Ilja Kaenzig vom VfL Bochum im Interview: "Damals dachte niemand, Investoren seien böse"

Ilja Kaenzig ist seit Februar 2018 beim VfL Bochum.
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SPOX: Im November 2006 ging es für Sie an der Leine zu Ende. Was waren die Gründe?

Kaenzig: Die Ergebnisse und die Entwicklung des Klubs waren mehr als in Ordnung, unter Peter Neururer ging es eher nach oben als nach unten. Er merkte aber, dass der Klub nicht weiter würde investieren können. Das Präsidium entschied, ihn durch Dieter Hecking zu ersetzen. Es war aufgrund der hektischen Medienlandschaft teils auch ermüdend. Das war eine Zeit permanenter Veränderung und irgendwann war klar, dass man nicht ständig das Personal austauschen kann und man selbst an seinem Stuhl klebt. Dieter Hecking wollte neue Strukturen schaffen. Der Wechsel musste letztlich einfach stattfinden.

SPOX: Anschließend bekleideten Sie zwischen 2007 und 2010 keinen Job mehr in der ersten Reihe des Profifußballs.

Kaenzig: Ich bin zurück in die Schweiz und hatte dann eine richtige Idee zur falschen Zeit. Ich habe mich selbständig gemacht und die Firma "Boutique Football" gegründet, um interessierte Investoren und Klubs zusammenzuführen. Das ging alles gerade erst los, es gab damals nur eine Handvoll Investoren im Fußball. Allerdings war das Timing schlecht, denn 2009 kam es plötzlich zur Wirtschaftskrise. Die Massen an interessierten Investoren waren alle verschwunden und so hatte es keinen Sinn mehr. Heute ist es längst gang und gäbe, dass eine solche Dienstleistung auf dem Markt angeboten und gesucht wird.

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SPOX: 2010 wurden Sie Sportchef bei der auflagenstärksten Schweizer Zeitung Blick. Journalismus war Ihnen ohnehin nicht ganz fremd, oder?

Kaenzig: Stimmt, zwischen 1993 und 1999 habe ich regelmäßig für die Neue Zürcher Zeitung geschrieben. Es gab jeden Dienstag jeweils eine ganze Seite über den internationalen Fußball, zu der ich regelmäßig beigetragen habe. Die war hoch angesehen, da man diese Informationen fast nirgends bekam. Es war eine Ehre für mich, die NZZ gehörte damals zu den Top-5-Zeitungen weltweit.

SPOX: Beim Blick lag Ihr Fokus aber nicht auf dem journalistischen Aspekt.

Kaenzig: Genau, mein Job war kaufmännisch-organisatorisch orientiert. Damals wurde der erste Newsroom der Schweiz gegründet. Es ging darum, den Umzug vom alten, klassischen Modell in den Newsroom, in dem die einzelnen Zeitungen und Kanäle zusammenlaufen, zu strukturieren. Hinzu kam der kommerzielle Teil mit Events und der Entwicklung von Formaten im Zuge der aufkommenden Digitalisierung. Letztlich wurde aber der Ruf der Wildnis zu groß. Ich erhielt das Angebot, wieder in den Fußball zurückzukehren und bin dann Delegierter im Verwaltungsrat der Sport & Event Holding AG geworden, die das Schweizer Nationalstadion Stade de Suisse und die Young Boys Bern besitzt.

SPOX: Damals haben Sie noch ein jähes Ende der 50+1-Regel vorhergesagt. In Bezug auf 1860 München meinten Sie, dort könne zusammen mit einem Investor "Großes entstehen". Weshalb kam es anders?

Kaenzig: Damals gab es zunächst kaum jemanden, der dachte, dass Investoren schlecht oder böse seien. Man sah eine gewisse Anschubfinanzierung eher als Chance für viele Klubs, die es aus eigener Kraft nicht schaffen würden, nach oben zu kommen. Niemand hat damit gerechnet, dass dies zu einem Wettbewerb führen würde, der teilweise in ruinöse Richtung abdriftet und Investoren damit beginnen, sich komplett irrational zu verhalten.

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SPOX: Mittlerweile sind Sie ein Verfechter davon, die 50+1-Regel zu halten. Wie beurteilen Sie die Diskussionen innerhalb der Liga - es ging ja bereits sehr hitzig zu, wie der Konflikt zwischen Rettig und Karl-Heinz Rummenigge belegte?

Kaenzig: Wenn der FC Bayern feststellt, dass er mit dem FC St. Pauli überhaupt nichts mehr gemeinsam hat, dann ist das provokativ gesagt das Ende der Solidarität und der gemeinsamen Ligen. Dann bekommen wir eines Tages eine ähnliche Situation wie in England, wo nichts unterhalb der Premier League mithalten kann, respektive eine "Premier League 2" geschaffen werden könnte, womit die Ligen darunter endgültig abgekoppelt würden. Diesen Anfängen sollte man wehren, denn Deutschland ist das letzte verbliebene Fußballland, in dem sich die ersten beiden Ligen solidarisch gemeinsam vermarkten und alle Klubs dieselbe Stimme haben.

SPOX: Die landläufige Meinung zu Investoren im Fußball ist mitunter zwiegespalten. Sie sprachen die Entwicklungen in England an, die für viele auch ein Warnsignal bedeuten.

Kaenzig: Das stimmt. West Bromwich Albion, Birmingham City oder Aston Villa sind schlechte Beispiele. Andererseits gibt es auch einen Investor wie Maxim Demin beim AFC Bournemouth. Er taucht weder medial auf, noch redet er rein. Stattdessen setzt er auf seine Mitarbeiter, sorgt für höchste Kontinuität und investiert gezielt in Professionalisierung, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Infrastruktur. So führte er einen Abstiegskandidaten in der 3. Liga bis in die Premier League, wo man sich mittlerweile etabliert hat. Und dass als Kleinklub mit einem Stadion mit lediglich 11.000 Plätzen! Ein Fußballmärchen, das zeigt, dass es sehr wohl auch positive Beispiele gibt.

SPOX: Wie denkt man beim VfL über Investoren?

Kaenzig: Wir müssen uns klar darüber werden, wie die Investoren-Landschaft aussieht, was wir überhaupt wollen und wofür wir es wollen. Diese Fragen muss man gründlich klären, weil sie enorm komplex sind. Solange wir profitabel arbeiten, können wir immer unabhängig bleiben und müssen nicht unter Druck irgendwelche Investoren-Entscheidungen treffen. Genau dann ist es nämlich meist schief gegangen, wie man am Beispiel von 1860 sieht, wo man Hasan Ismaik nicht nach einer langen Suche ausgewählt hat, sondern weil es schon später als fünf vor zwölf war.

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SPOX: Wäre es für Sie vorstellbar, dass die 50+1-Regel zumindest derart gelockert wird, dass jeder Verein in Abstimmung mit seinen Mitgliedern selbst entscheiden kann, wie er die Investoren-Thematik für sich anwendet?

Kaenzig: Dann hat die eine Hälfte einen Investor und die andere nicht. Wenn ich dann beispielsweise ein kleinerer Zweitligist wäre, könnte ich sagen: Die 2. Liga reicht mir, ich werde schon irgendeinen Weg finden, dass jedes Jahr zwei Vereine schlechter sind. Wenn ich aber der VfL Bochum bin, gibt es für die Leute langfristig nur das Ziel Aufstieg. Wenn dann die Klubs vor uns alle einen Investor hätten und wir nicht, müsste man den Leuten sagen, dass sie sich daran gewöhnen sollen, in den nächsten zehn Jahren womöglich weiterhin in der 2. Liga zu spielen.