WM

"Ribery muss jetzt liefern"

Franck Ribery soll die französische Nationalmannschaft zur WM nach Brasilien führen
© getty

Gernot Rohr ist in Mannheim geboren, seit 1982 französischer Staatsbürger und arbeitete lange Zeit als Spieler und Trainer in Frankreich. Derzeit ist der 60-Jährige Nationaltrainer im Niger. Der Kenner des französischen Fußballs spricht vor dem WM-Playoff-Rückspiel zwischen Frankreich und der Ukraine (21 Uhr im LIVE-TICKER) im Interview über die Gründe für das schlechte Image der Equipe Tricolore, Franck Riberys Probleme in seinem Heimatland und die Renaissance der Ligue 1.

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SPOX: Herr Rohr, Frankreich hat das Playoff-Hinspiel in der Ukraine sang- und klanglos mit 0:2 verloren. Waren Sie vom leblosen Auftritt der Equipe Tricolore überrascht?

Gernot Rohr: Ja. Dass die Franzosen so auftreten, hatte ich mir im Vorfeld nicht vorgestellt. Das war absolut enttäuschend und ein Paradebeispiel dafür, wie man mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung die höhere individuelle Qualität eines Gegners ausschalten kann. Das ist aus französischer Sicht ja nicht das erste Mal passiert. Frankreich hat gute Einzelspieler, die aber nicht wirklich zusammenspielen können, weil sie vom Charakter her nicht kampfbereit sind. Das Rückspiel ist jetzt wohl die letzte Chance, das seit der WM 2010 eklatant schlechte Image ins Gegenteil zu verkehren.

SPOX: Wie sah denn die Stimmung in Frankreich vor dem Hinspiel aus?

Rohr: Die Freude über das Los Ukraine war groß - und das ist ja schon einmal der erste Fehler. So ist die Mannschaft zumindest im Unterbewusstsein überheblich aufgetreten, aber auch das französische Volk an sich. Die Ukraine hatte zuvor bei Playoffs ja noch nie gut ausgesehen, deshalb und aufgrund der höheren individuellen Qualität hat man sich in Sicherheit gewogen.

SPOX: Am Dienstag kommt es zum Rückspiel im Stade de France. Welche Reaktion erwarten Sie von den Zuschauern?

Rohr: Die französische Mentalität ist anders, als man nun vielleicht annehmen würde. Die Zuschauer werden von Anfang an geschlossen hinter ihrem Team stehen. Gemäß dem Sprichwort: "Impossible n'est pas francais" - unmöglich ist nicht Französisch. Das wird ein Hexenkessel werden und der Glaube wird bis zur letzten Minute groß sein, dass man das doch noch schaffen kann. Die Imageproblematik des Teams wird am Dienstag im Stadion keine Rolle spielen.

SPOX: Stichwort Image: Franck Riberys Standing in seinem Heimatland unterscheidet sich sehr von dem in Deutschland. Warum ist das so?

Rohr: Er ist in Deutschland zunächst einmal sehr gut integriert. Das ist auch dem FC Bayern zu verdanken, der einfach ein Klub mit Herz ist. Diese Herzlichkeit fehlt ihm in Frankreich. Es liegt wohl auch daran, dass man als Ausländer häufig bestrebt ist, besser zu sein als die Einheimischen. Diese Motivation ist bei ihm in Frankreich vielleicht nicht so sehr vorhanden.

SPOX: Wie viel hängt davon noch mit der Revolte von Knysna bei der WM 2010 zusammen?

Rohr: Zu seinem Image in Frankreich gehören ein paar Entgleisungen, die man in Deutschland kaum mitgekriegt hat. Beispielsweise hat er direkt nach Knysna in der Fernsehsendung "Telefoot" über die Revolte im Training gesprochen und wollte sie beschwichtigen. Dieser Auftritt war in Frankreich sehr unpopulär und einfach ungeschickt. Er war aber auch schon zu Marseiller Zeiten so etwas wie der böse Bube.

SPOX: Zuletzt zeigte er aber reihenweise gute Leistungen im Nationaltrikot.

Rohr: Das stimmt. Seine Popularität war dabei, ins Gegenteil zu kippen und wieder anzusteigen. Es hängt für ihn nun viel von diesem Rückspiel ab und ob er in der Lage sein wird, die Mannschaft nach Brasilien zu führen. Ribery muss jetzt liefern, nur so hat er eine Chance auf den Gewinn der Weltfußballerwahl.

SPOX: Fußball-Profis sehen sich in Frankreich häufig einer Neiddebatte ausgesetzt. Ist die in Frankreich ausgeprägter als anderswo?

Rohr: Das glaube ich nicht. Wenn nach einer solchen Blamage wie in Südafrika die ganz großen Ergebnisse ausbleiben, ist es meiner Ansicht nach normal, dass die Bevölkerung die hochbezahlten Kicker kritisiert oder auch fordert, dass sie noch höhere Steuern zu bezahlen haben. Der Aufschrei in Deutschland nach dem Ausscheiden bei der WM 1998 war ja durchaus ähnlich.

SPOX: Welches Ansehen genießt die Equipe in der aktuellen Phase innerhalb der französischen Gesellschaft?

Rohr: Im Moment ist es sehr schlecht. Dadurch bedingt ist der sehr populäre Rugby-Sport auch wieder im Kommen und schafft es auf die Titelblätter der Zeitungen - und dazu verdienen die erfolgreichen Rugby-Spieler noch deutlich weniger. Sollte die Equipe doch noch die WM-Qualifikation schaffen, wird sich aber sehr vieles sehr schnell ins Gegenteil umkehren, da bin ich mir sicher.

SPOX: Seit dem Einzug ins WM-Finale 2006 schied Frankreich dreimal in Folge bei großen Turnieren vorzeitig aus - nun droht sogar die erste Nicht-Teilnahme seit der WM 1994. Was sagt das über die Wettbewerbsfähigkeit des französischen Fußballs aus?

Rohr: Sie ist auf jeden Fall geschwächt. Das liegt auch an den immer größer werdenden Abgaben, die seitens des Staats verlangt werden. Früher mussten 20 Prozent eines Spielergehalts nicht versteuert werden, das war das sogenannte Imagerecht. Das wurde abgeschafft, stattdessen müssen die Klubs nun 75 Prozent Steuern für Spieler zahlen, die mehr als 100.000 Euro pro Monat verdienen.

Seite 2: Rohr zum Image der Ligue 1 und der Wettbewerbsverzerrung durch Monaco

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