WM

Der Tag, an dem Maracana schwieg

SID
Das Maracana-Stadion in Brasilien ist das siebtgrößte Fußballstadion der Welt
© Getty

Alcides Ghiggia ist ein greiser Mann geworden, Altersflecken und tiefe Falten erzählen die Geschichte eines bewegten Lebens. Wenn der 84-Jährige jedoch auf den 16. Juli 1950 angesprochen wird, blitzt die Erinnerung in seine leicht getrübten Augen. "Es war totenstill", sagt er nur, "es war totenstill."

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Der größte Tag in der uruguayischen Fußball-Geschichte. Noch heute zehrt das kleine Land von der sensationellen Demütigung des übermächtigen Nachbarn Brasilien, vom Tag, an dem 200.000 Zuschauer schwiegen.

"Es war beeindruckend, wie sich die Traurigkeit über das ganze Stadion legte. Sogar ich war selbst en bisschen traurig. Nur drei Menschen haben das Maracana zum Schweigen gebracht: Der Papst, Frank Sinatra und ich."

Ghiggias Tor. 2:1 im letzten Spiel der Finalrunde. "Ich war damals sehr schnell. Torhüter Barbosa ließ mir eine kleine Lücke. Also habe ich den Ball rechts neben dem Pfosten platziert, und als Barbosa abtauchte, zappelte er im Netz."

Ein Fan erschoss sich auf der Tribüne

Ganz Brasilien war am Boden zerstört, ein verzweifelter Fan erschoss sich in Rio de Janeiro noch auf der Tribüne. Die Selecao spielte nie wieder in Weiß.

Barbosa-Biograph Roberto Muylaert hat das Tor von Ghiggia später mit einer anderen Szene verglichen. "Die gleiche Dramatik, die gleiche Bewegung, der Rhythmus - die gleiche Präzision einer unaufhaltsamen Flugbahn." Es ging um das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy in Dallas.

2006 war Alcides Ghiggia bei der WM in Deutschland, als ältester anwesender Weltmeister. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als dass seine Nachfolger 2010 in seine Fußstapfen treten. Noch drei Erfolge fehlen, der erste ist am Freitag in Johannesburg (20.15 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY) gegen Ghana gefragt.

Sonderbriefmarke von Diego Forlan

In diesem Fall gäbe es wohl eine Sonderbriefmarke mit dem Gesicht von Diego Forlan - der Altmeister hat ja bereits eine. "Er bewegte uns zu Tränen", steht darauf: Ghiggia nos hizo llorar. Das hat Alcides Ghiggia, der später sogar noch Länderspiele für Italien absolvierte, zu seinem 80. Geburtstag selbst Tränen in die Augen getrieben.

Die erste große Stunde des uruguayischen Fußballs dagegen ist verblasst. Nicht halb soviel ist der WM-Titel von 1930 für das Volk am Rio de la Plata wert, damals, als nur 13 Mannschaften angetreten waren. Dorado, Cea, Iriarte, Castro - ein 4:2 gegen Argentinien im Finale von Montevideo. Die Siegesfeiern sollen sich über viele Tage hingezogen haben.

Bescheidene Feier

Doch wichtiger, das glaubt auch Alcides Ghiggia, war der 16. Juli 1950. Elf gegen 200.000, das winzige Uruguay gegen das große Brasilien. Die Feier fiel - zumindest für die Mannschaft - extrem bescheiden aus. "Wir haben Geld gesammelt, uns Sandwiches und Bier gekauft und gingen auf unsere Zimmer", sagt Ghiggia.

Brasilien hat sich mit dem greisen Mann versöhnt. 2009 kehrte Alcides Ghiggia zurück ins Maracana, er durfte seinen Fußabdruck in Zement verewigen. Neben Pele, neben Franz Beckenbauer.

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