Siem: "Dann wäre ich Rennfahrer geworden"

Von Interview: Florian Regelmann
Marcel Siem gewann 2004 die Dunhill Championship - sein bislang einziger Sieg auf der Tour
© Getty

Marcel Siem liegt in der Weltrangliste aktuell 269 Plätze hinter dem drittplatzierten Martin Kaymer, hätte aber eigentlich das Potenzial für die Top 50. Aktuell kommt der 30-Jährige wieder besser in Form, schwankt aber weiterhin zwischen Genie und Wahnsinn. Siem über seine Kritiker, den USA-Traum und Rundenrekorde.

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SPOX: Herr Siem, erst einmal noch herzlichen Glückwunsch. Sie sind seit unserem letzten Interview Daddy geworden. Wie läuft's?

Marcel Siem: Vielen Dank. Die Sache ist, dass ich bei einem Beruf, wie ich ihn habe, die Kleine nicht so oft sehe. Dann sind es immer so Riesensteps, die man sieht. Die ganze Entwicklung bekommt man leider nicht mit, wenn man so viel reist. Es war schön, dass sie jetzt in München dabei war, aber auch da habe ich sie teilweise nicht viel gesehen. Sie ist um 19 Uhr ins Bett gegangen und wenn ich aufgestanden bin, war sie gerade beim Stillen und hat dann wieder geschlafen (lacht). Ich denke aber, wenn sie mal größer ist und reden kann, wird die Beziehung noch intensiver.

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SPOX: Was hat sich alles verändert?

Siem: Es verändert sich schon alles. Man wird disziplinierter, weil man eben ein bisschen mehr Verantwortung trägt als vorher. Ich gehe zum Beispiel in meinem normalen Leben jetzt auch nicht mehr so viel Risiko ein, fahre nicht mehr so schnell Auto.

SPOX: Und auf dem Platz? Beruhigt Sie der Gedanke an die Kleine da auch?

Siem: Schon. Wenn es ganz schlimm wird, dann hilft es aber auch nicht mehr. Wenn ich ein Triple-Bogey mache, vergesse ich es teilweise noch, um ehrlich zu sein. Ich muss einfach frühstmöglich an sie denken, dann kriege ich ein Lächeln ins Gesicht.

SPOX: Einen zu ruhigen Marcel Siem will man sich auf dem Platz auch gar nicht vorstellen. Ihre Spielweise bleibt schon weiter aggressiv, oder?

Siem: Absolut. Golf macht mir keinen Spaß, wenn ich defensiv spiele. Gesunde Offensive ist das Ziel.

SPOX: Damit das klappt, arbeiten Sie wieder mit Günter Kessler zusammen und haben ein bisschen am Schwung gefeilt.

Siem: Richtig. Es ist aber keine Riesenumstellung. Es ist vielmehr ein Arbeiten an der Stabilität. Mein Problem war, dass ich im Rückschwung nach rechts gewankt bin. Ich hatte mal sehr gute Tage, aber auch sehr schlechte. Im Endeffekt will ich erreichen, dass mein Spiel stabiler wird und die schlechten Runden nicht mehr so schlecht sind.

SPOX: Vor einem Jahr hatten Sie auch noch einen langen Putter und wollten erst wieder wechseln, wenn Sie ein Turnier gewonnen haben. Sieht aber dann doch besser aus mit dem kurzen...

Siem: (lacht) Ganz ehrlich, ob kurz oder lang ist im Grunde vollkommen egal. Ich putte mit dem kurzen sehr gut, es fühlt sich richtig und besser an. Ich glaube auch, dass ich mit dem kurzen Putt in baldiger Zeit ein Turnier gewinnen werde. Mein Spiel ist wieder richtig gut geworden, sehr solide.

SPOX: Bei der US Open haben Sie ja auch zuletzt mal eine 66 geschossen. Sie wurden von manchen kritisiert, dass Sie die Top 8 als Ziel ausgaben. Verwundert Sie es nicht auch, dass man für seinen Ehrgeiz kritisiert werden kann?

Siem: Was hätte ich sagen sollen? Dass ich in die Top 50 kommen will? Das ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Ich glaube auch nicht, dass es hochnäsig oder unrealistisch ist. Aber es gibt eben immer Leute, die etwas sagen müssen. Weil sie vielleicht gerade Druck ablassen und mir eine mitgeben müssen, keine Ahnung. Es ist schade, dass einige so reagieren. Fakt ist, dass ich mir solche Kommentare nicht durchlesen darf.

SPOX: Wenn Sie öfter bei Majors dabei sind und in die Top 50 der Welt vorstoßen, werden diese Leute schnell verstummen.

Siem: In die Top 50 zu kommen, ist mein Riesenziel. Es ist aber nicht einfach. Es wird immer schwerer, es zu schaffen, weil die Spieler immer besser werden. Man muss Turniere gewinnen, dann kann es auch recht schnell gehen.

SPOX: Was ist der Schlüssel, damit Sie es packen?

Siem: Für mich ist es wichtig, meinen Weg zu gehen. Ich hatte in letzter Zeit so einige Runden, bei denen ich tiefe Scores hätte schießen können, es ist aber nicht für mich gelaufen. Du brauchst einfach mal ein paar Wochen, in denen die Dinge deinen Weg gehen. Glück und Pech wechseln sich auf der Tour übers Jahr gesehen ab - entscheidend ist, dass man in seinen "Glückswochen" es sich nicht durch andere Sachen versaut. Man muss geduldig bleiben. Das habe ich gelernt.

SPOX: Sie sind zwar schon lange auf der Tour, aber auch immer noch erst 30 Jahre alt.

Siem: Ich denke, dass meine besten Jahre noch vor mir liegen. Ich habe bei der US Open jetzt wieder reingeschnuppert, aber das reicht mir nicht. Ich möchte unbedingt in die Top 50, ich möchte alle Majors spielen, ich möchte alle World-Golf-Championship-Events spielen. Und das so schnell wie möglich. Es sind ja nicht andere Spieler dort, es sind die gleichen Spieler, mit denen ich sonst auch am Tee stehe. Ich habe keine Angst vor den Jungs.

SPOX: Wäre denn sowohl spielerisch als auch vom Typ her die US-Tour nicht für Sie das Beste?

Siem: Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Die Plätze sind länger, die Grüns sind härter - das liegt mir viel, viel mehr. Ich würde den Schritt gerne machen, nur muss man dafür erst einmal in Europa ein Turnier gewinnen. Das Gute ist, dass ich durch den geschafften Cut bei der US Open sofort in der 2nd Stage der Qualifying School in den USA bin, ich denke auf alle Fälle darüber nach. Es wäre mein Traum, da drüben zu spielen, auch wenn es nur für ein oder zwei Jahre wäre. Weil es dort jede Woche mehr Weltranglistenpunkte gibt, wäre es auch einfacher, in die Top 50 zu kommen. Mal schauen.

SPOX: In den USA kommen Sie auch als Typ sehr gut an, das hat man bei der US Open deutlich gesehen.

Siem: Die gehen gut ab, das stimmt. Das gefällt denen, wenn jemand ankommt, der einen Pferdeschwanz hat, die Kugel weit haut und ein bisschen Emotionen zeigt.

SPOX: Die USA werden für Sie in jedem Fall ein Thema, weil Sie im Winter erstmals dort trainieren werden. Was sind die Gründe für diesen Schritt?

Siem: Ich habe im Winter alles ausprobiert, ob es Mallorca oder Dubai war. Dubai ist nicht schlecht vom Standard, aber da fühle ich mich nicht richtig wohl. Da kann man außer Golf spielen auch dann nichts machen. Deshalb werde ich mir diesen Winter in Florida ein Haus mieten.

SPOX: Noch einmal kurz zurück zur US Open. Was sagen Sie denn zur Performance von Rory McIlroy?

Siem: Hut ab. Das war richtig stark. Er hat es auch verdient. Es waren ein paar gemeine Stimmen dabei, die quasi darauf gehofft haben, dass er wie beim Masters einbricht und dann nie mehr ein gutes Major spielen wird. Denen hat er es gezeigt. Es freut mich tierisch für ihn. Er ist ein grandioser Spieler und ein guter Junge, er tut dem Golfsport und uns allen gut.

SPOX: Und jetzt reden alle schon davon, dass vielleicht nicht Tiger, sondern er einmal den Major-Rekord von Jack Nicklaus (18 Titel) brechen könnte. So schnell geht das.

Siem: Das wird schwer. Es ist nicht mehr so "einfach" wie früher. Die Dichte ist viel größer. Tiger würde heute auch nicht mehr so dominieren, wie er das mal getan hat. Auch nicht, wenn er nicht seine Probleme bekommen hätte. Klar wäre er noch die Nummer eins, aber er hätte die Dinger nicht mehr in Serie gewonnen, das glaube ich nicht.

SPOX: Letzte Frage: Wenn Marcel Siem kein Golf-Profi geworden wäre, dann...

Siem: ... wäre ich Rennfahrer geworden. Definitiv. Ich fahre sehr gut Go-Kart und halte bei uns in der Gegend auch einige Rundenrekorde. Rennfahrer wäre ein Traum gewesen, ich bin dafür ja nur ein bisschen groß. Oder Tischtennis-Profi, das hätte auch noch eine Alternative dargestellt.

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