich sehe, dass Brooks Koepka mit 16 unter Par gewonnen hat, finde ich das schon immer ein bisschen krass. Ich finde es schöner, wenn Par eine gute Runde ist und man mit vier unter die US Open gewinnen kann.

SPOX: Erin Hills ist ja ein ziemlich neuer Golfplatz. Wenn Sie mal einen Platz designen können, welche Charakteristiken müsste dieser denn unbedingt haben?

Kaymer: (lacht) Alles geht nur von links nach rechts. Jedes Loch muss mit einer schönen Links-Rechts-Kurve gespielt werden. Ich würde mir die 18 schönsten Löcher zusammenstellen von allen Plätzen, die ich weltweit jetzt schon gespielt habe, und versuchen, daraus einen coolen Platz zu bauen. Ich würde auf jeden Fall darauf achten, dass es ein Par-72-Kurs ist und dass es mit einem Par-4 losgeht, bei dem es etwas bergab geht. Damit die Amateure den Ball erstmal fliegen sehen können. Das erste Loch sollte relativ einfach sein, um in die Runde reinzukommen. Im Moment ist die Zeit dafür noch nicht da, aber irgendwann würde mir das viel Spaß machen, einen Golfplatz zu designen. Vielleicht so ein Zwischending aus Pinehurst und Valderrama, das wäre ziemlich cool.

SPOX: Sie sind jetzt 32 Jahre alt und haben zwei Majors auf dem Konto. Seve Ballesteros und Phil Mickelson haben jeweils 5, Nick Faldo 6. Ist es ein Ziel, vielleicht bis 40 in diese Region zu kommen?

Kaymer: Ich würde eher sagen: Wenn du alle vier Majors gewonnen hast, kannst du eigentlich aufhören. Du spielst dann natürlich noch weiter, weil es Spaß macht und deine Liebe und Leidenschaft ist, aber ich glaube, es würde dann sehr sehr schwierig, sich noch neue Ziele zu stecken. Wenn es soweit kommen sollte und ich es wirklich schaffen würde, auch das Masters und die British Open noch zu gewinnen, hätte ich eigentlich alles erreicht, was man im Golf nur irgendwie erreichen kann. Inklusive der Nummer eins der Welt und allem, was noch dazu kommt. Aber das ist noch ein ganz langer Weg. Zwei Majors zu gewinnen, war schon schwer.

SPOX: Sie haben die Nummer eins der Welt gerade kurz erwähnt. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu dieser Position im Lauf der Jahre verändert?

Kaymer: Es ist sehr beeindruckend und ein sehr cooles Gefühl, die Nummer eins der Welt zu sein, keine Frage. Egal, wohin du gehst, egal, wen du in der Stadt triffst, du weißt immer: Hey, es gibt in deiner Sportart keinen, der besser ist als du. Das ist schon ein cooles Gefühl. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein sehr einsames Gefühl, weil du nicht mehr so recht weißt, wo es noch hingehen soll und eine andere Motivation finden musst. Umso beeindruckender war es für mich, wie unfassbar lange Tiger an der Spitze stand.

SPOX: Jason Day hat vor einiger Zeit erzählt, wie es ihn vor allem mental geschlaucht hat, mit den Anforderungen einer Nummer eins fertig zu werden.

Kaymer: Ich kann ihn da schon sehr gut verstehen. Das Problem ist, dass du ganz anders angenommen wirst als Nummer eins der Welt. Menschen reagieren anders auf dich als Person, auch Freunde und Bekannte nehmen dich anders wahr. Das merkst du dann natürlich, aber verstehst viele Situationen nicht, gerade wenn man erst 25 Jahre alt ist, wie es bei mir der Fall war. Du kommst in einen Nachtclub in Florida oder L.A. und kriegst sofort einen Tisch, alles ist umsonst. Das fühlt sich komisch an. Du musst als Mensch erstmal lernen, damit umzugehen.

SPOX: In den vergangenen Jahren gab es vergleichsweise viele Wechsel an der Spitze der Weltrangliste. Dazu kommt mit Brooks Koepka der siebte First-Time-Major-Winner in Folge. Glauben Sie, dass dieser Trend bei der British Open anhält?

Kaymer: Das ist eine gute Frage. Es kann alles passieren, das ist gerade das Spannende im Golf. Es ist nicht so wie vielleicht in den 80er und 90ern, als zehn, zwölf Spieler für den Sieg infrage kamen, jetzt sind wir bei 50 oder 60. Bei allem Respekt vor Brooks Koepka, wer hätte gedacht, dass er jetzt in Erin Hills gewinnt? Er ist ein guter Spieler und hatte schon viele gute Turniere gespielt, aber viele hatten ihn sicher nicht auf dem Zettel. Aber das macht es so faszinierend, auch bei der British Open kann wieder alles passieren. Da die drei Majors im Sommer so nahe zusammen liegen, hast du da auch immer eine super Chance ziemlich gut abzuräumen, wenn du es schaffst, genau in dieser Zeit auf dem Höhepunkt deines Spiels zu sein.

SPOX: Als die British Open 2008 zum letzten Mal in Birkdale war, gewann Padraig Harrington mit drei über Par. Sie schafften zwar den Cut, lagen am Ende aber 23 über.

Kaymer: Das war ein ganz krasses Turnier damals. Wir hatten so viel Wind, es war extrem schwer. Der Platz an sich war super spielbar und wäre ohne Wind kein Problem gewesen, aber wir wissen ja, was passiert, wenn es auf der Insel mal richtig bläst. Dann wird es eine richtige Challenge. Es war ja Harringtons zweiter Open-Sieg in Folge damals, ich kann mich gut an den Platz erinnern. Gerade hinten raus, 15, 16, 17, war es schön schwer. Da geht es dann wirklich nur darum, Fairways und Grüns zu treffen und auf deine Chancen zu warten. Da musst du dann auch mal akzeptieren, dass du ein Holz 3 in ein Par-4 reinschlägst, oder vielleicht sogar nicht hinkommst. Du wirst Bogeys machen, das weißt du. Was natürlich eine völlig andere Denke ist als bei den regulären Turnieren wie jetzt in Eichenried, bei denen es nur um Birdies geht. Das ist dann eine große Umstellung und vor allem eine Kopfsache.

SPOX: Über Ihre Karriere gesehen lief es bei der British Open immer dann für Sie gut, wenn diese in St. Andrews war, ansonsten kann man es als durchwachsen bezeichnen. Was haben Sie über die Jahre über die Anforderungen einer British Open gelernt?

Kaymer: Bei einer British Open geht es noch mehr darum, dass du dich in Position bringen musst. Und du musst ehrlicherweise ein bisschen Glück mit dem Draw haben. Früh-Spät oder Spät-Früh - das kann schon einen großen Unterschied machen bei den Tee-Times. Wenn die Chance kommt, musst du auf jeden Fall aggressiv nach vorne spielen. Auf defensive Art und Weise wirst du den Sieg nicht nach Hause bringen. Grundsätzlich gibt es kein Major, bei dem so viel passieren kann, weil so viel vom Wetter abhängt. Deshalb ist es für mich aber auch das beste Turnier, um es vorm Fernseher anzuschauen.

SPOX: Wer auch in Birkdale wieder nicht dabei sein wird, ist natürlich Tiger Woods. Sie haben durch Ihr Video, in dem Sie ihn nach seiner Verhaftung verteidigten, viel Aufsehen erzeugt. Warum waren Sie so leidenschaftlich? Warum mussten Sie das unbedingt loswerden?

Kaymer: Ich hatte am Morgen vorher das Video gesehen, das die Polizei veröffentlicht hatte. Ich frage mich bis heute: Nur weil es Tiger Woods ist, wird es veröffentlicht? Nur weil es Tiger Woods ist, machen sich Leute lustig darüber? Weil viele Leute dadurch bekannter werden wollen, vielleicht die Polizisten, vielleicht das Palm Beach Police Department, oder wie das heißt. Der Respekt ist gar nicht mehr da. Der Respekt vor einem Mann, der den kompletten Golfsport verändert hat. Der Menschen beeinflusst und zu unserem Sport gebracht hat, wie es Muhammad Ali im Boxen gemacht hat. Das sind ganz spezielle Typen, die ihren Sport verändert und weiterentwickelt haben. Die Millionen von Menschen beeindruckt und inspiriert haben. Ich finde, dass da ein bisschen mehr Respekt angebracht wäre für diese Leistung, die nicht nur auf die sportlichen Erfolge reduziert werden kann. Es geht um das große Ganze. Es geht da auch gar nicht so sehr um Tiger Woods, es geht um den Menschen dahinter. Ich fand es so bitter, wie über ihn gesprochen wurde. Zwei Tage vorher hätten die Leute noch ein Foto mit ihm machen wollen und damit bei ihren Freunden angegeben. Aber dann wurde draufgehauen, obwohl es demjenigen echt schon schlecht geht. Ich habe jetzt keine riesige Reichweite in meiner Position und war ein bisschen beeindruckt von der Resonanz der Menschen auf mein Video. Jeder sollte einfach mal darüber nachdenken, ob es alles so richtig ist, wie das abgelaufen ist.

SPOX: Hat es auch etwas mit Ihrem guten Verhältnis zu ihm zu tun? Sie haben immer erzählt, dass er sehr höflich Ihnen gegenüber war und auch zu jedem Erfolg gratuliert hat.

Kaymer: Tiger respektiert Erfolg. Wenn jemand etwas besonders gut gemacht hat, dann respektiert er diese Leistung, kommt auf dich zu und gratuliert dir. Aber nochmal: Er hat 14 Majors gewonnen und einen solchen Einfluss auf die ganze Sportart gehabt, lasst den Mann doch in Ruhe wieder gesund werden. Helft ihm. Und wenn Ihr ihm nicht helfen wollt, dann lasst ihn in Ruhe. Ich kann es nicht ertragen, wenn auf jemanden draufgehauen wird, der schon am Boden liegt. Dazu kam, dass ich bei den Anschlägen, die um uns herum in Paris oder London passieren, auch nochmal mehr über diese Dinge nachgedacht habe und Gefühle in mir hochgekommen sind. Ich wollte es eigentlich gar nicht veröffentlichen. Ich lag im Bett und habe fast schon gepennt, als mir diese Gedanken kamen. Ich wollte es dann eigentlich mehr für mich selbst sagen und loswerden. Es war mir wichtig und vielleicht konnte ich damit den einen oder anderen Jugendlichen abholen, auch wenn es nur für eine Minute ist.

SPOX: Glauben Sie, dass Tiger nochmal zurückkommt?

Kaymer: Wir nehmen uns alle das Recht heraus, darüber zu spekulieren, aber wir sollten den Mann einfach gesund werden lassen. Für Golf, für uns alle wäre es toll, wenn er wieder spielen würde, aber er hat im Moment ganz andere Probleme. Wir können über seinen Gesundheitszustand nur spekulieren.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema