WM

Erfahrungsbericht aus Katar: Ein Eldorado für Kran-Liebhaber mit Bier-Phobie

Von Dennis Melzer
Der FC Bayern war im Winter-Trainingslager erneut zu Gast in Doha.
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Mit Ausnahme des Dienstags, an dem keine Medientermine für uns eingeplant sind, weil ohnehin alles im Zeichen der Vorstellung Oliver Kahns in der Allianz Arena steht. Drei Kollegen und ich haben uns im MIA Park, einer Erholungsanlage direkt am Wasser, verabredet. Das Areal ist mit zahllosen pedantisch sauberen Grünflächen gespickt, ein kleines Restaurant lockt mit günstigem Essen, Getränken und bequemen Sesseln mit Blick auf die Skyline. Alles an diesem - zugegebenermaßen retortenhaften - Ort vermittelt: Hier ist die Welt in Ordnung, die von den Medien thematisierten Missstände sollen in weite Ferne gerückt werden. Der perfekte Moment, ein Bier zu öffnen - eigentlich.

Wer in Katar dem güldenen Gerstensaft frönen möchte, wird recht bald feststellen, dass es sich dabei um ein schwieriges, beinahe unmögliches Unterfangen handelt. In der Öffentlichkeit ist es strikt verboten, Alkohol zu trinken, lediglich lizensierten Bars, Diskotheken und Hotels ist es erlaubt, Bier, Wein oder Gin auszuschenken. Vor einem Jahr hat sich die Gemengelage für Trinkfreudige aufgrund der so genannten "Sündensteuer" noch einmal verschärft.

Kugelstoßerin Schwanitz prangert Bierpreis in Katar an

Umgerechnet 14 Euro muss man für einen halben Liter Bier in den autorisierten Etablissements berappen. Eine Tatsache, die während der Leichtathletik-WM von Kugelstoßerin Christina Schwanitz beanstandet wurde. "Hier kostet ein Bier fast 14 Euro. Die haben doch eine Meise - und einführen darf man auch nichts", sagte sie der ARD. "Dieses Jahr ist es das erste Mal in meiner kompletten Karriere, dass ich einen Wettkampf ohne Alkohol bestreite. Das ist fürchterlich."

Schwanitz' Aussage hatte schnell einen gewissen Kult-Charakter und sorgte sicherlich für Lacher. Hinsichtlich der Weltmeisterschaft, bei der erfahrungsgemäß gerne der eine oder andere Liter in die durstigen Fan-Schlünde fließt, könnte die prekäre Alkoholsituation in Katar aber zu einem Problem werden. Besonders in dem Wissen, dass sich abertausende Schlachtenbummler sämtlicher Nationen im Epizentrum Doha aufhalten werden, in dessen Dunstkreis alle acht Spielstätten verortet sind.

Helmut Spahn, Sicherheitschef bei der FIFA, sieht in dem konzentrierten Fanaufkommen nicht nur Nachteile: "Dadurch ist dieses Land besser zu kontrollieren als zum Beispiel ein Riesenland wie Russland", sagte er der Sportschau und hob positiv hervor, dass auf die Anhänger weniger Kosten zukommen: "Du musst einen Flug buchen, dann bist du hier. Und du brauchst ein Hotelzimmer, von dort aus kannst du alle Spiele besuchen."

Kugelstoßerin Christina Schwanitz prangerte die Bierpreise in Katar an.
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Kugelstoßerin Christina Schwanitz prangerte die Bierpreise in Katar an.

FIFA-Sicherheitschef stellt Fanzonen und billigere Bierpreise in Aussicht

Bezugnehmend auf das Alkoholverbot erklärte Spahn, dass die FIFA in Zusammenarbeit mit den Organisatoren sicherstellen wolle, "dass Fußballfans, die gerne ein Bier trinken", dies auch tun können. Eigens für die WM eingerichtete Fanzonen sollen den Gästen die Gelegenheit bieten, Alkohol zu konsumieren. "Und man wird auch beim Preis noch mal nachjustieren", stellte der 58-Jährige in Aussicht. Ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont für alle Bier-Aficionados, die planen, das Turnier im November 2022 zu besuchen. Spahn machte überdies aber auch deutlich: "Wir können nicht immer unsere Kultur überstülpen und sagen: Okay, Alkohol gehört zum Sport. Man könnte eigentlich ein gegenteiliges Argument aufmachen." Ob die vielen WM-Besucher aus aller Herren Länder diese Ansicht teilen werden, ist mindestens fragwürdig.

Unsere Gruppe bleibt im MIA Park jedenfalls bierlos. Egal, es ist ohnehin Zeit fürs Abendessen. Wir fahren mit dem Taxi (fünf Grad, Klimaanlage bis auf Anschlag) zurück ins Hotel und schmieden Ausgeh-Pläne. Der Fahrer, der Augenblicke zuvor beinahe in einen Pickup gekracht wäre, erfreut sich an unserer Sprache, sie klinge "lustig", wie er sagt. Er redet gebrochenes Englisch, unsere Fragen zu seiner Arbeit als Taxifahrer in Katar bügelt er souverän und lächelnd ab. Wieder im Hotel angekommen, entschließen wir uns, ein Restaurant in der Nähe zu suchen. Nach zwei Minuten Fußweg hat die Gegend plötzlich nicht mehr viel mit dem schillernden und prachtvollen Doha gemein. Über eine sandige Baustelle, auf der zwei Arbeiter mit Eimern herumhantieren, geht es in die nächste Seitenstraße.

Der Blick vom MIA Park auf die Skyline.
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Der Blick vom MIA Park auf die Skyline.

Doha: Eine Stadt mit zwei Gesichtern

Ein nicht sonderlich einladender McDonalds, der zwar geöffnet hat, sich aber ganz augenscheinlich noch im Bau befindet, ein kleines Einkaufszentrum, ein Dutzend Läden mit kaltem, weißem Neonlicht, die allesamt dasselbe Geschäftsmodell (Handyhüllenverkauf) verfolgen, bestimmen das Straßenbild. Es wirkt, als habe jemand diesen Teil der bunten Metropole mit einem grauen Schleier überzogen.

Wir gehen zu einem Imbiss, der ähnlich kalt und grell ausgeleuchtet ist wie die Handyhüllenläden nebenan. "Sieht zwar nicht toll aus, aber schmeckt fantastisch", versichert mein Kollege, der die Bayern schon zum vierten Mal nach Katar begleitet. Er hat recht. Für 40 Katar-Riyal pro Kopf, was ziemlich exakt zehn Euro entspricht, bekomme ich zwei vorzügliche Vorspeisen und im Anschluss einen herausragenden Shawarma-Kebap. Grund genug, dass der Laden nachfolgend zu unserem Stammlokal avanciert.

Restlos gesättigt machen wir uns gegen 23 Uhr Ortszeit auf, fahren ins Diplomatenviertel, das im Nordwesten der Stadt liegt. Eine andere, eine bonbonfarbene Welt. In einer der vielen hochgezogenen Nobelherbergen kehren wir ein, um schließlich doch noch in den Genuss eines 14-Euro-Bieres zu kommen. Es werden zwei. In München wären dafür sieben zu haben gewesen, in meiner Heimatstadt elf. Bitter. Da es am nächsten Morgen schon im Bayern-Trainingslager weitergeht, kommt eine feuchtfröhliche Nacht ohnehin nicht infrage.

Die Woche in Katar vergeht für mich wie im Flug. Nach sechs aufreibenden Tagen und Nächten stehe ich am Freitag um fünf Uhr vor dem Hotel und warte auf meinen Kollegen, während die anderen Mitstreiter noch schlafen. Sie werden erst am Nachmittag gen Deutschland zurückkehren und die Bayern noch abschließend nach Nürnberg begleiten, wo ein Testspiel gegen den Club steigt. Als ich im Flieger sitze, lasse ich das Erlebte Revue passieren. Ein interessanter Trip mit vielen Eindrücken. Ich hätte mir gewünscht, mehr mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten, was wegen fehlender Zeit aber nicht zu bewerkstelligen war.

Das Diplomatenviertel in Doha.
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Das Diplomatenviertel in Doha.

Beckenbauer sah "keinen einzigen Sklaven" - und erntete Kritik

Franz Beckenbauer sagte vor sechs Jahren: "Ich habe noch keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Ich weiß nicht, woher diese Berichte kommen. Ich war schon oft in Katar und habe deshalb ein anderes Bild, das - glaube ich - realistischer ist." Der Kaiser wurde dafür berechtigterweise kritisiert, das sollte nach den reichlich vorhandenen Investigativ-Berichten über den WM-Ausrichter und den Einschätzungen der zuständigen Menschenrechtler klar sein.

In der kurzen Zeit, die ich in Doha verbracht habe, entstand für mich das subjektive Bild eines Staates, der sich nach außen aufgeschlossener präsentieren möchte, darum bemüht ist, für die anwesenden Touristen den schönen Schein zu erhalten. Inwiefern diese Wahrnehmung bröckelt, wenn man an der Oberfläche kratzt, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich kann nur denjenigen Gehör schenken, die die Missstände am eigenen Leibe erfahren haben.

Betroffene sehen kaum Verbesserungen

Eine Woche, nachdem der FCB sein Trainingslager in Katar beendet hat, sprechen zwei nepalesische Wanderarbeiter, die auf Einladung des Fanclubs "Club Nr. 12" und mithilfe der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach München gekommen sind, um von den widrigen Arbeitsbedingungen zu erzählen. Bei der Podiumsdiskussion "Katar, Menschenrechte und der FC Bayern - Hand auf, Mund zu?" schildern sie ihre Erlebnisse, sprechen stellvertretend für fast zwei Millionen Arbeitsmigranten.

Sie sagen, dass von den Reformen und Verbesserungen, die eingangs skizziert wurden, kaum etwas bei den Betroffenen ankäme. Weil nur wenige Arbeitgeber um Anwendung bemüht seien und die Arbeitnehmer nicht um ihre neuen Rechte wissen würden. Der Fanclub hatte auch Vertreter des FC Bayern zu der Diskussion geladen. Der für den Verein reservierte Stuhl bleibt an diesem Abend aber leer.

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