Tiger, hör auf zu heulen!

Von Florian Regelmann
Tiger Woods verpasste bei den US Open in Pebble Beach seinen 15. Major-Sieg
© Getty

Der US-Open-Sieger 2010 heißt Graeme McDowell. Aus mehreren Gründen eine gute Nachricht. Erstens hatte 40 Jahre lang kein Europäer mehr die US Open gewonnen, zweitens ist es ein schönes Statement im Hinblick auf den Ryder Cup - und drittens ist der Nordire einfach ein sympathischer Junge. Die US Open in der Zusammenfassung.

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10. Der Lässigkeits-Award: Es gibt coole Spieler, es gibt saucoole Spieler - und es gibt Ryo Ishikawa. Der Japaner war drei Tage lang ganz vorne auf dem Leaderboard zu finden, bevor er am Finaltag mit einer 80 einbrach und aus den Top 30 fiel, aber die Zukunft gehört ihm trotzdem.

Ein 18-jähriger Popstar mit extrem elegantem Schwung, der in Japan schon haufenweise Turniere gewonnen und in diesem Jahr schon eine 58 gespielt hat. Der auch mal ganz in pink spielt und dem eine Driver-Haube gehört, die so aussieht wie er - lässiger geht es kaum.

9. Die Story der Woche: Nach Runden von 77 und 81 Schlägen verpasste Erik Compton klar den Cut. Aber bei niemandem ist die sportliche Leistung so unerheblich wie bei Compton. Dass der 30-jährige US-Boy überhaupt zum ersten Mal die US Open spielen konnte, ist ein Glück. Dass er überhaupt lebt, ist das noch viel größere Glück.

Seine Geschichte: Er spielt mit einem Herz von jemand anderem. Sein eigenes Herz stellte den Betrieb ein, als er zwölf Jahre alt war. In Miami wurde sein Herz durch ein Spenderherz eines 15-jährigen Mädchens namens Jannine ersetzt. Sie war bei einem Autounfall von einem betrunkenen Fahrer getötet worden. 16 Jahre lang schlug Jannine in Erik, dann kam Isaac.

Ein Volleyballspieler von der Universität von Dayton, der ebenfalls von einem Auto überfahren wurde. Der Fahrer beging Fahrerflucht. Compton hat sich schon mehrere Male von seiner Familie und Freunden verabschiedet, weil er glaubte, dass es das nun gewesen sei für ihn. Aber er lebt. Compton, Jannine und Isaac spielten gemeinsam in Pebble Beach.

8. Wann, Phil? Wann? Fünfmal ist Phil Mickelson bei den US Open schon auf Rang zwei gelandet, dazu kommen unzählige weitere Top-Resultate. Auch dieses Mal war "Phil the Thrill" wieder kurz davor, seinen Kindheitstraum zu erfüllen, aber es sollte wieder nicht sein. Seine 66 in Runde zwei war genial, aber am Wochenende war Mickelson gerade im Vergleich mit McDowell nicht konstant genug und leistete sich zu viele Fehler.

Es war wieder eine vergebene Chance für Lefty. Aber er sorgte auch wieder für beste Unterhaltung. Ein Beispiel: Sein Schlag von herumliegenden TV-Kabeln. Das hatte die Welt so auch noch nicht gesehen. Ist eben Phil.

7. Spaß mit Martin und Alex: Zwei Deutsche bei einem Major unter den Top 10, da muss man sich erst mal kneifen. Was Martin Kaymer und Alex Cejka in Pebble Beach zeigten, hat richtig Spaß gemacht. Auf der einen Seite ist es nicht so überraschend, weil beide mit ihrem konstanten und akkuraten langen Spiel wie gemacht sind für eine US Open, aber auf der anderen Seite hatte sich so eine Leistungsexplosion zuletzt eben nicht wirklich angedeutet.

Vor allem Kaymer hatte eine Phase, in der er zum ersten Mal in seiner Karriere arg mit seinem Schwung zu kämpfen hatte, aber diese hat er nun offenbar gut überstanden. Nimmt man die drei ärgerlichen Doppel-Bogeys raus, die er drin hatte, wäre Kaymer als Sieger vom Platz gegangen. Auch auf die Gefahr hin, dass es zum Running-Gag wird: Es ist und bleibt nur eine Frage der Zeit, bis er ein Major gewinnt.

6. TV-Kritik: Das einzige, was den Spaßfaktor beim Verfolgen der beiden Deutschen noch hätte erhöhen können, wäre gewesen, dass sie auch mal im Bild gewesen wären. Was das amerikanische Fernsehen regietechnisch so drauf hat, hat es in der Finalrunde eindrucksvoll bewiesen: nichts.

Kein Mensch hat was gegen Angel Cabrera, Sergio Garcia und Co., aber sie hatten in der Übertragung nichts verloren. Das Krasseste: Kaymer ist in der Golf-Welt ja schon lange kein Niemand mehr, er ist die Nummer elf der Welt. Den könnte man eigentlich schon mal länger zeigen...

5. Kopf hoch, Dustin: Drei Tage lang hatte Dustin Johnson wie von einem anderen Stern gespielt. Pebble Beach schien ihm zu gehören. Zweimal hatte er schon in Folge das reguläre Tour-Event  hier gewonnen, jetzt war er auf dem Weg zu seinem ersten großen Triumph.

Er erreichte Par-4s mit seiner unglaublichen Power mit einem Eisen 4 in einem Schlag, er bombte seine Drives aufs Fairway, als ob es nichts wäre - und er tat dies alles in einer Seelenruhe, die einen glauben ließ, dass er bald gar keinen Puls mehr hat. Diese Leistung gepaart mit dem Fakt, dass Johnson kein Nobody ist, sondern anerkanntermaßen ein kommender Superstar, führte dazu, dass sich kaum jemand vorstellen konnte, dass er in der Finalrunde explodieren würde.

Tja, falsch gedacht. Es war einfach nur grauenvoll mitanzuschauen, wie Johnson sich selbst zu Grunde richtete. Triple-Bogey an der 2, Doppel-Bogey an der 3, Bogey an der 4 - nach 7 Löchern lag Johnson 7 über Par für die Runde. Und die ersten sieben Löcher sind bekanntlich die leichteren in Pebble Beach. Man konnte richtig sehen, wie sich alles in seinem Kopf drehte.

An der 4 wurde sein Ball 19 Sekunden nach der 5-Minuten-Marke gefunden, es war ein einziges Drama. Selbst die TV-Kommentatoren waren so geschockt, dass sie Dustin Johnson einmal zu "Dustin Hoffman" machten. Am 22. Juni wird Johnson 26 Jahre alt. Ein Tipp: Dustin, betrink dich und versuche, irgendwie zu vergessen, was da passiert ist. Die nicht neue Erkenntnis von Johnsons Leiden: Golf ist der unfassbarste Sport der Welt.

4. Der gute Tiger: Die dritte Runde hatte gerade angefangen, da war man als Zuschauer schon kurz davor, mit Tiger zu brechen. Bogey an der 2, Bogey an der 3, sechs über Par fürs Turnier. Der Gedanke: Ach, Tiger, das wird doch eh nichts mehr. Aber dann transformierte sich Woods für den Rest der Runde urplötzlich in sein altes Ich und spielte absolut atemberaubendes Golf.

31 Schläge auf den schweren zweiten neun Löchern (acht Schläge besser als der Schnitt an Tag 3) führten zu einer blitzsauberen 66. Besonders Tigers zweiter Schlag um den Baum herum an der 18 war legendär. Die Masse johlte und irgendwie war es schon schön, den alten Tiger wieder zu haben.

3. Der schlechte Tiger: Es ist unverkennbar, dass Tiger auf dem Weg zurück zu alter Stärke ist, aber was er sich auch in Pebble Beach zwischendurch wieder für bodenlos schlechte Schläge leistete, war ebenfalls bemerkenswert. Da waren Hooks dabei, bei denen selbst ein Handicap-20-Spieler stöhnen würde.

Wie auch immer: Dass es am Ende nicht zum Sieg gereicht hat, ist erstens nicht verwunderlich, weil er ja noch nie ein Major von hinten gewonnen hat. Und zweitens sind ja sowieso die Grüns Schuld, gell Tiger! Viel peinlicher als schlechte Schläge war die Art und Weise, wie sich Tiger in Pebble Beach wie ein Baby hinstellte und die Grüns beleidigte.

"Schrecklich" seien die, sagte Herr Woods. Er heulte rum wie Cristiano Ronaldo auf dem Fußballplatz. Mickelson bezeichnete dagegen seine Putting-Künste als "schrecklich", so sind die Unterschiede. Gerüchten zufolge sollen die Grüns den Herrn Woods auch nicht leiden können. Beruht also auf Gegenseitigkeit.

2. Eine Liebeserklärung: Pebble Beach, ach bist du schön. Es kann unmöglich einen schöneren Platz auf dieser Welt geben. Die Bilder, die man vier Tage lang sehen durfte, waren ein Traum. Die Löcher an der Pazifikküste entlang sind nicht zu schlagen.

Unvergessen wird vor allem das Bild bleiben, wie Ernie Els in der Finalrunde auf allen Vieren die Böschung heraufkraxelte, nachdem er seinen Ball gesucht hatte. Dazu die mörderische 14, an der so einige Spieler ihr Waterloo erlebten. Dazu war es ein absolut fairer Test, der von den Spielern alles abverlangte. Der aber auch jeden belohnte, der gutes Golf spielte.

Wie ist es sonst zu erklären, dass die Nummer 391 der Welt das Turnier als Zweiter abschloss? Und der dann auch noch Franzose ist. Respekt vor Gregory Havret. Jeder erwartete, dass er an der Seite von Tiger jämmerlich eingehen würde, aber dann ging eher Woods an der Seite von Havret ein. Wahnsinn. Wir freuen uns schon auf die nächsten US Open in Pebble Beach. Dauert aber noch. Bis 2019.

1. Graeme, Du hast es verdient: Wenn man sich in der Szene umhört und nach einem sympathischeren Spieler als Graeme McDowell fragt, wird man fast immer die gleiche Antwort bekommen: "Gibt es nicht." Den 30-jährigen Nordiren muss man mögen. "This is fun", sagte McDowell mit einem verschmitzten Grinsen in die Kameras, als er das 18. Fairway entlang lief, nur um später von seinem Daddy Ken zu erzählen und einzugestehen, dass er ja jetzt doch etwas nervös gewesen sei. Herrlich.

Der Kerl ist aber nicht nur nett, er ist in erster Linie mal ein grandioser Golfspieler. In fünf der letzten sechs Majors hatte er sich in den Top 20 platziert und vor den US Open erklärt, dass er sich bereit fühle für den großen Sieg. Es ist ein Sieg, der sich also schon ein bisschen angedeutet hat. McDowell ist kein One-Hit-Wonder.

Wer nach 72 Löchern bei den US Open als einziger Spieler nicht über Par liegt, wer kein einziges Desaster (kein Doppel-Bogey) auf seiner Scorekarte hat, wer so clever spielt und so nervenstark viele Tester auf den Grüns locht, der hat völlig zurecht gewonnen.

Endlich ein Europäer: McDowell gewinnt die US Open