"Magaths Druckmittel ist das Spiel mit der Angst"

Von Interview: Jochen Tittmar
Seit Dezember 2011 spielt Albert Streit für Alemannia Aachen
© Imago

Albert Streit hat seit seinem Wechsel zu Alemannia Aachen wieder Spaß am Fußball. Das war in seiner Zeit beim FC Schalke 04 nicht so. Streit wurde durch seine ungewohnte Offenheit zum Sinnbild des raffgierigen Fußballers und stand auch aufgrund seines Images kurz vor dem Karriereende. Im Interview nimmt der bald 32-Jährige kein Blatt vor den Mund und äußert sich zu seinen Anfängen als Fußballer, die Zeit unter Felix Magath und erklärt, was in an der Fußballbranche besonders stört.

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SPOX: Herr Streit, Sie sind 1980 in Bukarest geboren. Wie kam es damals, dass Ihre Familie und Sie nach Deutschland gekommen sind?

Albert Streit: Wir wollten vor der Diktatur unter Nicolae Ceausescu in der Hoffnung fliehen, in Deutschland eine bessere Zukunft zu haben. Ich war damals ein Jahr alt. Man nahm uns in einem Aussiedlerheim in Nürnberg auf. Da meine Großeltern bereits in Göppingen in der Nähe von Stuttgart wohnten, sind wir wenig später dorthin gezogen. Da hatten wir das Glück, dass kurz darauf zwei Häuser weiter eine Wohnung frei wurde und wir dort bleiben konnten.

SPOX: In der Nähe in Zuffenhausen fing Ihre Karriere als Fußballer an. Von dort folgte der Wechsel in die Jugendabteilung des VfB Stuttgart. Wer hat Ihr Talent denn als erstes erkannt?

Streit: Es gab im Sommer immer die sogenannten Jugendtage. Dort wurde ich entdeckt. Von rund 700 Kindern, die für die E-Jugend in Frage kamen, sind zwei zum VfB gegangen - einer davon war ich. Das war ein Riesenschritt, sich ständig mit den Besten messen zu können.

SPOX: Gab's auch Nachteile?

Streit: Man musste viele Entbehrungen hinnehmen. Meine Kumpels sind natürlich zum Feiern in die Diskotheken gegangen und ich blieb zuhause. Mein Vater hat mir immer die nötige Richtung vorgegeben. Ich bin froh, dass er mich so erzogen hat.

SPOX: Mit 17 sind Sie zu Eintracht Frankfurt gewechselt, obwohl die Stuttgarter Nachwuchsabteilung zum Besten in Deutschland gehört. Warum?

Streit: Ich hatte in der A-Jugend einige Angebote vorliegen - unter anderem das von Frankfurt. Das Paket war super. Ich konnte mir eine Ausbildungsstätte aussuchen und habe einen Kontrakt als Vertragsamateur erhalten. Ich wäre gerne beim VfB geblieben und hatte gefragt, ob man mir dort ähnliches bieten kann. Das wurde leider verneint, daher bin ich nach Frankfurt gegangen.

SPOX: Dann waren Sie also plötzlich alleine in Frankfurt.

Streit: Das ging aber. Ich habe eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert und wohnte das erste halbe Jahr bei einer Gastfamilie. Zum Einleben war das ganz gut. Danach hatte ich meine erste eigene Wohnung und musste mich natürlich erstmal ans Wäschewaschen und diese ganzen Dinge gewöhnen. Es hat mir aber geholfen, früh selbstständig zu werden.

SPOX: All das ist jetzt bald 15 Jahre her. Zuletzt machten Sie nur noch als Dauerreservist und Raffzahn Schlagzeilen. Warum haben Sie es nicht geschafft, früher den Absprung vom FC Schalke zu wagen, um Ihrem jetzigen Image zu entfliehen?

Streit: Ich hätte auf sehr viel Geld verzichten müssen. Dazu war ich in meinem Alter aber nicht bereit, da ich wusste, dass ich einen solchen Vertrag wie auf Schalke nie wieder unterschreiben werde.

SPOX: Das ist sehr ehrlich. Dennoch drohte Ihnen auch das vorzeitige Karriereende. Wie nah standen Sie davor, einfach aufzugeben?

Streit: Das schwirrte auf jeden Fall in meinem Kopf herum. Schalke wollte mich am Ende ja nur noch loswerden. Zuvor gab es immer mal wieder lose Anfragen von Vereinen. Die dachten aber, ich würde die wildesten Gehaltsforderungen stellen. Wichtig war daher vor allem die gerichtliche Einigung mit Schalke. Ich wollte mich unbedingt anders vom Profifußball verabschieden und nicht einfach aufgeben. Die Anfrage aus Aachen kam für mich dennoch relativ überraschend. Ohne Friedhelm Funkel wäre der Transfer zur Alemannia niemals zustande gekommen.

SPOX: Was wäre passiert, wenn Aachen nicht angeklopft hätte?

Streit: Es hätte durchaus sein können, dass ich die Schuhe dann komplett an den Nagel gehängt hätte. Ganz klar.

SPOX: Wie ist das Gefühl, nach so langer Zeit wieder ein wichtiger Bestandteil einer Mannschaft sein zu dürfen?

Streit: Ich genieße das derzeit sehr. Es war für mich jahrelang Normalität, jeden Tag ins Training zu fahren, Spaß am Fußball zu haben, am Wochenende ein Spiel zu absolvieren und danach kaputt nach Hause zu fahren. Diese Dinge sind für mich nun wieder etwas ganz Besonderes. Auf Schalke war es ja so verfahren, dass ich gar nicht mehr wusste, wie sich die Normalität anfühlt.

SPOX: Was war für Sie Normalität auf Schalke?

Streit: Ich bin dort jeden Tag ins Training gefahren und wusste nicht, was mich erwartet und ob ich überhaupt mittrainieren darf. Meine Mitspieler spielten elf gegen elf und ich musste im Wald alleine laufen gehen oder abseits von der Mannschaft den Ball ein wenig hochhalten. Mir wurden auf Schalke die letzten drei Jahre genommen.

Teil II: "Die Heuchlerei stört mich gewaltig"

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