"Dortmund ist nicht unser Vorbild"

Alexander Zorniger geht in seine dritte Saison bei RB Leipzig. Bislang gelangen ihm zwei Aufstiege
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SPOX: Was muss passieren, damit man bei RB Leipzig im kommenden Sommer von einer erfolgreichen Saison sprechen wird?

Zorniger: Wir werden kein Platzierungsziel ausgeben. Für uns steht im Vordergrund, unsere Spielweise in diese Liga zu implementieren. Dann werden wir schauen, in welchen Bereichen wir nachjustieren müssen. Kommen wir mit unserem hohen Pressing in die Ballgewinne? Was kostet uns zu viele Körner? Welchen Einfluss wird der neue Wochenrhythmus ausüben? Das werden wir alles erst während des laufenden Spielbetriebs sehen.

SPOX: Sie gehen aber als Aufsteiger zumindest nicht davon aus, gegen den Abstieg zu spielen?

Zorniger: Darüber mache ich mir gar keine Gedanken. Wir werden ein bisschen Trial and Error machen - mit hoffentlich mehr Trial als Error (lacht). Ich gehe nicht davon aus, dass wir mit dem Abstieg etwas zu tun haben werden. Wir sind auf die erste Liga gepolt, aber genauso auch auf Entwicklung. Für manche unserer Fans wäre es mal ganz gut, wenn wir in der kommenden Saison mehr Negativerlebnisse zu verkraften hätten als im letzten Jahr. Das, was nämlich bisher passiert ist, ist nicht normal. Man muss der ganzen Geschichte noch mehr Demut entgegenbringen.

SPOX: Demut bei RB Leipzig? Da werden Ihre Kritiker aufschreien.

Zorniger: Ich weiß. Man wird sagen: Wie kann der Trainer von RB Leipzig von Demut sprechen, denen fehlt doch die Grunddemut vor dem Fußball! Diejenigen, die uns gegenüber so extrem kritisch sind, sollten sich jedoch mal fragen, ob sie diese Demut gegenüber dem Fußball im Allgemeinen haben - oder doch nur gegenüber ihren eigenen Vorstellungen.

SPOX: Es hat sich seit dem Einstieg von Red Bull gezeigt, dass man RB Leipzig entweder liebt oder hasst. Ist diese Bipolarität in Ihren Augen ein typisch deutsches Phänomen?

Zorniger: Zum einen, ja. Es heißt ja immer, wir Deutschen mäkeln an allem herum. Aber die wenigsten Kritiker beschäftigen sich wirklich ernsthaft mit der Materie und führen die "Kommerz-gegen-Tradition-Diskussion" viel zu oberflächlich.

SPOX: Das müssen Sie erklären.

Zorniger: In jeder Schicht und in jedem Alter ist Fußball der Deutschen liebstes Kind. Leicht verklärt hat sich bis heute immer noch das Bild der elf Freunde gehalten, die 1954 zusammen Weltmeister geworden sind - und das sollte heute bitteschön noch immer gelten. Wir als Verein machen großen Teilen der Bevölkerung aber klar, dass wir diesem Bild nicht entsprechen. Aber es sind eben nicht nur wir. Im heutigen modernen Fußball geht es um sehr, sehr viel Geld und daher ist sehr viel Doppelmoral in dieser ganzen Diskussion vorhanden! RB Leipzig wird von vielen Seiten auf den Faktor Geld, der mittlerweile unsere gesamte Gesellschaft bestimmt, reduziert.

SPOX: Ist das für Sie nicht nachvollziehbar?

Zorniger: Wir wollen niemandem etwas Böses. Wenn wir jemandem ein Stück von seinem Glauben nehmen, dann tut uns das leid. Wir können aber nicht bloß nach dem agieren, was andere hören oder sehen wollen.

SPOX: "Die anderen", das sind meist die sogenannten Traditionsvereine.

Zorniger: Ich weiß es aus eigener Erfahrung: Die politischen Entscheidungen in manchen - natürlich nicht allen - Traditionsvereinen sind ein massiver Hemmschuh für die Professionalität. Dort möchte jeder seinen Teil vom Kuchen behalten, jeder möchte auf seine Art wichtig sein. Ich dagegen stelle hier in Leipzig eine sportliche Notwendigkeit fest, spreche sie mit unserem Sportdirektor Ralf Rangnick ab und dann entscheiden wir ob Ja oder Nein. Fertig. Wir sind in dieser Hinsicht die Professionalität in Reinkultur.

SPOX: Leipzig ist die einzige Stadt mit mindestens 500.000 Einwohnern, in der in den vergangenen zehn Jahren kein Profifußball gespielt wurde. Damit dies möglich wurde, musste sich ein Investor engagieren. Warum ist das heutzutage mit "normalen" Mitteln nicht mehr möglich?

Zorniger: Ich glaube, dass dies schon noch möglich ist. Schauen Sie sich an, was beispielsweise Eintracht Braunschweig geschafft hat: Dort wurden mit übersichtlichen Mitteln die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt zusammengeschraubt - und das hat sehr gut funktioniert. So etwas gibt es heutzutage also schon noch, aber es ist einfach nicht mehr die Regel. Vor allem dann nicht, wenn man einen hohen Anspruch verfolgt.

SPOX: Glauben Sie, dass die Aversion gegenüber RB Leipzig geringer wird, wenn man sich mal über ein paar Jahre in der Bundesliga etabliert haben sollte?

Zorniger: Auch darüber machen wir uns keine Gedanken. Dieser Verein ist nicht deshalb gegründet worden, damit irgendwann mal alle jubelnd auf der Straße stehen. Das muss jedem hier klar sein. Das wird auch nicht passieren, selbst in den nächsten 15 Jahren nicht. Ich glaube aber, dass diejenigen, die in der Lage sind zu hinterfragen, was bei uns wirklich dahinter steckt, immer häufiger sagen werden, dass RB Leipzig ein Verein ist, den ich vielleicht nicht gutheißen muss, aber dafür akzeptieren kann.

SPOX: Wird RB Leipzig eines Tages als "normales" Mitglied im Profi-Fußball akzeptiert werden?

Zorniger: Das weiß ich nicht. Die Frage ist, ob dies überhaupt ein Ziel sein muss.

SPOX: Hoffenheim hat auch sehr polarisiert, wird jetzt von der Bundesliga aber nicht mehr so extrem wie anfangs bewertet.

Zorniger: Ich denke, dazu müssten wir aufsteigen, die derzeitige Aversionswelle überstehen und dann viele, viele Fehler machen - damit wir nicht mehr als Gefahr wahrgenommen werden. Wenn ich aber wie kürzlich eine Umfrage lese, nach der in den nächsten zehn Jahren RB Leipzig als größter Konkurrent des FC Bayern heranwachsen wird, dann ist das für mich einfach nur noch Wahnsinn.

SPOX: Wie reagiert denn das Team auf diese Aversionswelle und die externen Widerstände?

Zorniger: Sehr gut. Auf dem Platz haben uns diese Widerstände stärker gemacht, definitiv. Wir haben außerhalb von Leipzig festgestellt: Leiden kann uns niemand, aber sehen will uns jeder. Viele Vereine merken auch gar nicht, wie sehr der Hass auf uns ihre eigene Mannschaft schwächt. Da brüllen die Fans etwas von "Ihr macht unseren Sport kaputt", aber davon bekommen wir auf dem Platz doch kein Herzleiden. Die Aversion gegen uns geht ja fast schon so weit, dass die gegnerischen Fans ihre eigene Mannschaft schwächen. Die können uns am meisten damit schaden, wenn sie ihr eigenes Team anfeuern. Als Hansa Rostock letztes Jahr mit 6000 Anhängern zu uns reiste, war meine Mannschaft sehr davon beeindruckt, welche Power ein Fanblock entwickeln kann.

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