WM

Viele kleine Puzzlestücke

Bastian Schweinsteiger stand gegen die USA zum ersten Mal bei der WM in der Startelf
© getty

Deutschland zieht als Gruppensieger ins Achtelfinale ein. Die Rückkehr von Bastian Schweinsteiger gibt dem Team Sicherheit und schafft Kontrolle über das Spiel. Bundestrainer Joachim Löw ist aber immer noch dabei, seine Mannschaft auszutarieren.

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Jerome Boateng wollte es nochmal ganz genau wissen und ging auf Clint Dempsey zu. Der deutsche Verteidiger war kurz zuvor in ein Duell mit dem amerikanischen Stürmer verwickelt und wollte das nach Abpfiff der ersten Halbzeit auch mit etwas Körperkontakt intensiver besprechen.

Bevor sich die Szene weiter hochschaukeln konnte, ging Bastian Schweinsteiger dazwischen. Er regelte das, diskutierte mit Dempsey und einigte sich mit dem Kapitän der Amerikaner auf einen Handschlag.

Schweinsteiger präsent und dominant

Es waren viele kleine Szenen an diesem verregneten Tag in Recife, die verdeutlichten, dass die Mannschaft ihren Kopf zurückgewonnen hat.

Bundestrainer Joachim Löw mag Sami Khedira nach seinem Kreuzbandriss und vor seiner Nominierung zwar einen Freibrief ausgestellt und ihn als Führungsfigur ersten Ranges geadelt haben, an die Präsenz und Dominanz Schweinsteigers - das zeigte die WM-Vorrunde erneut deutlich - kommt der Profi von Real Madrid aber nicht heran.

Jobsharing mit Lahm

Die Arbeitsteilung ist klar. Philipp Lahm ist der Kapitän der Mannschaft, er ist aufgrund seiner Klasse und Führungsqualitäten akzeptiert. Der 30-Jährige hat sozusagen die Richtlinienkompetenz im Team. Vize-Kapitän Schweinsteiger verleiht dem Führungsduo noch mehr Kanten.

Etwa eine Stunde nach Spielende schob Schweinsteiger seinen Rollkoffer durch die Mixed Zone der Arena Pernambuco. Der Blick war nach vorne gerichtet, die wartenden und fragenden Journalisten ließ er an sich abprallen. Lahm hatte zu diesem Zeitpunkt schon knapp 15 Minuten mit den Reportern gesprochen. Auch das gehört zum Jobsharing: Lahm spricht und nimmt Einfluss auf die öffentliche Meinung, Schweinsteiger nicht.

Ein Problem für Khedira

Nachdem der 29-Jährige auch nach seinem ersten Einsatz von Beginn an bei dieser WM nichts sagen wollte, mussten andere über ihn reden. Während sich Mats Hummels und Toni Kroos gewohnt geschickt aus der Affäre zogen, auf eine emotionale Zwickmühle verwiesen und eine diplomatische Antwort gaben, kam vor allem von Manuel Neuer viel Lob für Schweinsteiger.

"Er ist ein Stratege, der das Spiel kontrolliert und den Rhythmus vorgibt. Es tut uns gut, wenn einer die Kontrolle auf dem Platz hat und eine Führungsrolle einnimmt", sagte der Torhüter.

Es ist diese Rolle als emotionaler Leader, die Löw vor dem Turnier immer wieder Khedira zuschieben wollte. Die ersten beiden Spiele haben aber Zweifel an seiner Wettkampftauglichkeit aufgeworfen, deshalb wurde er gegen die USA von Schweinsteiger ersetzt.

Bayern-Trio überzeugt

Nach zwei schweren Spielen gegen Portugal und Ghana sei es laut Bundestrainer eine gute Sache gewesen, Khedira mal eine Pause zu verschaffen. Die könnte sich aber als dauerhaft erweisen.

Lahm ist im 4-3-3 als Sechser im Zentrum vor der Abwehr gesetzt. Kroos verleiht dem deutschen Spiel Konturen durch sein sicheres Passspiel. Schweinsteiger war Ballverteiler, Antreiber und Kopf der Mannschaft.

Das Dreiermittelfeld auf bayerische Art hatte das Spiel bis auf einige kleinere Wackler vor der Pause bestens im Griff. Auch Lahm fühlte sich an der Seite Schweinsteigers sichtlich wohler als mit Khedira. Die Abläufe im Zentrum passten. "Wir haben das zu dritt sehr oft bei Bayern gespielt. Wir harmonieren da sehr gut", sagte Kroos.

Kompakt und kontrolliert

Deutschland hatte sich als Reaktion auf das wilde Ghana-Spiel eine kompaktere Grundordnung zugelegt und damit das Spiel über 90 Minuten im Griff. Die USA kamen erst in der Nachspielzeit zu ihrer ersten richtigen Torchance.

Einen Schritt nach vorne stellten sich Spieler wie Trainer im Bereich der Kompaktheit aus. Anders als gegen Portugal und Ghana hatte die DFB-Elf auch die gefährlichen Konter der USA über weite Strecken sehr gut im Griff.

Der letzte Pass fehlt

Es sind aber noch einige Kleinigkeiten, an denen Löw feilen muss. Das größte Manko bleiben weiter die richtige Balance und die individuellen Fehler. Deutschland mangelt es durch die insgesamt defensive Grundausrichtung mit den meist zurückhaltenden Außenverteidigern und dem Dreiermittelfeld oft am Zug zum Tor.

In den Spielen gegen Ghana und die USA kamen die Deutschen immer wieder über die Außen durch, fanden aber Thomas Müller im Zentrum nicht. Das liegt auch daran, dass zu wenige deutsche Spieler im Strafraum des Gegners sind und der sich auf den Mittelstürmer konzentrieren kann.

"Wir hatten Kontrolle, was wirklich gut ist. Aber der entscheidende Pass, der entscheidende Laufweg, da müssen wir noch besser harmonieren", sagte Lahm. Auch die Mittelfeldspieler müssen hier konsequenter nachrücken.

Dafür funktionierte das mannschaftlich geschlossene Verteidigen gegen die USA wieder besser. Das Klinsmann-Team hatte erst in der Schlussminute seine erste richtige Chance. Gegen Ghana hatte Lahm noch eine in Offensive und Defensive geteilte Mannschaft bemängelt. Ausgangspunkt für gefährliche Angriffe der Amerikaner waren in erster Linie einfache Ballverluste in den Zwischenräumen.

Puzzle für Löw

Deutschland hat mit sieben Punkten die Gruppe souverän gewonnen und im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Favoriten das Achtelfinale gegen Algerien erreicht.

Seine optimale Formation hat Löw aber noch nicht gefunden. Er ist noch dabei, seine Gruppe auszutarieren. Dabei muss er sich Fragen stellen wie: Hilft Schürrle mehr als Podolski? Wann ist Klose bereit für die Startelf? Wie gehe ich mit Khedira um? Und wie bringt man all unsere Stärken gleichzeitig auf den Rasen?

Bisher hat Deutschland hat in seinen drei Spielen in jedem Bereich gute Ansätze und sehr gute Leistungen gebracht. Löw muss das Puzzle jetzt zu einer großen, dauerhaft harmonischen Leistung zusammenbringen.

USA - Deutschland: Die Statistik zum Spiel