Nur schlechte Trainer gehen in den Wald

Von Stefan Moser
Der FC Bayern München hat im Trainignslager am Gardasee Kondition gebolzt
© Getty

Die Bundesliga ist mitten in der heißen Phase der Saisonvorbereitung. In den Trainingslagern wurden die Grundlagen für eine lange Saison gelegt. Auch im Amateurfußball bereiten sich die Klubs bis hinunter zur Kreisklasse auf die neue Spielzeit vor. Die spannende Frage: Wie trainiert man richtig? Wie hat sich die Methodik in den letzten Jahren entwickelt? SPOX geht der Frage der Trainingsmethodik theoretisch und in Selbstversuchen auf den Grund. Teil 1: Konditionstraining.

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In seinem Buch "Die Fußball-Matrix" erzählt Christoph Biermann folgende Anekdote: Am Abend nach der großen Achtelfinal-Sensation bei der WM 2002 in Asien stand ein italienisches Kamerateam vor dem Mannschaftsquartier der Südkoreaner. Die Gastgeber hatten die Italiener tags zuvor 115 Minuten lang in Grund und Boden gerannt - und am Ende etwas glücklich, aber nicht unverdient, per Golden Goal in der Verlängerung gewonnen.

Zuhause in Italien beklagte man sich über den Schiedsrichter - und quittierte auch die enorme Laufleistung der Südkoreaner mit großer Verwunderung und kritischen Fragen. Doping-Gerüchte machten die Runde.

Also verlangten die Journalisten, mit Raymond Verheijen zu sprechen, dem Fitnessexperten im Stab von Chefcoach Guus Hiddink, der Südkorea auf die Heim-WM vorbereitet hatte.

Südkorea 2002: Überlegenes Trainingskonzept

"Es ist das größte Kompliment, das ich in meinem Leben bekommen habe. Damit wird gesagt, dass es unglaublich ist, was wir erreicht haben", kommentierte Verheijen die Vorwürfe. Denn die herausragende Ausdauer seiner Spieler sei keineswegs auf verbotene Medikamente zurückzuführen, sondern auf ein einfaches, aber überlegenes Trainingskonzept.

"In vielen Ländern geht man davon aus, dass man zunächst einmal Fitness haben muss, um Fußball zu spielen. Wir sagen: Wenn Du Fußball spielst, bekommst Du Fitness", erklärte Verheijen seine Methode. Keine einzige Runde seien die Südkoreaner während der Vorbereitung um den Platz getrabt. Keine Dauerläufe, keine Medizinbälle, nur Fußball.

Elf gegen Elf, Acht gegen Acht oder Sechs gegen Sechs: In verschiedenen exakt getimten Intervallen und Intensitäten ließ Hiddink seine Mannschaft während dreier Lehrgänge vor der WM ausschließlich in Spielformen trainieren. Sein Credo: Fußballspezifische Ausdauer holt man sich am besten, indem man schlicht Fußball spielt.

Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis

"Guus Hiddink hat Recht, in der Theorie ist das wahrscheinlich die ideale Methode", sagt auch Oliver Schmidtlein im Gespräch mit SPOX. Der 46-Jährige betreibt heute eine angesehene Reha- und Sportphysiopraxis in München (www.osphysio.de). Zuvor arbeitete er unter anderem beim FC Bayern und im Team von Jürgen Klinsmann bei der deutschen Nationalmannschaft als Fitnesstrainer.

Entsprechend kennt er die Probleme, die Hiddinks und Verheijens Konzept in der alltäglichen Trainingsarbeit mit sich bringt: "Auch Mannschaften in der Bundesliga haben versucht, in verschiedenen Spielformen Konditionsarbeit zu machen. Aber durch Pulsmessungen in Echtzeit haben wir gesehen, dass sich einige Spieler dabei einfach verstecken. Man braucht dafür 20 absolut willige Profis und muss sie außerdem gut von außen coachen, um die Spieler anzutreiben, ständig in Bewegung zu sein. Und da wird der Unterschied zwischen Theorie und Praxis schnell spürbar."

Der zu Pointen aufgelegte Verheijen reduziert diesen Unterschied freilich auf eine einzige Person: Wie kein zweiter sei Guus Hiddink in der Lage, eine komplette Mannschaft zu überblicken, anzutreiben und zu motivieren. Alle anderen sollten seinetwegen weiter auf die alte Art Kondition bolzen: "Wenn der Trainer nicht coachen kann, ist um den Platz zu laufen eine gute Alternative."

Waldläufe fast ausgestorben

Tatsächlich aber sind lange Dauerläufe um den Platz oder durch die Wälder auch in der Bundesliga mittlerweile fast ausgestorben. Gerade Schmidtlein und sein Team haben in der Fitnessarbeit in Deutschland neue Akzente gesetzt. Obwohl er sich anfangs viel Häme einhandelte, als er die DFB-Elf mit Gummibändern um die Knie im Entengang über den Platz watscheln ließ.

Mittlerweile aber werden viele seiner Methoden von wissenschaftlichen Daten gestützt. Fast alle deutschen Profiklubs haben zumindest Teile seines Sets in ihren Trainingsprogrammen übernommen.

Krasses Missverhältnis zwischen Anspruch und Arbeitsweise

Weil das Spiel mit den Jahren im Durchschnitt immer schneller und die athletischen Anforderungen damit immer höher wurden, entwickelte sich eine Spirale, die die Vereine de facto auch dazu zwang, sich Experten ins Boot zu holen, die immer gezielter an der Kondition der Spieler arbeiteten.

"Als ich vor zehn Jahren aus den USA zurückkam, gab es in Deutschland noch ein krasses Missverhältnis zwischen dem Anspruch und dem Wert der Spieler für den Verein und der Art und Weise, wie gearbeitet wurde", sagt Schmidtlein: "Wenn Sie einen hochgerüsteten Formel-1-Wagen haben, dann holen Sie sich den Mechaniker ja auch nicht von der Tankstelle um die Ecke, der dann ein bisschen daran herum schraubt. Sie holen sich natürlich ein Team von Spezialisten."

Erste Strömung in den 90ern verpufft

Zwar gab es schon in den 90er Jahren eine Strömung, als viele Leichtathletik-Trainer versuchten, sich auch mit wissenschaftlichen Methoden im Fußball zu etablieren.

Die meisten aber scheiterten, weil sie ihr theoretisches Wissen nicht in die fußballspezifische Praxis und Trainingssteuerung übersetzen konnten. Übrig blieben häufig nur leistungsdiagnostische Dossiers im luftleeren Raum, die heute in Universitätsbibliotheken verstauben.

Erst in der Folge wurde es nach und nach zum Common Sense, dass das Ausdauertraining mit Fußballern eben genau die Anforderungen reproduzieren muss, die ein Spieler auch im realen Wettkampf zu bewältigen hat.

Praxisbeispiele: Wie trainiert ein Fußballer optimal?

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