WM

Talent sucht Leidenschaft

Von Tim Noller
Auch im Playoff-Spiel werden die Mexiko-Fans ihre Mannschaft wieder leidenschaftlich anpeitschen
© getty

Mexiko steht vor den Playoff-Spielen gegen Neuseeland mit dem Rücken zur Wand. Nach einem miserablen Jahr 2013 mit drei Trainerwechseln will El Tri die Totalblamage abwenden. Trotzdem verzichtet Trainer Miguel Herrera in den Entscheidungsspielen auf seine europäischen Legionäre.

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Wembley-Stadion. 11. August 2012, 15 Uhr. Brasilien und Mexiko stehen sich im Finale der Olympischen Spiele in London gegenüber. Viel war im Vorfeld über das Dream Team der Selecao berichtet worden. Über Neymar, Oscar und Thiago Silva, die endlich den ersten Olympiasieg für Brasilien einfahren sollten. Mexiko hingegen musste sich in der öffentlichen Wahrnehmung mit der Rolle des Außenseiters zufrieden geben.

Nach 28 Sekunden war diese Einschätzung nichts mehr wert. Javier Aquino spitzelt einem brasilianischen Verteidiger den Ball vom Fuß und bedient Oribe Peralta. Der Angreifer fackelt nicht lange und bringt El Tri mit einem platzierten Flachschuss in Führung. Die Selecao ist geschockt, spielt in der Folge wie gelähmt. Außer Distanzschüssen fällt dem hochgelobten Favoriten wenig ein.

Olympiasieg in London

Am Ende ist Mexiko nach dem 2:1-Erfolg der verdiente Sieger und feiert die erste Goldmedaille seiner Fußballgeschichte. Das Team von Trainer Luis Fernando Tena beeindruckte während den Olympischen Spielen mit einer erfolgreichen Mischung aus Talent und Leidenschaft, was im Land der Azteken Begehrlichkeiten weckte.

Dem fußballverrückten Mexiko schmerzten die Achtelfinalniederlagen bei den zurückliegenden Weltmeisterschaften immer noch sehr. Zumal man gegen Argentinien weder 2006 noch 2010 die schlechtere Mannschaft war. Mit dem Schwung aus London hoffte die gesamte Nation auf den großen Coup 2014 in Brasilien.

Vorfreude auf den Confed Cup

2013 war also Vorfreude angesagt. Die Qualifikation für die Endrunde wollte man schnell in trockene Tücher bringen und als Gold-Cup-Sieger durfte man sich im Sommer beim Confederations Cup mit klangvollen Namen wie Spanien, Italien und Brasilien messen.

Doch den hohen Erwartungen hielt das Team von Trainer Jose Manuel de la Torre nicht stand. In den ersten neun Spielen im Jahr 2013 trennte sich El Tri acht Mal mit einem Remis und fuhr nur einen Sieg gegen Jamaika ein.

Von Euphorie konnte zum Auftakt des Confed Cup in Brasilien deshalb keine Rede sein. Dort zeigte Mexiko zwar eine ansteigende Form, für das Halbfinale reichte es dennoch nicht. Während man sich gegen Japan mit 2:1 durchsetzte, gab es gegen Brasilien und Italien jeweils knappe Niederlagen. Beim Gold Cup, der nur zwei Wochen später begann, schickte De la Torre eine B-Elf ins Rennen, die im Halbfinale gegen Panama ausschied.

Wildes Trainerkarussell

Dieser Negativtrend setzte sich auch in der WM-Qualifikation fort, sodass Verbandspräsident Justino Compean am 7. September die Reißleine zog und De la Torre feuerte. Zuvor unterlag man Honduras im heimischen Aztekenstadion, wodurch die Teilnahme an der WM in Brasilien allmählich in Gefahr geriet.

Doch auch Interimstrainer Luis Fernando Tena, der Mexiko 2012 noch zum Olympiasieg führte, war nicht in der Lage, eine Wende im Nationalteam herbeizuführen. Nach nur einem Spiel, der 0:2-Niederlage gegen die USA, musste auch er gehen. Victor Vucetich übernahm den schwächelnden Riesen.

"Wir werden arrogant"

Der neue Coach nannte die Probleme beim Namen. Vor dem entscheidenden Spiel gegen Costa Rica ermahnte er sein Team. "Manchmal übertreiben wir es in unserem Spiel, dann werden wir arrogant. Ich denke, jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir uns genau das überlegen und auf dem Platz zeigen sollten, dass wir gewinnen müssen", forderte der Trainer mehr Leidenschaft von seiner Mannschaft.

Mexiko verfügt schon seit vielen Jahren über zahlreiche talentierte Spieler, die jedoch häufig zu fahrlässig mit ihrer Begabung umgehen. 2011 gewann Mexiko die U-17-WM im eigenen Land und wurde bei der U-20-WM Dritter. Erst Anfang November verpasste die U-17-Auswahl die Titelverteidigung nur knapp, als sie im Finale Nigeria unterlag.

Dos Santos als Sinnbild

Doch diese Erfolge im Jugendbereich wirken sich kaum einmal auf das A-Team aus. Der Grund dafür ist nicht selten die fehlende Konstanz der Talente, was wohl Giovani dos Santos am anschaulichsten verdeutlicht.

Er wechselte in der Jugend zum FC Barcelona. Als er sich nicht im Team der Katalanen etablieren konnte, wanderte er von Verein zu Verein. Tottenham, Ipswich Town, Galatasaray, Racing Santander, RCD Mallorca und FC Villarreal - eine lange Liste an Arbeitgebern für einen erst 24-jährigen Profi.

Dos Santos verfügt über eine herausragende Technik, wurde bei der WM 2010 für den Titel des besten jungen Spielers nominiert. Doch der offensive Mittelfeldspieler lässt sein Können zu selten aufblitzen. Ohne Konstanz hat man es schwer bei den europäischen Schwergewichten.

Chicharito sucht Form

Diese Konstanz hat Javier Hernandez aka Chicharito bei Manchester United schon bewiesen. Seit seinem Wechsel zu den Red Devils erzielte die "kleine Erbse" in jeder Saison mindestens zehn Tore für den englischen Rekordmeister, obwohl er mit Robin van Persie und Wayne Rooney hart um seine Einsatzzeiten kämpfen muss.

Doch im Nationalteam sucht der Stürmer nach seiner Form. Zwar ließ er beim Confederations Cup seine Fähigkeiten aufblitzen, als er alle drei Tore der Mexikaner erzielte, aber in der WM-Qualifikation wartet Chicharito seit März auf einen Treffer, verschoss gegen Panama sogar einen Elfmeter.

Auch im entscheidenden Spiel gegen Costa Rica war er nicht in der Lage, seinem Team zu helfen und wurde von Trainer Vucetich in der 60. Minute ausgewechselt. Dass Mexiko nach der 1:2-Niederlage überhaupt noch eine Chance auf die Endrunde in Brasilien hat, ist auf das unglaubliche Finish der USA im Spiel gegen Panama zurückzuführen.

USA rettet Mexiko in letzter Minute

Hätte der Schiedsrichter die Partie in der 92. Minute abgepfiffen, hätte El Tri alle Hoffnungen auf die WM begraben müssen. Doch das Team von Jürgen Klinsmann traf in der Nachspielzeit doppelt und verhalf Mexiko so zum Erreichen der Playoffs, wo nun Neuseeland wartet.

Ins Spiel gegen die Nummer eins der Ozeanien-Qualifikationsgruppe geht Mexiko trotz des miserablen Jahres als Favorit. Der neue Trainer Miguel Herrera, der Vucetich nach der Costa-Rica-Pleite ersetzte, vertraut in den Do-or-Die-Duellen ausschließlich auf Profis aus der mexikanischen Liga MX Apertura. In der Startelf werden voraussichtlich sieben Spieler seines Ex-Vereins Club America stehen, mit dem er im Sommer die Meisterschaft feierte.

Ohne Legionäre gegen Neuseeland

"Der Torhüter und die Stürmer sind die einzigen Positionen, die noch nicht sicher sind", sagte er auf einer Pressekonferenz. Ansonsten wird der Trainer wohl dieselbe Elf aufs Feld schicken, die im Testspiel gegen Finnland mit 4:2 gewann.

Den Verzicht auf die europäischen Legionäre begründet Herrera mit seiner Spielphilosophie. Er fordert ein intensives Pressing im 3-5-2-System, bei dem eine hohe Laufbereitschaft verlangt wird. Die Spieler aus Europa seien dafür auch wegen der langen Anreise zu erschöpft. Zumal die Begegnung in der Mittagshitze von Mexico City stattfinden wird.

"Das Team ist sehr stabil. Verglichen mit den Spielern hier gibt es keinen Europa-Legionär, der einen großen Unterschied ausmachen könnte. Wir haben gute Spieler, aber das wichtigste ist, dass wir die Bedingungen vor Ort zu unseren Gunsten nutzen", so Herrera nach dem Finnland-Spiel.

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